Dr. Gunnar Grieger, Splendid Research Der Einfluss von Corona auf die Marktforschungsbranche
Die typische Folge einer Rezession ist eine Budgetreduzierung in allen Bereichen. Auch die Marktforschungsgbudgets sind hiervon betroffen, um intern finanzielle Löcher in produktionsrelevanten Bereichen zu stopfen. Insofern ist von einem Aufschieben oder gar einem anhaltenden Rückgang von Ad-hoc-Projekten auszugehen, bis Budgets wieder für Marktforschung eingesetzt werden.
Stop von qualitativen Projekten wie Face-to-Face und Mystery Shopping
Während quantitative Projekte sich zum Teil aus der Distanz durchführen lassen und – sofern bereits begonnen – zu Ende geführt werden, ist bei qualitativen Projekten mit einem unmittelbaren Stop sowohl aus organisatorischen als auch pragmatischen Gründen zu rechnen, da Mitarbeiter der Kunden nicht zu qualitativen Projekten reisen können und Probanden ggf. ihre Wohnungen gar nicht verlassen (wollen), um etwa in einer Fokusgruppe mit fremden Menschen in einem Raum teilzunehmen.
Zahlreiche Untersuchungen wie F2F-Interviews oder Mystery Shopping lassen sich vor dem Hintergrund der das öffentliche Leben einschränkenden Maßnahmen nicht mehr durchführen und werden daher bis auf weiteres nicht mehr nachgefragt.
Marktforschung ist eine typische zyklische Industrie. Sofern Werbekampagnen abgesagt werden, Produkteinführungen gestoppt werden, Geschäfte geschlossen sind, entfallen Gründe, Marktforschung durchzuführen. Gleichwohl gibt es in jeder Krise auch Gewinner bei nachgefragten Leistungen. Budgetrestriktionen, wegfallende Posten für betriebliche Forscher und somit fehlendes Know-how könnte die Nachfrage nach Lösungen aus dem Bereich DIY-Marktforschung erhöhen.
Hin zu Onlineumfragen
Bei den Durchführungsmethoden ist von einer Reduzierung von solchen qualitativen und quantitativen Studien auszugehen, die eine Präsenz von Forschern und Befragten erfordern. Diese sind schlichtweg nicht durchführbar.
Wir gehen davon aus, dass die Folge ein Wechsel auf eine Onlinedurchführung ist, der weitgehend anhält, weil Auftraggeber feststellen, dass so gewonnene Ergebnisse nicht besser und nicht schlechter sind und häufig mit geringeren Kosten einhergehen.
Sofern Durchführungsformen nicht digital kompensierbar sind, wie etwa Sensorik Labs oder Massenveranstaltungen wie Car Clinics, besteht sogar die (wenn auch von uns als weniger wahrscheinlich eingestufte) Möglichkeit, dass unter dem Primat der Seuchen-Prävention zukünftig gänzlich auf solche Methoden verzichtet wird, um als Dienstleister nicht öffentlich als Gefährder eingestuft zu werden.
Wir gehen davon aus, dass der technologische Wandel im digitalen Marktforschungsbereich eine erhebliche Beschleunigung erfährt, um den neuen Rahmenbedingungen gerecht zu werden. Realsimulationen wie beispielsweise Shelf Tests, Shopper Experience oder Car Clinics können möglicherweise durch VR-Lösungen ersetzt werden und gleichzeitig mittelfristig zu einer Kostenersparnis bei den Auftraggebern führen. Bei erhöhtem Ressourceneinsatz in diesem Bereich wird auch das Angebot wachsen, was wiederum in einer höheren Qualität bei sinkenden Kosten resultiert. Insofern bestehen hier Chancen für neue Durchführungsformen.
Wird die Teilnahmebereitschaft von Probanden steigen?
Zumindest für die Zeit von Ausgangssperren, aber auch in Zeiten von anhaltender Kurzarbeit könnte die Teilnahmebereitschaft von Probanden steigen, um die Zeit sinnvoll zu nutzen. Vielleicht ist das aber auch nur Wunschdenken von uns, um unsere KPIs bzgl. Panelist Life Time und Return of Panelist zu steigern. Gleichwohl gehen wir davon aus, dass eine Steigerung der Vielfalt des Teilnahmeangebots, wie VR, Onlineumfragen, Audio Surveys oder Online-Fokusgruppen, die Teilnahmebereitschaft für alle Durchführungsformen förderlich sein dürfte.
Wir gehen als Folge sinkender Marktforschungsbudgets, vermehrter Nutzung von DIY-Lösungen und einer anzunehmenden gesteigerten Nachfrage nach digitalen Durchführungsformen von einer bezeichnenden Marktbereinigung auf Seiten von Instituten, Felddienstleistern und beratenden Marktforschungsunternehmen aus. Die Ablösung von traditionellen Durchführungsformen durch neue, auf Technologieeinsatz basierenden Lösungen, war auch vorher schon absehbar. Wir sind von einer langsameren Entwicklung ausgegangen, die sich bis zum Ende des Jahrzehnts sukzessive vollzogen hätte. Durch die derzeitige Situation wird diese Transition erheblich beschleunigt.
Coronakrise: Welche Marktforschungsanbieter am meisten betroffen?
Anbieter, die nicht die gesamte Wertschöpfungskette (Konzeption, Durchführung und Analyse) bedienen können und auf Zukäufe von Teilleistungen angewiesen sind, werden es bei rückläufigen Budgets und einem möglichen Preiskampf noch schwerer haben. Insofern werden es beispielsweise Institute, die kein eigenes Feld haben, sowie reine Felddienstleister schwer haben, da sie wichtige Ergebnisbeiträge aus den jeweils fehlenden Bereichen nicht generieren können. Der entsprechende Aufbau solcher Kompetenzen und Assets ist kurz- und mittelfristig nur mit erheblichem Kapitalaufwand und organisatorischen Mühen zu leisten. Neben Anbietern mit Effektivitätsnachlässigkeiten aus den vergangenen Jahren werden aber auch solche Unternehmen schwer getroffen werden, die ihre Prozesse nicht durchgängig optimiert haben (Effizienz). Sie werden nur schwer positive Ergebnisbeiträge generieren können.
Zunächst weniger betroffen dürften diejenigen Unternehmen sein, die langfristig laufende Verträge mit ausreichenden regelmäßigen Einnahmen generieren, etwa aus Lizenzen oder Trackingstudien.
Für alle Anbieter von Marktforschung besteht ab sofort ein erhöhtes Cash Flow Risiko. Marktforschung ist je nach Sichtweise eines Unternehmens am Ende der allgemeinen Wertschöpfungskette angesiedelt. Neben Zahlungsausfall durch Insolvenz der Auftraggeber besteht die Gefahr, dass Rechnungen nicht oder nicht vollständig oder mit erheblicher Verzögerung bezahlt werden, damit der Auftraggeber sein eigenes Cash Flow sichert, um sich wiederum am Leben zu erhalten. Hier besteht ein hohes Risiko, dass Institute, Berater und am Ende Felddienstleister, wo die Datenerhebung (Wertschöpfung) stattfindet, gravierende Zahlungsausfälle zu verbuchen haben. Fraglich ist, ob die Kassen der verschiedenen Anbieter entlang der Wertschöpfungskette ausreichend gefüllt sind oder es gar zu einem Dominoeffekt kommt.
Die Folge rückläufiger Aufträge in einem bestehenden Wettbewerbsumfeld ist häufig ein Preiskampf, um eigene Umsätze zu sichern oder weitere erforderliche zu generieren, die Personal- und Gemeinkosten decken. Hier bleibt nur zu hoffen, dass sich der Preiskampf nicht ruinös gestaltet und ein Preisverfall die ohnehin schon geringen Margen der Branche vollständig aufzehrt und ein Anheben der Preise zu einem späteren Zeitpunkt erheblich erschwert oder gar unmöglich macht.
Die Krise führt mit jedem Tag, an dem noch kein Ende absehbar ist, zu einer massiven Verunsicherung der Belegschaften. Zum einen ist da die Angst vor dem Coronavirus, zum anderen die vor einem Arbeitsplatzverlust aufgrund rückläufiger Aufträge oder (eigentlich schützender) Maßnahmen wie Kurzarbeit. Dies könnte zu einem fluchtartigen Wechsel in solider aufgestellte Unternehmen derselben Branche oder aber in andere Branchen führen. Eine Abwanderung von (guten) Mitarbeitern könnte die Leistungsfähigkeit eines Marktteilnehmers erheblich schwächen und eine erforderliche Transformation, hin zu einem marktgerechteren Leistungsportfolio, erschweren.
Sind die "Kriegskassen" ausreichend gefüllt?
Wir gehen davon aus, dass es zu einer massiven Marktkonsolidierung kommt, die im ersten Schritt kleine, noch nicht eingesessene Start-ups der Branche treffen wird und im zweiten diejenigen, die Forschungsleistungen auf sehr personalintensive Art erbringen. Unsicher sind wir bei mäßig bis breit aufgestellten Anbietern. Hier wird entscheidend sein, ob Effektivität und Effizienz in allen Bereichen der Wertschöpfung mindestens annähernd zukunftssicher gestaltet sind und ob die "Kriegskasse" ausreichend gefüllt ist, um Fixkosten bis zu einem Anstieg der Nachfrage zu decken. Gewinner werden diejenigen Anbieter sein, die technologisch so gut aufgestellt sind, dass niedrige Grenzkosten ein skalierbares Wachstum ermöglichen.
Über den Autor: Dr. Gunnar Grieger ist Gründer und Gesellschafter von SPLENDID RESEARCH und LimeSurvey. SPLENDID RESEARCH ist ein auf Onlinemarktforschung spezialisiertes Marktforschungsinstitut mit eigenen Online Panels in über 70 Ländern. LimeSurvey ist eine Open Source Software zur Durchführung von Onlineumfragen.
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