Applied Science Der Net Promoter Score: Praxiserfolg und wissenschaftliche Skepsis

Kundenzufriedenheit ist wohl für jedes Unternehmen ein wichtiges Ziel. Um diese zu messen, wird oftmals der Net Promoter Score verwendet. (Bild: picture alliance / Zoonar | Robert Kneschke)
Es ist im angewandten Marketing oder der Marktforschung unmöglich, noch nie über das Konstrukt des Net Promoter Score (NPS) gestolpert zu sein. Immerhin zwei Drittel der 1.000 größten amerikanischen Unternehmen verwenden den NPS, um herauszufinden, wie glücklich die Kundschaft mit den eigenen Leistungen ist.
Suchergebnisse bei Google nach “Kundenzufriedenheit messen” produzieren reihenweise Listen, auf denen der NPS als bewährtes und verlässliches Maß meist ganz oben steht. Und seien wir ehrlich: Es tut ja manchmal auch ganz gut, eine vermeintlich bewährte Methode verwenden zu können, die wir niemandem gegenüber rechtfertigen müssen, oder? Man macht das halt so. Umso erstaunlicher, dass ebendiese Methode zur Messung von Kundenzufriedenheit in der “echten” Marketingforschung ein weitaus weniger populäres und kritisch beäugtes Dasein fristet.
Der Net Promoter Score ist jung. Er entwächst im kommenden Jahr dem Teenageralter, feiert also seinen 20. Geburtstag.
Im Jahr 2003 wurde er vom Management Consultant Frederick Reichheld in einem berühmten Harvard Business Review-Artikel vorgestellt. Das Prinzip hinter dem NPS ist schnell erklärt. Man lässt Zielgruppen auf einer Skala von 0 (niedrig) bis 10 (hoch) beantworten, “wie wahrscheinlich sie ein Produkt oder eine Dienstleistung einer Freundin oder einer Kollegin empfehlen würden”. Die Antwortenden werden dann in drei Kategorien unterteilt:
- 9-10: Promotoren
- 7-8: Passive
- 0-6: Kritiker
Der NPS selbst ergibt sich dann aus der Differenz von Promotoren und Kritikern geteilt durch die Stichprobengröße. Reichheld und seine Kollegen ließen sich bei der Entwicklung vom amerikanischen Autoverleiher Enterprise inspirieren, der schon sehr früh mit nur zwei Dimensionen die Zufriedenheit seiner Kunden ermittelte. Das Team aus Unternehmensberatern um Reichheld entwickelte die NPS-Methode auf Basis echter Kundendaten zu Umsätzen, Käufen, Wiederholungskäufen und Weiterempfehlungen in unterschiedlichen Branchen, die mit bestehenden Zufriedenheitsmessungen genau dieser Kunden verknüpft werden konnten.
Ihre Untersuchungen zeigten, dass die Frage nach der Wahrscheinlichkeit einer Weiterempfehlung in fast allen Branchen die höchste Aussagekraft über Wiederkäufe und tatsächliche Referrals und das Umsatzwachstum hatte.
Ein Blick in Google Trends verdeutlicht die wachsende Popularität von NPS seitdem. In der folgenden Abbildung haben wir zur Illustration die Suchhäufigkeiten des Net Promoter Score bei Google seit 2004 mit der Suchhäufigkeit nach dem American Consumer Satisfaction Index (ACSI) – dem Goldstandard der etablierten Indizes für Kundenzufriedenheit in den USA – verglichen.
Und das sagt die Forschung zum Net Promoter Score
Kurz nach der Vorstellung gingen einige Forscher der Frage nach, ob der NPS tatsächlich so gut und überlegen darin ist, Umsatzwachstum und weitere relevante Leistungsdimensionen vorauszusagen. Besonders frühe Arbeiten, die zum Beispiel im renommierten Journal of Marketing erschienen, ziehen ein kritisches Fazit. So konnte gezeigt werden, dass klassische Indizes für Kundenzufriedenheit wie ACSI in den meisten Branchen sehr wahrscheinlich besser geeignet sind, Umsatzwachstum vorherzusagen.
Für den NPS konnte eine solche Vorhersagefähigkeit im überwiegenden Teil der Studien nicht nachgewiesen werden. In den vergangenen 19 Jahren sind weitere Kritikpunkte hinzugekommen.
Die in unseren Augen wichtigsten davon sind in der folgenden Übersicht aufgeführt.
Wir konzentrieren uns in dieser Kolumne jedoch auf zwei jüngere Artikel, von denen sich der Erste dem NPS mit einer empirischen Fragestellung nähert und der Zweite aus theoretischer Perspektive einen kritischen Blick auf den NPS wirft.
Ein Team um Sven Baehre stellte dieses Jahr im Journal of the Academy of Marketing Science eine empirische Untersuchung vor, in der die Vorhersagekraft des NPS für das Umsatzwachstum erneut untersucht wird. Das Forschungsobjekt sind hierbei sieben Sportmarken, die in den USA im Wettbewerb stehen und für die über einen Zeitraum von fünf Jahren monatliche NPS-Messungen und quartalsweise Umsatzzahlen über Paneldaten zur Verfügung stehen.
Das Besondere an der Untersuchung ist, dass NPS nicht nur von Kunden, sondern auch von Nicht-Kunden der Brands gemessen wurden. Dies ermöglicht den Forschern die prognostische Eignung der klassischen NPS zur Vorhersage von Umsatzwachstum mit der sogenannten Brand Health zu vergleichen, bei der auch der NPS von Nicht-Kunden, also aus der gesamten potenziellen Zielgruppe, berücksichtigt werden.
Lücke zwischen praktischer Relevanz und wissenschaftlicher Aufmerksamkeit
Zunächst bestätigt das Team vorherige empirische Befunde, dass der klassische NPS nicht geeignet scheint, Umsatzwachstum für ein Folgequartal vorherzusagen. Allerdings zeigt die Untersuchung, dass die Veränderung des NPS unter allen tatsächlichen und auch potenziellen Kunden im Sinne der Brand Health im Vorquartal ein signifikanter Prädiktor des Umsatzwachstums für ein Quartal ist.
In einem zweiten Artikel untersucht ein Forschungsteam von Neil Bendle die Gründe für die Lücke zwischen praktischer Relevanz und akademischer Aufmerksamkeit für den NPS und identifiziert acht Gründe, warum es nur ein eingeschränktes akademisches Fundament für den NPS gibt.
- Der Forschung mangelt es an Zugriff auf Methoden und Daten praktischer Anwendungen: Zwischen vielversprechenden praktischen und kritischen akademischen, empirischen Befunden klafft eine Lücke. Forschern fehlt zudem Zugriff auf Vorgehen und Daten zu den praktischen Befunden. Schließlich gibt es auch unter den akademischen Untersuchungen wenig methodische Einigkeit. Dies erschwert eine unabhängige und interdisziplinäre Bewertung der Qualität der Methode.
- Das Aufstellen falsifizierbarer Annahmen ist schwierig: Viele Leistungsattribute der Einführung und Nutzung der NPS sind sehr schwer in akademischen Studien zu prüfen. So wird der NPS in der Praxis z. B. als ein wichtiger Treiber “kulturellen Wandels” betrachtet, was mit bestehenden Methoden sozialwissenschaftlicher Forschung nur sehr schwer oder gar unmöglich nachzuvollziehen ist. Das macht NPS “anfällig” dafür, als betriebswirtschaftliches Heilmittel angepriesen zu werden, ohne dass die Heilkraft im strengen wissenschaftlichen Sinn überprüfbar ist.
- Spezifikation der zugrunde liegenden Theorie fehlt: Forschungsarbeiten haben sowohl die Überlegenheit als auch die Unterlegenheit des NPS gezeigt. Stets mangelte es dabei an verlässlichen theoretischen Erklärungen für die beobachteten Unterschiede. Es fehlt an einem robusten Gerüst, welches die unzuverlässigen Ergebnisse bei der Verwendung des NPS erklären kann. Dies sollte auch für Manager relevant sein, weil es dabei helfen würde, den NPS im richtigen Kontext anzuwenden.
- Erste Eindrücke zählen: Der NPS wurde als uneingeschränkte Erfolgsgeschichte in einem wichtigen Meinungsgeber für Manager, dem Harvard Business Review vorgestellt. Besonders vor dem Hintergrund danach folgender wechselhafter Urteile wirkt dieser starke erste Eindruck weiterhin in der Praxis nach.
- Manager und Forscher sprechen unterschiedliche Sprachen: Die Umgangssprache von Forschern kann leicht dazu führen, dass wichtige Aussagen bei Praktikern nicht ankommen. “Es fehlt an Unterstützung für die Annahme…” ist eine starke Aussage in einem Forschungsartikel, kann jedoch in der Wahrnehmung der Praxis eher übersehen oder unterschätzt werden.
- Forscher legitimieren Behauptungen implizit: In vielen Forschungsarbeiten zum NPS werden besonders in Abstracts oder Einführungen seine Erfolge oder Vorteile aufgeführt, ohne gleichzeitig oder im gleichen Kontext die entsprechenden Kritikpunkte anzuführen. Das kann implizit dazu führen, dass diese scheinbaren Argumente für die Nutzung des NPS unkritisch übernommen werden.
- Scheinbare Beweise begründen zentrale Annahmen: Es gibt nicht zwangsläufig einen Zusammenhang zwischen der Änderung einer Metrik (NPS) und der Änderung hin zu einem gewünschten Kundenverhalten. Dies ist insofern wichtig, da ein oft betonter Zusammenhang zwischen NPS und Profitabilität empirisch unbelegt ist.
- Abhängige Variablen werden für gute Stories gewählt: Der NPS wird mit einer Vielzahl möglicher Leistungsziele assoziiert: Gewinne, Kundenwachstum, Umsatzsteigerung usw. Dies kann besonders im Rahmen von praktischen empirischen Arbeiten leicht zur Auswahl interessanter signifikanter Zusammenhänge zwischen möglicherweise relevanten Leistungszielen und dem NPS führen. So entstehen fälschliche positive Befunde, die zwar gute Geschichten, aber keine belastbaren Wahrheiten ergeben.
Wrap-up & Take-Aways
Wie wahrscheinlich ist es, dass wir den NPS unseren befreundeten Marktforschenden weiterempfehlen würden? Zugegeben, eine schwierige Frage!
Ist der NPS, wie ursprünglich von Reichelt proklamiert, “the one number you need to grow”? Wahrscheinlich nicht. Der Beweis eines verlässlichen Einsatzes des NPS, um wichtige Dimensionen des Unternehmenserfolgs vorherzusagen, steht aus. Zudem liefert der NPS in seiner Reinform keine qualitativen Anhaltspunkte für die Verbesserung von Produkten und Dienstleistungen.
Vielversprechender scheint das Konzept der Brand Health.
Die Studie von Baehre et al. zeigt uns, dass der NPS zur Vorhersage des Umsatzwachstums nur für kürzere Zeiträume (von Quartal zu Quartal) und gemessen unter der gesamten potentiellen Zielgruppe geeignet sein kann. Hierbei ist ebenso bemerkenswert, dass der NPS hier gleichartig über einen langen Zeitraum in vergleichbaren Situationen erhoben wurde. Das ist insofern eine wichtige Beobachtung, da der NPS in der Praxis oft in besonders positiven, negativen oder anders nicht unbedingt repräsentativen Momenten einer Anbieter-Kunden-Beziehung erhoben wird, was ebenfalls häufig kritisiert wird.
Abschließend wollen wir erwähnen, dass es für viele der oben geschilderten Kritikpunkte erste spannende, praktische Ansätze gibt, mit denen Unternehmen sinnvoll und idealerweise in kompetenter wissenschaftlicher Begleitung den eigenen Einsatz des NPS hinterfragen und vor allem optimieren können. Nicht umsonst möchte das International Journal of Market Research im kommenden Jahr zum zwanzigsten Geburtstag des NPS ein Special Issue herausgeben und lädt zu spannenden Forschungsbeiträgen ein. Wir freuen uns schon auf die Lektüre!
Über die Personen
Prof. Dr. Michael Fretschner ist Co-Gründer der smart impact GmbH und Professor für Marketing & E-Commerce an der NORDAKADEMIE Hochschule der Wirtschaft.
Prof. Dr. Jan-Paul Lüdtke ist Co-Gründer der smart impact GmbH sowie Professor und Studiengangsleiter für E-Commerce an der Fachhochschule Wedel.
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