Kolumne von Dr. Johannes Kirsch Der Net Promoter Score: Mysterium, Waffe oder Indikator?

Ein Paketservice fand heraus, dass es die Kunden enttäuschte, wenn der Zusteller nicht mit einem Lächeln das Paket übergibt. (Bild: Deutsche Post AG)
Die NPS-Standardfrage lautet: „Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie unser Produkt (Brand/Touchpoint) einem Freund oder Kollegen weiterempfehlen?“ Für Fred Reichheld, dem Entwickler des Net Promoter Score, ist dies die einzig wichtige Frage. Eigentlich ist die Frage älter, aber Reichfeld hat sie zum Kult gemacht. 2003 zum ersten Mal formuliert, ist sie mittlerweile eine Art Goldstandard in der Kundenzufriedenheitsmessung. Sie entscheidet in den USA sogar über Aktienkurse, weil man glaubt, dass eine gute Kundenbindung Umsatz und Marge sichert. Und genau das lässt die Kennzahl fragwürdig erscheinen, denn sie wird instrumentalisiert, missbraucht.
NPS als Waffe
Der NPS wird schon lange als Instrument zur Überwachung der ausgelagerten Kundenservicecenter genutzt. Das hat ihn zur Waffe gemacht: NPS-Werte werden dem Kundenservice vorgegeben, die Zielerreichung beziehungsweise Verfehlung geahndet. Der NPS wird täglich pro Agent und Kontakt ermittelt und wöchentlich muss der Betreiber des Servicecenters in den „Score-Meetings“ den Wert begründen.
Kennen Sie das Goodhartsche Gesetz? „Jede beobachtete statistische Kennzahl ist nur zu gebrauchen, solange auf sie kein Druck ausgeübt wird.“ Seine Gültigkeit wird in jedem Meeting offensichtlich. Die Strategie ist einfach: Der Agent bekommt den Auftrag, im Kontakt auf jeden Fall dafür zu sorgen, dass der Kunde wieder in Stimmung kommt. Kurzfristig kann das funktionieren. Aber bleiben die vom Kunden „angemahnten“ Prozesse bestehen, kippt die Stimmung sehr schnell wieder ins Negative.
Das zeigt sich an den Ergebnissen der Messungen: Sie sind – wie nicht anders zu erwarten – höchst volatil.
NPS als Mysterium: Messen und vergessen
Es gibt regional spezifische Besonderheiten. So heißt es zum Bespiel im Schwabenland oder der Schweiz: „Nicht gescholten ist gelobt genug“. Wir Deutschen kennen eigentlich keine 10er Skalen und eine Eins ist für unsere Schüler in der Regel die Bestnote.
Amazon führt in einem von mir gefunden Benchmark der NPS-Werte mit einem Score-Wert von +43 an. Die Banken sind ab Position 29 gelistet. Die Deutsche Bank führt mit -8 die Liste der hier aufgeführten Banken an. Meines Erachtens ist ein solches Ranking absurd. Banken und Online-Händler: Zwei völlig unterschiedliche Geschäftsmodelle werden miteinander verglichen. Der Score-Wert bleibt ohne Indikation, denn er gibt nichts preis über die möglichen Ursachen. Hier gilt: Ohne Ziel hilft dem Segler der beste Wind nicht.
Der Wert sagt uns zunächst nur: Bankkunden sind eher unzufrieden mit ihrer Gesellschaft als Kun-den mit einer Online-Handelsplattform. Hat das nun Auswirkungen auf das Verhalten der Kunden? Betrachtet man die Wanderungsbewegungen im Bankensektor, so lautet die Antwort: Nein!
Jetzt beginnt die Arbeit: Zu analysieren wäre, was die Unzufriedenheit der Kunden mit den erwirtschafteten Deckungsbeiträgen einer Bank zu tun hat. Dazu müssten wir wissen, was die Anlässe der Bewertung waren. Ist es gegebenenfalls das generelle Vorbehalt gegen Banken – sie wollen ja immer nur unser „Bestes“ – oder sind es konkrete Erlebnisse, die dieses Ergebnis produzieren? Sind es konkrete Kontaktanlässe, die den Score-Wert bestimmen? Dann müsste sich das indikativ an den Betriebskosten der Bank zeigen: Unzufriedene Kunden treten öfter in Kontakt und kosten mehr Arbeit.
Der NPS-Wert bleibt ein Mysterium, wenn wir nicht versuchen, die Kennwerte im Einzelnen zu bestimmen. Zur Bestimmung der Werte müssen wir uns ansehen, welche Anlässe es waren, die der Erhebung vorausgegangen sind. So lernen wir die Hebel kennen, die wir brauchen, um den NPS-Wert aktiv zu steuern.
NPS als Indikator: Er belohnt oder bestraft
Eine Kennzahl als Score-Wert (das heißt eine aus Kennzahlen gebildete Kennzahl), auf die man sich einigen kann, kreiert eine Benchmark. Sie ermöglicht Vergleichbarkeit und macht Abweichungen schnell sichtbar. Sonst geschieht nichts, es sei denn, wir wissen, was wir für den Score-Wert getan haben.
Ein Unternehmen, mit dem man keine gute Beziehung unterhält, welches keinen Ort für schöne Erlebnisse bietet, wird niemandem weiterempfohlen. Das wäre die Wirkung, identifiziert werden müssen nun die Ursachen. Das ist die Analyse-Arbeit, die intern zu leisten ist. Dann misst der NPS effektiv etwas: Die geleistete Arbeit. Er belohnt oder bestraft den persönlichen Einsatz aller an den Arbeits- und Leistungsprozessen beteiligten. Er entwickelt sich in eine positive Richtung, wenn die richtigen Maßnahmen ausgewählt wurden. Alle wissen aufgrund der von ihnen investierten Arbeit, was ihre persönliche Leistung mit dem erreichten NPS-Wert zu tun hat.
NPS verstehen: zuhören, was der Kunde erlebt
Kundenzufriedenheit ist das Ergebnis harter und kundenfokussierter Arbeit. Oft sind es Kleinigkeiten, welche die Erwartungen der Kunden enttäuschen. Ein Paketservice fand heraus, dass es die Kunden enttäuschte, wenn der Zusteller nicht mit einem Lächeln das Paket übergibt. Ein Versicherer musste feststellen, dass eine Schadenbearbeitung, die länger als zehn Tage dauert, zu Unzufriedenheit führt. Aus den Telefongesprächen mit den reklamierenden Kunden fand er heraus: Nicht die Zeit, sondern die Ungewissheit verärgerte die Kunden.
Ein einfacher Hinweis auf die zu erwartende Bearbeitungszeit erhöhte die Zufriedenheit signifikant; hatte der Kunde dann vor der avisierten Zeit sein Geld erhalten, war er angenehm überrascht und wurde gegebenenfalls zum begeisterten Fan, zum „Promotor“.
Ob NPS, CSAT (Customer Satisfaktion Score) und FCR (Fist Contact Resolution rate) oder was auch immer man erfinden will an relevanten Kundenbewertungen, wichtig ist, dass man versteht: Man muss die innere Organik, die Prozesse, das eigene Verhalten analysieren, um den Kunden zu verstehen und um Veränderung zu gestalten. Für den Vorstand reicht es, wenn er die Veränderung, die Entwicklung sieht. Der Manager muss aber wissen, welcher Arbeit mit welchen Kosten eine Wert-Steigerung zu verdanken ist. Manche Unzufriedenheit können beide Seiten gut aushalten, ohne dass Margen verloren gehen.
Über die Person
Dr. Johannes Kirsch studierte Soziologie und ist in einem Strukturvertrieb für Versicherungen ins Berufsleben gestartet. Ebenfalls bei einem Versicherer baute er die Marktforschung vertriebsnah mit auf und wechselte in den Direktvertrieb. Heute arbeitet er als Berater für Inhouse wie Outsourcing-Partner Kundenservicecenter. Sein Schwerpunkt war und ist in allen Funktionen die Entwicklung und Erhaltung von Kundenbindung und die prozessorientierte Qualitätssteuerung im Kundendialog.
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