Fed am Limit Der deutschen Marktforschungsbranche drohen neue Krisen
Eine volkswirtschaftliche Analyse von Patrizia Trolese
Nicht nur digitale Geschäftsmodelle und Big Data bedrohen die Marktforschungsbranche weltweit. Börsencrashs und nachlassendes Wirtschaftswachstum in China, der Ölpreisverfall und insolvente Fracking-Unternehmen in den USA halten die Welt dieser Tage in Atem – auch die Marktforscher. Was bedeuten diese Entwicklungen für die deutsche Marktforschung? Steht ein neuer Finanzmarkt-Crash bevor? Ein Blick in die Weltwirtschafts-Geschichte soll dazu beitragen, die volkswirtschaftlichen Mechanismen zu verstehen und eine Prognose zu wagen.
Amerikanische Verbraucher werden internationale "Konjunkturlokomotive"
Ende der 70er Jahre vollbringen Zbigniew Brzezinski und Henry Kissinger das politische Wunder, die amerikanische Wirtschaft im neuen Glanz erstrahlen zu lassen. Durch die hohen Ausgaben der Kennedy-Administration für Soziales und den Vietnam-Krieg sowie die erste Ölkrise galoppierte eine beunruhigende Inflation im Land. Die beiden Präsidentenberater erwiesen sich in dieser prekären Situation jedoch als Meister im Poker um die weltwirtschaftlich strategischen Preise Kreditzins, Wechselkurs, Ölpreis und Löhne. Das große Finanzmarkt-Monopoly, das die späteren Konjunkturkrisen vorbereiten wird, konnte beginnen.
Als die Inflation während der zweiten Ölkrise 1979 bis 1980 sogar zweistellig wurde, katapultierte Paul Volcker, der damalige Fed-Chef, den Leitzins auf bis zu 20 Prozent hoch. Damit stiegen die ausländische Nachfrage nach Dollar und sein Wert beträchtlich. Der gewaltige Kreditschöpfungsapparat der globalen Finanzindustrie konnte Fahrt aufnehmen. Die Ersparnisse aus aller Welt wurden in US-Dollar und -Staatsanleihen konvertiert. Das Geld diente den Amerikanern als Kaufmittel für Öl und als Konsumspritze, indem es in den Finanzsystemen zur Kreditaufnahme für Konsumenten bereitgestellt wurde. Die amerikanischen Verbraucher wurden somit in den 1980er Jahren zur internationalen Konjunkturlokomotive. Insbesondere Deutschland und Japan konnten exportorientiert wachsen.
Und die Haushalte in den USA konsumierten. Die Ärmeren verschuldeten sich. Ihre Ersparnisse investierten die Reicheren in Anbetracht des hohen Leitzinses jedoch lieber in Staatsanleihen statt in die Realwirtschaft und damit in Arbeitsplätze. Seitdem der Wind des Neoliberalismus Milton Friedmans im neuen Gewand des Monetarismus wehte, ist die Ungleichverteilung in den USA dramatisch angestiegen. Die Konsolidierung der Staatsfinanzen durch den Rückbau des Sozialstaats war schließlich die Stoßrichtung der Politik unter Ronald Reagan. Das Wirtschaftswachstum sank, die Arbeitslosigkeit stieg, die Steuereinnahmen schwanden. Die Ausgaben für immer mehr Arbeitslose und das Budgetdefizit wuchsen.
Ende der achtziger Jahre gab die Fed die Inflationsbekämpfung als oberste Maxime schließlich auf. Die Keynesianischen Konzepte Wachstum und Beschäftigung rückten wieder ins Visier der politischen Strategen. Unter Alan Greenspan setzte der Think-Tank den Diskontsatz für drei Jahre auf das niedrigste Niveau seit der Nachkriegszeit und förderte damit eine Dollarabwertung. Hierdurch konnten die USA Marktanteile gewinnen. Arbeitslosigkeit und Budgetdefizit sanken spürbar. Und auch nach Ende der monetaristischen Hochzinspolitik sorgten beständige Nettokapitalimporte für die Finanzierung des Konsums in den USA – vor allem aus den Golfstaaten und zunehmend aus China.
Die Schuld der USA wird Chinas Kapital
Chinas Wirtschaft kam Ende 1992 erst so richtig in Schwung. Noch drei Jahre vorher war Yang Shangkun gemeinsam mit Deng Xiaoping militärisch gegen die pro-demokratischen Demonstranten auf dem Tian'anmen-Platz in Beijing vorgegangen. Für die Wirtschaft nahm er sich jedoch den "Westen" zum Vorbild. Er massierte die Strategie eines exportgeleiteten Wachstums bei hohen Investitionen. Diese wurde von den chinesischen Apparatschiks sodann rigoros umgesetzt und machte jährliche Wachstumsraten des BIP von fast zehn Prozent möglich. Die Leistungsbilanzüberschüsse, vor allem gegenüber den USA, stiegen rapide.
Eine Währung wird bei Leistungsbilanzüberschüssen in einem flexiblen Wechselkurs-System stärker, was den Export wieder hemmt und die Überschüsse ausgleicht. Die chinesische Zentralbank People's Bank of China (PBoC) beseitigte die Diskrepanzen unter den Bedingungen eines fixen Wechselkurs-Systems jedoch, indem sie Geld druckte und durch den Kauf ausländischer Devisen die Zahlungsbilanzen ausglich – hauptsächlich mit US-Dollar. Diese Devisenmarktinterventionen verhinderte eine Aufwertung des Yuan. Der US-Dollar blieb stark.
Zwar schraubte sich der BIP der Amerikaner unbeirrt weiter in die Höhe. Jedoch kam es, korrespondierend mit den Leistungsbilanzüberschüssen Chinas, zu einer dramatischen Verschlechterung der Leistungsbilanzen. Die Fehlbeträge müssen seit Reagan alle amerikanischen Präsidenten durch Kapitalzuflüsse aus dem Ausland finanzieren. Hochzinspolitik, Aufwertung, Ausgabensteigerungen und Steuersenkungen verursachten das "Twin Deficit" in Leistungsbilanz und Staatshaushalt. Das Schuldenwachstum verschob sich bis zum Ausbruch der jüngsten Konjunkturkrise vom öffentlichen in den privaten Sektor.
Billiges Geld treibt Blasen in die Finanzmärkte
Die Tatsache, dass bei niedrigen Zinsen Kapital immer stärker auf dem Finanzmarkt angelegt wurde, führte zum Anschwellen der spekulativen Märkte. Das Platzen der Dotcom-Blase gebar eher eine "Sparschwemme" auf der ganzen reichen, erschrockenen Welt als ein Umdenken. Nach der seelischen Erholung landeten die Weltersparnisse erneut in den USA – dieses Mal im Immobiliensektor. Die Banken hatten sich das billige Geld geliehen und massenweise günstige Kredite an Hauskäufer in den USA vergeben – auch an solche, die nicht kreditwürdig waren. Aber wegen der steigenden Nachfrage stiegen die Immobilienpreise. Das schien eine sichere Investition.
Eine Anhebung des US-Leitzinses des neuen Fed-Chefs Ben Bernanke auf 5,25 Prozent im Juni 2006 löste eine Kettenreaktion aus. Einkommensschwache Schuldner konnten die gestiegenen Raten für ihre variabel verzinslichen Kredite nicht mehr bezahlen und mussten ihr Haus verkaufen. Die Immobilienpreise brachen ein. Die Zahlungsunfähigkeit von Schuldnern bescherte den Banken und Investoren nun Verluste. Im August 2007 stiegen die Aufschläge für Interbankkredite sprunghaft an. Mit der Insolvenz von Lehman Brothers kam der Interbankenmarkt schließlich weltweit zum Erliegen.
Seither hält die Fed den Leitzins niedrig. Zusätzlich kaufte sie zwischen 2009 und 2014 für Billionen Dollar US-Staatsanleihen, indem sie Geld druckte und in die Finanzsysteme pumpte. Mit diesem "Quantitative Easing" sollte die Finanzkrise bekämpft und der Konsum wieder angeheizt werden. Dennoch, Steuerausfälle, Steuersenkungen und Sozialausgaben sowie die Kriege in Afghanistan und dem Irak erhöhten die Staatsverschuldung unter Präsident Barack Obama Ende 2012 auf sagenhafte 16,39 Billionen US-Dollar (etwa 105 Prozent des BIP, Griechenlands Quote liegt bei 175,1 Prozent). Die USA schulden alleine China 1,16 Billionen Dollar.
Trendwende seit 2010 – Der Yuan soll Weltleitwährung werden
Das derzeitige Wachstum und die relativ niedrigen Arbeitslosenzahlen in den USA täuschen. Eine aktuelle Studie vom McKinsey Global Institute zeigt, dass in den Jahren 2014 bis 2019 Wachstumslücken von 0,3 Prozent pro Jahr die Schuldenkonsolidierung der USA verhindern werden. Die schleichende Veränderung der Bevölkerungspyramide, fortwährende Investitionen in Finanz- statt in Realkapital und der höchste Gini-Index als Maß für Ungleichverteilung aller Industrienationen verhindern stärkeren Konsum und Wachstum. Die internationale Konjunkturlokomotive hat ausgedient.
Chinas Exporte sind bereits 2009 eingebrochen. Die Chinesen haben jedoch den Weckruf gehört und damit begonnen, eine eigene konsumfreudige Mittelschicht zu entwickeln. Die Regierung unter Xi Jinping steuert nun um, weg von dem ressourcenintensiven Wirtschaftsmodell, hin zu einem von Binnennachfrage und Dienstleistungen angetriebenen Wachstum. Zwar sind viele chinesische Konzerne hoch verschuldet und stehen vor der Pleite. Aber in der Not springt der chinesische Staat ein, der die großen Konzerne und Banken kontrolliert.
Wenn auch die Wachstumsraten in den neuen Sektoren geringer sind als die der "Werkbank des Westens": Es lockt ein riesiger Markt direkt vor der Haustür. Das ist das neue Ass der Chinesen. Zudem hat die Volksrepublik eine Strategie entwickelt, um den Dollar als Leitwährung abzulösen. Ende 2015 wurde der Yuan bereits vom IWF als zusätzliche Reservewährung geadelt. Seither verkauft die chinesische Zentralbank sogar Dollar-Reserven, um den Yuan zu stärken, obwohl das den Wert des märchenhaften Dollar-Schatzes schmälert. Damit reduzieren sich aber immerhin auch die Schulden der USA.
Chancen und Risiken für deutsche Marktforschungsunternehmen
Der Umbau der chinesischen Wirtschaft wird mit "Friktionen" verbunden sein, die sich auch auf die Wirtschaft der Handelspartner auswirken werden. Kurzfristig drohen deutschen Marktforschern jedoch ganz andere Gefahren. Eine Immobilienblase gefährdet nun auch Chinas Finanzmärkte. Für zahlreiche chinesische Banken machen Hypothekenkredite bereits etwa 40 Prozent des gesamten Kreditvolumens aus. Schon im Juli 2015 gab es Turbulenzen an den hiesigen Börsen, da viele reiche Chinesen aus Angst vor einer Abwertung des Yuan ihr Erspartes in Dollar konvertieren. Fataler Weise haben viele Anleger ihre Aktien auf Pump gekauft. China wird Billionen an Yuan für die Erhöhung der Liquidität im Handel, Konjunkturspritzen und Stützungsmaßnahmen bereitstellen müssen, um den ganz großen Crash verhindern zu können.
Auch aus den USA droht kurzfristig Gefahr. Saudi Arabien möchte mit dem Dumping-Ölpreis seine Konkurrenten in die Knie zwingen, besonders seinen Erzfeind Iran. Aber auch die boomende Fracking-Industrie in den USA leidet. Im dritten und vierten Quartal 2015 haben bereits 20 US-Öl- und Gasfirmen Insolvenz beantragt. "Die Ölkrise könnte auf den Finanzsektor übergreifen", meint der deutsche Börsenexperte Stefan Böhm, Geschäftsführer von ATLAS Research. Die großen US-Banken Citigroup, JP Morgan und Wells Fargo haben bereits ihre Rückstellungen erhöht. Im Fall der Fälle bliebe Janet Jellen, aktuelle Fed-Chefin, als Gegenmaßnahme wohl nur noch ein negativer Zins.
Die Marktforschungsbranche hat auf die Gesetze der neuen, volatilen Wirtschaft bereits reagiert. Sie arbeitet, wie auch andere Professional-Service-Sektoren, zunehmend stärker mit Freiberuflern, um Nachfrageschwankungen ausgleichen zu können. Dieser Trend wird sich voraussichtlich weiter fortsetzen. Zudem sind die Eigenkapitalausstattungen deutscher Marktforschungsinstitute als Puffer bei Krisen in den letzten Jahren auf durchschnittlich 20,1 Prozent der Bilanzsumme gestiegen. Allerdings gelten heutzutage 30 Prozent als "gesund". Amerikanische, britische und niederländische Dienstleistungsunternehmen haben im Durchschnitt sogar Eigenkapitalquoten von 50 Prozent. Hier besteht Nachholbedarf für deutsche Institute.
Langfristig sieht es auch nicht rosig für deutsche Marktforscher aus. Eine sukzessive Aufwertung des Yuan in Zukunft, von der die meisten Volkswirte ausgehen, wird den US-Dollar abwerten – schließlich müssen die zum Ausgleich des Leistungsbilanzüberschusses gedruckten Yuan-Noten "sterilisiert", das heißt wieder vernichtet, und die gehorteten US-Dollar dem Markt zurückzugeben werden. Wenn sich China Dank Milliarden von Konsumenten zu einem Importland der Superlative entwickelt, werden daher wahrscheinlich insbesondere amerikanische Exporteure profitieren. Deutsche und Japanische Unternehmen dürften wie Mitte der 90er Jahre erneut die Verlierer beim internationalen Spiel um die weltwirtschaftlich strategischen Preise sein.
Zwischen 1986 und 1997 lagen die durchschnittlichen Wachstumsraten des Marktforschungssektors in Deutschland Dank der internationalen Konjunktur-Lokomotive noch bei durchschnittlich 10,4 Prozent pro Jahr (Quelle: „context“). Seitdem die Chinesen exportorientiert gewachsen sind, dümpeln die Wachstumsraten in Deutschland bei durchschnittlich 5,33 Prozent vor sich hin – trotz stark steigendem internationalen Geschäfts, das heute im Durchschnitt bei 68 Prozent liegt. Die Entwicklung ökonomischer Systeme folgt einer S-Kurve, und der deutsche Marktforschungssektor scheint reif. Die Wachstums-Kurve wird zusehends flacher. Zudem ist davon ausgehen, dass bei zukünftigen Krisen Umsatz-Amplituden Werte auf der unteren, stützenden Kurve annehmen können.
Wenn auch einige westliche Professional Service Firms ihre Niederlassungen in den emerging markets derzeit auf eine nachhaltige Entwicklung konsolidieren, der mittel- und langfristige Trend mit durchschnittlichen Wachstumsraten von 10 Prozent seit 2004 und weiterem exponentiellen Wachstum ruft nach (stärkeren) Direktinvestitionen in diesen Regionen. Dabei müssen sich expandierende Unternehmen hier auf eine besonders hohe Volatilität einstellen und ihre Neugründungen "lean" planen. Deutsche Unternehmen stehen besonders in China hoch im Kurs. Deutsche Marktforscher sollten Investitionen im Land der Drachen rasch in Angriff nehmen: der Yuan wird immer stärker.
Die Autorin

Patrizia Trolese berät seit 2001 unter dem Namen pt profession Professional Service Firms beim Business Development durch "Lateral Hires". Vom Standort Berlin aus unterstützt sie Auftraggeber, die Niederlassungen im europäischen Ausland, im Mittleren Osten und in Asien gründen bei der strategischen Planung und Umsetzung.
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