Interview mit Dr. Yvonne Schroth, Forschungsgruppe Wahlen "Der Wahltag ist vor allem eine logistische Herausforderung."

Pünktlich um 18h erwarten die Fernsehzuschauer am Wahltag die Prognose. Doch bevor es dazu kommt sind viele Vorbereitungen notwendig. Dr. Yvonne Schroth, Vorstand bei der Forschungsgruppe Wahlen, über die Herausforderungen der Wahltagsprognose und den Wettkampf der Demoskopen untereinander.

Interview Schroth Wahltag Beitragsbild (Bild: Forschungsgruppe Wahlen)

Wann haben Sie mit den Planungen für die Wahltagsprognose für die BTW21 begonnen?

Dr. Yvonne Schroth: Die Arbeiten für eine Landtags- Europa- oder Bundestagswahl beginnen immer ungefähr 5-6 Monate vorher mit der Ziehung der Stichprobe der Wahllokale. Die Aufbereitung aller Urnenwahlbezirke und die mehrfache Schichtung der Grundgesamtheit braucht ein bisschen Vorlauf. Wenn eine Stichprobe gezogen ist, müssen die betreffenden Wahlämter kontaktiert werden. Es wird dann abgefragt, ob die Wahlbezirke sich im Zuschnitt verändert haben, also ob sie mehr oder weniger Wahlberechtige haben als bei der Vorwahl registriert sind; bzw. ob der Wahlbezirk überhaupt noch existiert. Ist der Zuschnitt eines Wahllokals ein völlig anderer, ist er für die Hochrechnung und die Befragung am Wahltag nicht tauglich und muss ersetzt werden. Diese Abfrage- und Ersetzungsphase kann schon mal 4-6 Wochen dauern. Ist diese Phase erledigt, müssen für die Stichprobenpoints Personen aus unserem Korrespondentenpool gefunden werden, die am Wahltag dann vor Ort den Exit Poll durchführen.

Wie groß ist das Projektteam der Forschungsgruppe für dieses Projekt? Wie viele Interviewer werden am Wahltag eingesetzt?

Dr. Yvonne Schroth: Für die Bundestagswahl sind es ungefähr 900 Personen, die für uns arbeiten. Für die beiden Landtagswahlen sind es 300 bis 400 Personen. Der Wahltag ist also vor allem auch eine logistische Herausforderung.

Am Wahltag selbst darf nichts schief gehen. Welche Redundanzen und Fall-Back-Lösungen haben Sie eingebaut, damit auch in einzelnen Wahllokalen nichts schief gehen kann?

Dr. Yvonne Schroth: Der Wahltag läuft bei uns nach einer strengen Routine ab. Morgens um 7:30 Uhr muss klargestellt werden, dass die Korrespondenten auch an den richtigen Wahllokalen angekommen sind und das alle Stichprobenpoints besetzt sind, um gegebenenfalls noch extra eingeplante "Reservepersonen" an entsprechende Points loszuschicken.

Bei den klassischen Wahlumfragen wird für gewöhnlich viel gerechnet und korrigiert im Vorfeld. Wie ist das bei der Wahltagsprognose? Wie gehen Sie z.B. mit dem steigenden Anteil der Briefwähler um?

Dr. Yvonne Schroth: Steigende Briefwahl ist für uns jetzt kein neues Phänomen. Damit hatten wir es schon bei der vergangenen Bundestagswahl und Europawahl zu tun. Medial ist es jetzt durch die Pandemie und den hohen Briefwahlanteil bei den beiden Landtagswahlen im März vermehrt in den Fokus gerückt. Das Ausmaß in Rheinland-Pfalz war dann natürlich auch für uns etwas Neuland. Die Zunahme der Briefwahl birgt natürlich einen Unsicherheitsfaktor, da ja die 18 Uhr Prognose auf einer Befragung der Urnenwähler basiert. Dennoch ist uns das Briefwahlverhalten der Wähler*innen nicht völlig unbekannt und wir können einige Erfahrungswerte in die 18 Uhr Prognose einpreisen.

Wie hoch ungefähr ist die Responserate direkt im Wahllokal? Ich würde schätzen, dass im Unterschied zu anderen Methoden die Teilnahmebereitschaft sehr hoch sein dürfte?

Dr. Yvonne Schroth: Die Teilnahmebereitschaft direkt vor dem Wahllokal ist in der Tat im Vergleich zu anderen Befragungen sehr hoch. Ungefähr 80 Prozent der befragten Personen nehmen an der Befragung nach dem Verlassen des Wahllokals teil.

ARD und ZDF veröffentlichen zeitgleich die Prognosen. Wie wichtig ist es für die FGW näher am Endergebnis zu liegen als die ARD-Vorhersage?

Dr. Yvonne Schroth: Natürlich stehen wir in Konkurrenz. Allerdings befinden sich beide Institute auf einem so hohen Präzisionsniveau, dass die Unterschiede meistens nur im Zehntelbereich liegen. Dennoch legen sowohl wir als Institute, als auch unsere Auftraggeber Wert darauf, besser als die Konkurrenz zu sein.

Wie wichtig ist das Projekt für die Forschungsgruppe wirtschaftlich betrachtet?

Dr. Yvonne Schroth: Das ist selbstverständlich sehr wichtig, denn das ist unser Aushängeschild. Umfrageinstitute, die Meinungsumfragen anbieten können, gibt es ja bekanntlich viele. Aber es gibt wenig Institute, die in der Lage sind, einen Wahltag mit Hochrechnungen und einer 18 Uhr Prognose zu beschreiten. Denn beides, Hochrechnungen und der Exit Poll, ist von den Stichproben bis zur Auswertung der Daten ohne unsere Erfahrungswerte in der gewohnten Genauigkeit meines Erachtens nicht zu leisten.

Dr. Yvonne Schroth ist eine der Teilnehmerin an der Podiumsdiskussion "16 Tage vor der Bundestagswahl – Die Rolle der Demoskopie für Wahlen" , die im Rahmen der GOR am 10. September stattfinden wird. Mit ihr gemeinsam diskutieren unter der Moderation Holger Geißler, marktforschung.de, Prof. Dr. Carsten Reinemann, LMU München, und Prof. Dr. Oliver Strijbis, SNF Förderungsprofessor am Institut für Politikwissenschaft, Universität Zürich Wahlen e.V.

Über die Person:

Dr. Yvonne Schroth, Mitglied des Vorstands – Forschungsgruppe Wahlen e.V. (Bild: Forschungsgruppe Wahlen)
Dr. Yvonne Schroth studierte von 1990-1995 Soziologie an der Universität Heidelberg, anschließend war sie von 1995-1998 als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie tätig. 1999 promovierte sie dort und war bis 2007 Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Forschungsgruppe Wahlen e.V..  Seit 2007 ist sie Mitglied des Vorstands der Forschungsgruppe Wahlen e.V..

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