Zur Geschichte des Testmarkts in Haßloch Der Mythos Haßloch als Durchschnittsgemeinde

Der Testmarkt in Haßloch schließt Ende Dezember. Die Haushaltskarte der GfK gehört bald der Vergangenheit an. Was ist dran am Mythos von Deutschlands Durchschnittsgemeinde? (Bild: picture-alliance/ dpa | Uli Deck)
Der Mythos um die deutsche Durchschnittsgemeinde
Es gibt diverse Mythen über Marktforschung. Einer der Bekanntesten ist der Mythos, dass die verbandsfreie Gemeinde Haßloch, im Dreieck zwischen Ludwigshafen, Speyer und Neustadt an der Weinstraße gelegen, stellvertretend für Deutschland wäre, sozusagen eine Miniaturausgabe. Dieser Mythos war u. a. dafür verantwortlich, dass alle vier Jahre vor einer Bundestagswahl zahlreiche internationale Kamerateams in die 20.000 Einwohner starke Ortschaft kamen, um zu dokumentieren, wie das Leben und die Situation in Deutschland aussah.
"Immer wieder waren nationale und internationale Medien im Großdorf zu Gast, um zu berichten. Im Vorfeld von Bundestagswahlen haben vor allem internationale Medien versucht, ihren Lesern Deutschland anhand von Haßloch zu erklären. [...] Aus Sicht der Gemeinde waren solche Anfragen äußerst interessant, die es ohne den Titel „Deutsche Durchschnittsgemeinde“ in dem Ausmaß vermutlich nicht gegeben hätte.",
äußert sich Tobias Meyer, der Bürgermeister von Haßloch, zu dem besonderen Image seiner Gemeinde.
Die Bedeutung des Kabelpilotprojekts Rheinland-Pfalz für die Wahl Haßlochs
Der Mythos um das Dörfchen Haßloch begann 1986 mit der Entscheidung der GfK einen Testmarkt für Deutschland in dem Städtchen am Rand des Landkreis Bad Dürkheim zu errichten. Das Vorbild für den Haßlocher Testmarkt stammte von dem 1979 gegründeten amerikanischen Marktforschungsunternehmen IRI, die die Scanner-Technologie in die Marktforschung einführten. Die ersten BehaviorScan-Testmärkte entstanden in den USA, danach folgten in Kooperation mit der GfK der Testmarkt in Haßloch, sowie zwei Testmärkte in Frankreich.
Vorgängermodell des BehaviorScan: Das GfK-ERIM-Panel
Das Ziel war es, die Schwächen des damals bestehenden GfK-ERIM-Panels zu überwinden. Beim GfK-ERIM-Panels wurden einzelne große Märkte und anwohnende Haushalte gewonnen, deren Einkäufe durch Eingabe einer Kenn-Nummer an der Kasse erfasst wurden. Methodische Schwäche des Ansatzes war, dass alle Einkäufe, die die Panel-Haushalte bei anderen Geschäften tätigten, nicht erfasst werden konnten. Außerdem war in diesem Panel keine Einspielung von TV-Werbung zu Testzwecken möglich (Berekhoven, et al., 1991).
Wie kam es zur Auswahl von Haßloch?
In der engeren Auswahl standen damals drei Standorte, die allesamt im Gebiet des Kabelpilotprojekts Rheinland-Pfalz lagen, so der langjährige Leiter des GfK-Testmarkts und spätere Chef von YouGov Deutschland, Andreas Sperling. Das Kabelpilotprojekt Rheinland-Pfalz begann 1984 zunächst in Ludwigshafen und erstreckte sich räumlich bis Edenkoben.

Die Auswahl von Haßloch war eng verbunden mit dem Kabelpilotprojekt in Rheinland-Pfalz, dass 1984 in Ludwigshafen gestartet wurde. (Bild: picture-alliance / dpa | Maydell)
Der bekannteste Ludwigshafener Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl und der Medienmogul Leo Kirch waren zwei der Unterstützer des Projekts, dass zunächst mit 2.600 angeschlossenen Haushalten begann und bis Projektende 1986 78.000 Haushalte umfasste. Darunter die Haßlocher Haushalte, aus denen die Stichprobe für den Testmarkt gezogen wurde. Das Kabelpilotprojekt war deshalb entscheidend, weil dadurch die Möglichkeit gegeben war, einem Teil der Haushalte in Haßloch spezifische Werbeblöcke ins laufende TV-Programm live einspeisen zu können.
Die Bedarfsdeckung vor Ort
Neben dem Kabelprojekt war für die Wahl Haßlochs die hohe Bedarfsdeckung unmittelbar vor Ort ausschlaggebend, d. h. die Haßlocher fanden in ihrer Gemeinde ausreichend Möglichkeiten Güter des täglichen Bedarfs einzukaufen.
"Als einmal ein großer Verbrauchermarkt im Nachbarort Neustadt an der Weinstraße aufmachte, hatte die GfK kurzfristig ein Coverage-Problem, weil die Haßlocher in Scharen dort einkauften.",
erinnert sich der ehemalige GfK-Mitarbeiter Andreas Sperling weiter.
Ein weiterer Grund war die begrenzte Anzahl der Haushalte, die zur Verfügung standen. Aus 9.000 Haushalten konnte die Stichprobe für den Testmarkt bestehend aus 3.000 Haushalten problemlos gezogen werden. Auf Seiten des Einzelhandels wurden langfristige Kooperationen mit sieben Lebenmitteleinzelhändler abgeschlossen, so dass je nach Warengruppe bis zu 95 Prozent des LEH-Umsatzes von Haßloch abgedeckt werden konnte (Berekhoven et. al, 1991).
Was hat es also mit dem Mythos der Durchschnittsgemeinde auf sich?
Die Gründe, warum die GfK sich damals für den Standort Haßloch entschied, hatte wenig damit zu tun, dass Haßloch die durchschnittlichste aller Gemeinden in Deutschland gewesen wäre. Dass drei Orte aus dem Kabelpilotprojekt Rheinland-Pfalz in der finalen Auswahl waren, unterstreicht die Bedeutung des Kabelpilotprojekts für die Entscheidung. Die hohe Bedarfsdeckung vor Ort war ebenfalls ausschlaggebend.
Nichtsdestotrotz ist das Etikett „Durchschnittsgemeinde“ für die Akzeptanz des GfK-Testmarkts und den Ort Haßloch selbst ausgesprochen nützlich gewesen. Auch für die Kunden, die vorrangig unter den FMCG-Herstellern zu finden waren, dürfte das Etikett beim schnellen Durchwinken von Projektaufträgen hilfreich gewesen sein.
Lesen Sie im nächsten Teil unserer dreiteiligen Artikelserie, warum der Testmarkt in Haßloch über lange Zeit eine methodisch fast schon perfekte Lösung darstellte, lange hochprofitabel war und weshalb sich die GfK dennoch dazu entschieden hat, den Standort am Ende des Jahres zu schließen.
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