"Der 'digitale Konsument' ist für viele Unternehmen aktuell noch ein eher unbekanntes Wesen" - Interview mit Katja Rick von TNS Infratest

Katja Rick, TNS Infratest
Katja Rick ist Associate Director bei TNS Infratest. Im Interview mit marktforschung.de äußert sie sich zur Studie "Mobile Club" und erörtert die Implikationen der rasant gestiegenen mobilen Internetnutzung für die Marktforschung.
marktforschung.de: Frau Rick, mit dem "Mobile Club" liefert TNS monatlich Strukturdaten zur Entwicklung der mobilen Internetnutzung in Deutschland. Welche Trends sind aktuell zu beobachten?
Katja Rick: Die steigende Nutzung mobiler Endgeräte und die damit verbundene mobile Internetnutzung ist derzeit sicher einer der prägenden Megatrends für unsere Gesellschaft. Aktuell geben die extremen Zuwächse bei Smartphones und Tablets der mobilen Internetnutzung natürlich auch kräftige Impulse für eine Sonderkonjunktur. Die mobile Internetnutzung erreicht schon jetzt deutlich höhere Steigerungsraten als die "klassische Internetnutzung". In naher Zukunft wird so gut wie jedes neu gekaufte Handy ein Smartphone sein und auch Tablets erfreuen sich steigender Beliebtheit. Wir beobachten einen klaren Trend zur Multi-Device-Nutzung.
Zusätzlich verdeutlichen unsere Studien, dass nahezu alle Onlineaktivitäten durch die Nutzung mobiler Devices stark zunehmen. Derzeit zählen hier vor allem Suchdienste und Soziale Netzwerke zu den Gewinnern. Sämtliche mobilen Dienste, wie Mobile Banking, Mobile Ticketing und Mobile Payment, werden zukünftig noch sehr viel präsenter sein und unseren Alltag prägen.
Bei all der mobilen Euphorie darf man den "digitalen Graben", der sich aktuell noch durch Deutschland zieht, aber nicht vergessen: Die Deutschen sind in der digitalen Welt zwar grundsätzlich angekommen, aber während das Internet für Digital Natives unverzichtbar ist, gibt es auch immer noch Bevölkerungsgruppen, die sich in der Internetnutzung sehr zurückhalten oder ihr verschließen.
marktforschung.de: Stichwort "digitaler Graben": Wie ist denn das methodische Vorgehen beim "Mobile Club" – insbesondere auch im Hinblick auf Repräsentativität?
Katja Rick: Der Mobile Club ist eine kontinuierliche, repräsentative Studie für die deutsche Bevölkerung ab 14 Jahren. Im Rahmen dieser Studie führt TNS Infratest jeden Monat rund 2.000 persönlich-mündliche Interviews durch, um repräsentative Ergebnisse und stets aktuelle Strukturdaten zur Entwicklung der mobilen Internetnutzung in Deutschland zu gewinnen.
Gerade in Hinblick auf die eben angesprochene digitale Spaltung unserer Gesellschaft erlaubt uns ein bevölkerungsrepräsentativer Ansatz auch diejenigen Personen zu befragen, die aktuell noch nicht das Internet nutzen und auch nicht über ein mobiles Endgerät verfügen. Diese Zielgruppen sind natürlich auch für unsere Kunden interessant, wenn es darum geht, die weiteren Entwicklungen in diesem extrem dynamischen Feld abzuschätzen. Das Konzept des Mobile Clubs ermöglicht es unseren Kunden ferner, monatlich individuelle Fragen zu integrieren.
marktforschung.de: Welches Nutzerverhalten ist darüber hinaus zu beobachten? In welchen Umgebungen bzw. Situationen werden Smartphones am häufigsten genutzt? Welche Funktionalitäten spielen dabei die größte Rolle?
Katja Rick: Jeder zweite Smartphone-Nutzer nutzt sein mobiles Endgerät immer und überall. Fast alle setzen ihr Smartphone natürlich auch zu Hause ein, aber der Reiz liegt in der mobilen Nutzung: am häufigsten wird der smarte Wegbegleiter als Beifahrer im Auto (74 Prozent), an Bahnhöfen oder Haltestellen (70 Prozent), in öffentlichen Verkehrsmitteln (65 Prozent) oder im Restaurant (65 Prozent) genutzt. Aber auch beim Einkaufen kommen die digitalen Wegbegleiter zu 60 Prozent zum Einsatz und am Arbeitsplatz wird zu 61 Prozent gesurft oder eine App aufgerufen.
Das Nutzerverhalten wird durch das Alter entscheidend geprägt: Während zum Beispiel 20- bis 29-Jährige zu 31 Prozent auch im Restaurant oder Café online sind, nutzen 30- bis 39-Jährige das mobile Endgeräte vornehmlich in Geschäften oder beim täglichen Einkauf. Vor allem die Digital Natives (14- bis 29-Jährige) sind während ihrer Outdoor-Aktivitäten mit ihren Smartphones beschäftigt.
Der Ortsbezug macht im Grunde erst die echte Mobilität aus – daher werden auch Location-based-Services immer wichtiger: standortbasierte Navigations- und Routenplanungsdienste sind aktuell am weitesten verbreitet und weisen insgesamt das größte Nutzungspotenzial auf.
marktforschung.de: Sie sprachen es eben an: Auch wenn der Reiz primär in der Mobilität liegt - ein Ergebnis Ihrer Studie ist ja, dass die Nutzung von Smartphones tatsächlich in starkem Maße zu Hause stattfindet. Welche Implikationen hat dieser Aspekt hinsichtlich der Methoden- bzw. Themenwahl bei Marktforschungsprojekten?
Katja Rick: Der Trend zu mobilen Endgeräten führt zu unterschiedlichen Strömungen in der Internetnutzung und man muss ganz klar zwischen der grundsätzlichen Mobilität eines Endgerätes und der tatsächlichen mobilen Nutzung unterscheiden: Das Smartphone fungiert als individuelle, stark personalisierte, mobile Kommunikationszentrale und wird daher auch stärker unterwegs genutzt. Im Gegensatz dazu werden Tablets stärker zu Hause genutzt und sind eher "in-house-mobil".
Wenn es um Marktforschungsprojekte geht, lassen sich bewährte Ansätze nicht einfach "mobil adaptieren" – es braucht neue Konzepte, ein neues Befragungsdesign und neue Inhalte.
marktforschung.de: Das Thema "Mobile" ist und bleibt in der Marktforschung – die genannten Zahlen zur Nutzung belegen dies – sehr präsent. Was, denken Sie, werden die wichtigsten Entwicklungen der nächsten Zeit sein?
Katja Rick: Auch in der Marktforschung müssen wir uns natürlich bewegen und mobiler werden. Der "digitale Konsument" ist für viele Unternehmen aktuell noch ein eher unbekanntes Wesen. Es gilt zunächst zu verstehen, in welchem Ausmaß die zunehmende mobile Internetnutzung den Alltag der Konsumenten prägend verändern wird. Dies ist nur möglich, wenn wir ein klares Bild haben, warum, wie, wo und wann sich Menschen mobil im Netz bewegen.
Die mobile Internetnutzung bereitet in der Marktforschung den Weg für neue Methoden zur aktiven Datenerhebung, wie zum Beispiel den Aufbau von mobilen Sub-Panels aus bestehenden Online-Panels, Ad-hoc-Befragungen und Diary-Verfahren. Aber auch in der passiven Messung ergeben sich neue Möglichkeiten (mobile behave) sowie im Bereich der "social-interactive" Marktforschung, zum Beispiel (qualitative) Live-Begleitung von Events, Shows, TV-Sendungen, etc. - dies sind sicherlich nur die ersten innovativen Ansätze, die uns die digitale Welt in der Marktforschung eröffnet, um auch zukünftig Veränderungen im digitalen Konsumentenalltag aufdecken zu können.
marktforschung.de: Frau Rick, vielen Dank für das Interview und die interessanten Einblicke!
Weitere Informationen zum Unternehmen auf marktforschung.de:

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