Vitalij Malahov, SKOPOS NOVA Design Sprints - Vom Problem zum Prototypen in nur 4 Tagen

Der inspirierende Kickoff mit Barista Kaffee in diesen hippen Kreativräumen liegt nun schon sechs Monate zurück. "Neue Wege gehen.... Wir machen jetzt agil... Das wird alles verändern..." klingt es noch in entfernter Erinnerung nach. Aus großen Ideen wurden Kompromisse, die Timeline eher ein "Vielleicht bis dann" und im wöchentlichen Projektmeeting wird seit acht Wochen über grün statt blau diskutiert. Von der anfänglichen Euphorie ist Stand jetzt nicht mehr viel übrig und der Mangel an Fortschritt ist vor allem eines: Frustrierend. Und bei dem vierten Kaffee vor der Mittagspause fragt man sich: Muss das so sein? So oder so ähnlich klingen Geschichten, die die meisten von uns bereits erlebt haben oder gerade jetzt durchleben. Ehe man sich versieht werden Stunden zu Tagen, Tage zu Wochen und Wochen zu Monaten, ja manchmal Jahren, und niemand weiß mehr so richtig, was man eigentlich ursprünglich erreichen wollte. Das Bedürfnis, die Dinge anders zu lösen ist da natürlich mehr als naheliegend.
Lean, Agile und Design Thinking sind nur ein Auszug von Tools und Frameworks aus dem Buzzwordbingo-Baukasten, die die Arbeitswelt neu gestalten und Innovation schneller vorantreiben sollen. Wer die Erfahrung selbst gemacht hat, weiß dass das funktionieren kann, aber nicht muss. Die besten Ideen sind nämlich nicht viel Wert, wenn es nachher an der Umsetzung scheitert. Genau an dieser Stelle kommen Design Sprints ins Spiel.
Was ist eigentlich ein Design Sprint?
Der Design Sprint ist ein methodisch klar strukturierter Prozess, in dem Unternehmen eine Herausforderung definieren, Ideen zur Lösung dieser generieren, einen Prototypen für die vielversprechendste Idee entwickeln und diesen zum Abschluss mit Nutzern aus der Zielgruppe testen. Je nachdem, welcher Methodik man folgt, passiert das alles in nur vier oder fünf aufeinanderfolgenden Tagen. Wichtig ist dabei zu betonen, dass kein voll ausgereiftes, fertiges Produkt (bzw. Service, Website, App) entsteht, sondern eben ein Prototyp. Man testet am Ende der Woche quasi die Hypothese, ob die entwickelte Idee Potenzial hat, das Problem zu lösen.
Was ist so besonders daran?
Grundprinzipien schaffen Struktur und Struktur schafft Tempo
Das Versprechen in vier Tagen das zu schaffen, wofür man sonst Monate braucht, steht an und für sich bereits als Besonderheit dar. Das funktioniert aber nicht einfach so. Der Design Sprint folgt vier wichtigen Prinzipien, die maßgeblich zum Erfolg davon beitragen:
- Gemeinsam alleine arbeiten
- Greifbare Beispiele sind besser als Diskussionen
- Loslegen ist wichtiger als Recht behalten
- Kreativität ist kein Muss
Diesevier Grundsätze klingen erstmal seltsam, sind bei näherer Betrachtung aber total plausibel. Die Punkte eins bis drei Zielen dabei auf zwei der größten Ideenkiller ab: Diskussion und Ego. Die Struktur des Design Sprints umschifft diese Punkte elegant, indem die meisten Arbeitsphasen tatsächlich in stiller Einzelarbeit erfolgen und Meinungsmacher sich dadurch nicht in den Vordergrund rücken können. Die Meinung von Anderen wird vorwiegend durch Abstimmungen festgehalten, nicht aber durch ausgiebige Diskussionsrunden, sodass den Ideen von jedem Teilnehmer eine Chance gegeben wird. Und wenn doch einmal eine hitzige Diskussion ausbricht, sorgt der geschulte Moderator dafür das Sprint Team wieder einzufangen. Der vierte Punkt adressiert eine große Sorge von den meisten, die von sich behaupten "aber ich bin doch überhaupt nicht kreativ". Der Prozess selbst sorgt für Kreativität, sodass auch jemand der sich selbst als unkreativ oder ideenlos bezeichnet, dennoch Ideen entwickeln kann.
Stakeholder verantworten sich auf ein gemeinsames Ziel
Neben der eher offensichtlichen Besonderheit (getesteter Prototyp in nur vier Tagen), gibt es einen weiteren Aspekt bei Design Sprints, der aus meiner Sicht sehr viel stärker ins Gewicht fällt. Und zwar schafft man direkt von Beginn an ein gemeinsames Verständnis für das Verantworten eines gemeinsamen Zieles. Während im üblichen Projektalltag acht Personen von acht verschiedenen Vorstellungen und Erwartungshaltungen gegenüber einem Thema haben, bringt der Design Sprint diese losen Fäden zusammen und alle ziehen gemeinsam an einem Strang. Und das von Anfang an. Das spart Zeit, Nerven, Kosten und führt letztlich zu besseren Ergebnissen, weil Reibungsverluste vermieden werden ("Da hättest du aber vorher mit mir drüber sprechen müssen...").
Der Kunde/Nutzer wird von Beginn an berücksichtigt
Den meisten Lesern hier werde ich sicher nichts darüber erzählen müssen, dass es immens wichtig ist, sich mit Kunden und/oder Nutzern auszutauschen und dieses Wissen in die Entwicklung mit einzubeziehen. Allerdings ist dieses Mindset nicht bei jedem präsent, weshalb es hier als eigener Punkt aufgeführt wird. Die entwickelte Lösung wird zum Abschluss der Woche sechs Testkunden/-nutzern präsentiert, um deren Eindrücke zu erfassen. Dabei geht es nicht um Repräsentativität oder hochgradig valide Ergebnisse, sondern eben darum ein Gefühl für das Potenzial der Lösung zu entwickeln.
Welche Rollen gibt es im Sprint Team?
Die Erfolgsaussicht eines Sprints steht und fällt mit der richtigen Zusammensetzung des Sprintteams. Dabei gibt es verschiedene Rollen, auf die ich gleich eingehen werde. Einige davon müssen vertreten sein. Andere sind durchaus sinnvoll, aber nicht verpflichtend. Generell sprechen wir von maximal sieben bis acht Teilnehmern, mehr Teilnehmer werden durch die wachsende Anzahl an Ideen schwierig zu moderieren.
Diese Rollen müssen vertreten sein:
Moderator
Der Moderator des Sprints wird häufig auch Sprint Facilitator genannt (klingt fancy, oder?). Er hat einerseits die wichtigste und andererseits auch die anstrengendste Rolle im ganzen Design Sprint. Er führt das Team durch den Sprint Prozess und sorgt dafür, dass alle Teilnehmer vier Tage am Stück konzentriert arbeiten und gut gelaunt sind. Er achtet auf die Zeit, sorgt für ausreichend Pausen, motiviert zu Höchstleistungen, weist Diskussionsfreudige zurecht und ist letztlich hauptverantwortlich dafür, dass der Sprint durchgeführt wird.
Entscheider
Der Entscheider ist der, der auch außerhalb eines Sprints die Umsetzung eines Projekts verantworten würde. Je nach Unternehmensgröße können das sehr verschiedene Berufsbezeichnungen sein, wichtig ist dabei, dass diese Person Entscheidungskompetenzen hat. Folgende Positionen könnten das also sein: Head of UX, Design Lead, Product Owner, Produktmanager, CTO oder gar CEO. Diese Rolle ist absolut verpflichtend. Sprints die ohne Entscheider durchgeführt werden unterliegen dem Risiko, dass die erarbeitete Idee (selbst wenn sie wirklich gut ist) an der Meinung eines nicht involvierten Managers scheitern kann.
Designer/Prototyper
Irgendwie logisch bei dem Namen "Design Sprint": Jemand der in der Lage ist, einen Prototypen zu erstellen, sollte den Prozess von Beginn an begleiten.
Protokollant & Assistent
Der Sidekick des Moderators bereitet Materialien vor, kümmert sich um Mittagessen, Snacks und kümmert sich um die Organisation der Interviews am vierten Tag. Außerdem ist er dafür da erarbeitete Ergebnisse dokumentarisch festzuhalten und im Nachgang so aufzubereiten, dass sie auch genutzt werden können.
Weitere sinnvolle Rollen sind:
- Kundenkenner (z.B. Customer Service oder Sales)
- Marketing (Über welche Kanäle spielen wir die Ideen)
- Finance (Was müssen wir zahlenseitig berücksichtigen?)
- Technik (Ist das überhaupt umsetzbar?)
Was passiert an den einzelnen Tagen?
An Tag eins wird zunächst die Herausforderung definiert. Mit Herausforderung meint man die Sprintfrage, die man am Ende der Sprintwoche mithilfe des Feedbacks zum Prototypen beantworten möchte. Ein grobes Beispiel: "Wie können wir den Mehrwert von unserem Service deutlich kommunizieren?". Zum Ende des Tages wird bereits eine Vielzahl an möglichen Lösungen erarbeitet.
Tag zwei beginnt dann mit einer Priorisierung der Lösungen. Jeder Teilnehmer stimmt mithilfe von Klebepunkten ab, welche der Lösungen seiner Meinung nach die vielversprechendste ist. Dann wird diese mithilfe eines Storyboards sehr konkret ausgearbeitet und bereits mit Texten und Platzhaltern für Bilder angereichert, um für den dritten Tag vorbereitet zu sein.
Am dritten Tag wird dann der Prototyp auf Basis des Storyboards erstellt. Dafür muss nicht mehr das gesamte Projektteam anwesend sein. Dieser Schritt wird üblicherweise von ein bis zwei Designern und ein bis zwei Assistenten für das Raussuchen von Bildmaterial und Verfassen von Texten übernommen. Für das Prototyping können verschiedenste Tools eingesetzt werden. Für Webseiten und Apps eignen sich Prototyping Tools, wie z.B. InVision, Sketch oder Adobe XD. Aber eine gute alte PowerPoint erledigt im Zweifel den Job genauso gut, wenn man vorab ein paar Vorlagen recherchiert. Physische Produkte oder Services lassen natürlich auch abbilden, erfordern aber etwas mehr Kreativität dabei.
Der vierte und letzte Tag ist dann das Testing. Es werden sechs Teilnehmer aus der zum Produkt passenden Zielgruppe rekrutiert. Diese probieren den Prototypen in einem klassischen Face-to-Face Interviewsetting aus. Das Projektteam beobachtet und notiert fleißig, was noch am Prototypen verbessert werden muss und was bereits gut funktioniert.
Was ist bei der Durchführung wichtig?
Es gibt ein paar organisatorische Dinge, deren Wichtigkeit man wirklich leicht unterschätzen kann. Aber: Man sollte es nicht. Aufgrund der Tatsache, dass die vier Tage durchaus intensiv und anstrengend sind, sollte man die folgenden Dinge auf keinen Fall unterschätzen:
- Finden Sie einen Raum, der groß genug ist, idealerweise Fenster hat und mit genügend Whiteboards ausgestattet ist (Zwei große Whiteboards + etwas Platz auf Wänden sind super).
- Sorgen Sie für ausreichend Snacks. Damit sind nicht Chips und Cola gemeint, sondern gesunde Snacks, die Energielevel über den Tag hinweg hoch halten. Obst, Nüsse, Gemüsesticks und das ein oder andere Stück dunkle Schokolade sind die richtige Wahl.
- Sorgen Sie für guten Kaffee. Dazu muss man nicht mehr sagen.
- In der Mittagspause sollte nicht auf Pizza, Burger oder Haxen zurückgegriffen werden. Ein schweres Mittagessen führt auch zu schweren Gedanken und die Teilnehmer sind ab mittag bewegungsunfähig. Leichte Kost sollte also bevorzugt werden.
- Der Moderator steht in der Verantwortung, dass die Teilnehmer nicht nach anderthalb Tagen ausgebrannt sind. Ausreichend Pausen sind ein wichtiger und fester Bestandteil des Sprints Jede Stunde mindestens 5-10 Minuten, plus eine einstündige Mittagspause sind eine gute Faustregel
Welche Schwierigkeiten können auftreten?
Einen Design Sprint durchzuführen erfordert eine Menge Vorbereitung. Was dabei vorab schiefgehen kann, ist die Kommunikation mit Stakeholdern. Jeder sollte darüber informiert sein, was sie in der Sprintwoche erwartet, was ein Sprint leisten kann und auch was er nicht leisten kann. Zu einem guten Erwartungsmanagement gehört auch, vorab Sorgen zu nehmen. "Vier Tage am Stück aus dem Tagesgeschäft raus? Wie soll das denn gehen?“. Gegen diese Bedenken schaffen zwei Argumente Abhilfe: 1. Wenn man die Zeit nicht investiert, läuft man das Risiko, dass man Wochen und Monate braucht und im Zweifel mehr Zeit darauf verwendet. 2. Der Großteil des Sprint Teams ist nur in den ersten beiden Tagen dabei. Für das Prototyping und Testing muss z.B. der Entscheider nicht mehr zwingend vor Ort sein.
Warum sollte ich als Marktforscher mich mit dem Thema beschäftigen?
Die Marktforschung liefert Wissen, um Entscheidungen zu informieren und diese auf Basis von Daten zu treffen. Vor allem während der Entwicklung sind Unternehmen meist auf Feedback von Nutzern und Kunden angewiesen, welches wir liefern. Das bedeutet letztlich auch, dass unsere Arbeit Entscheidungen aktiv mitgestaltet. Warum also nicht den nächsten Schritt gehen? Warum nicht direkt Teil dieser wichtigen Entscheidungen sein, indem man auf unseren schier unerschöpflichen Methodenbaukasten zurückgreift? Warum nicht bewusst neue Wege beschreiten, für die wir bereits bestens gerüstet sind? Aus meiner Sicht bieten Design Sprint uns genau dafür eine großartige Chance.

Zum Autor: Vitalij Malahov ist seit Ende 2018 UX Researcher bei NOVA und verantwortet dort den Bereich Design Sprints. Er ist zertifiziert durch AJ & Smart und berät Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen, bei der erfolgreichen Umsetzung von Ideation Workshops und Design Sprints.
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