Chen Yiming, GIM China Der chinesische Schokoladen-Boom – kulinarische Kultur im Wandel

In China erlebt Schokolade einen Wandel vom Premium-Produkt für besondere Anlässe zum alltäglichen Genussmittel. Wie können globale Schokoladenmarken auf diese Erfolgswelle aufspringen?

 

Neulich haben meine Frau und ich das Jahr 2017 Revue passieren lassen und festgestellt, dass wir auf insgesamt sieben Hochzeiten eingeladen waren, von Freunden, Familienmitgliedern, auch von Kollegen. Auf jeder dieser Hochzeiten bekamen wir als Geschenk von den Frischvermählten eine kleine Box mit Schokolade in edler, für gewöhnlich roter Verpackung. Dieses Süßigkeiten-Geschenk hat in China eine lange Tradition auf Hochzeiten und nennt sich "Happiness Candy" (Xi Tang喜糖). Die Frischvermählten drücken damit ihren Hochzeitsgästen gegenüber ihre Dankbarkeit aus sowie den Wunsch, dass alle Anwesenden an ihrem Glück und der "Süße" des Tages noch lange Freude haben werden. Auch zu anderen Anlässen werden in China gerne "Happiness Candies" verschenkt – es muss also nicht immer eine Hochzeit sein! 

"Xitang", die wir dieses Jahr bekommen haben. (Bild: Chen Yiming /GIM)
"Xitang", die wir dieses Jahr bekommen haben. (Bild: Chen Yiming /GIM)

Wie die Schokolade nach China kam

Die "Happiness Candy" gehen auf eine mehrere hundert Jahre alte Tradition zurück. Lange Zeit benutzte man Bonbons oder Geleefrüchte als Happiness Candy. In den letzten beiden Jahrzehnten wurde es jedoch immer beliebter, Schokolade in die roten Verpackungen zu stecken. Dabei hat es jedoch eine ganze Weile gedauert, bis sich Schokolade in China verbreitet hatte. Das erste Mal als Importware eingeführt wurde sie bereits 1705. Den "First Historical Archives of China" zufolge, brachte ein Gesandter des damaligen Papstes die ersten 50 Stückchen Schokolade nach China, um diese Kaiser Kangxi als Geschenk zu überreichen. Das Geschenk wurde vom Kaiser sehr geschätzt und Berichten zufolge hat die fremdländische Leckerei bei Hofe allgemein gemundet. Zu einer flächendeckenden Ausbreitung führte dies aber noch keineswegs. Im Gegenteil: Schokolade blieb sage und schreibe in ganz China fast weitere 200 Jahre praktisch unbekannt. Noch bis vor etwa 30 Jahren hatte der Großteil der chinesischen Bevölkerung wenig bis keine Gelegenheit, Schokolade zu probieren. Erst in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts, als nach und nach immer mehr westliche Produkte auf den chinesischen Markt kamen, wurde auch Schokolade bekannter.

Die "süßen 90er" öffnen westlichen Playern den Markt 

Mars, Ferrero, Nestle und Hershey begannen damals damit, den vielversprechenden chinesischen Markt zu erschließen. Inzwischen blicken diese vier Player auf fast drei Jahrzehnte harten Wettbewerbs um chinesische Marktanteile zurück. Und in der Tat: es gelang ihnen, nicht weniger als Dreiviertel des chinesischen Schokoladenmarktes zu erobern. Mars, bekannt für seine Untermarken wie Dove, M&M und Snickers, steht dabei inzwischen mit knapp 40 Prozent Marktanteil an der Spitze. Ferrero hat mit Ferrero Rocher und Kinder einen Marktanteil von knapp 18 Prozent, es folgen Nestlé und Hershey mit einem Marktanteil von knapp 10 Prozent, beziehungsweise knapp neun Prozent (Quelle: http://www.chinaidr.com/tradenews/2017-03/111420.html). Der Schokoladenkonsum in China wächst jährlich zweistellig (Quelle: http://www.chinaidr.com/tradenews/2017-03/111420.html), wobei sich der Gesamtumsatz eher auf vergleichsweise niedrigem Niveau bewegt (2016: 18,4 Milliarden RMB, das sind ca. 2,35 Milliarden Euro). Auch der durchschnittliche Pro-Kopf-Verbrauch ist mit gerade mal 200 Gramm jährlich noch sehr sehr weit entfernt von den Mengen, die im Durchschnitt in Europa gegessen werden (5,77 kg) oder gar von deutschen und Schweizer Schleckermäulern verzehrt werden (8,4 kg und 8,8 kg, Quelle: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/der-europaeische-schokoladenmarkt-ist-gesaettigt-14388597.html)

Schokolade in China – ein Premium-Produkt zum Verschenken 

Die vergleichsweise geringe Menge, die wir an Schokolade verzehren, bedeutet keineswegs, dass Schokolade vielen von uns nicht schmeckt. Es verweist vielmehr darauf, dass Schokolade für uns Chinesen etwas Besonderes ist, ein Luxus-Produkt, dass noch nicht im Alltagskonsum angekommen ist. Und entsprechend positioniert haben sich die internationalen Schokoladen-Marken anfangs auch positioniert, als sie nach China kamen. Ferrero beispielsweise war der erste Repräsentant der weltweiten Schokoladenindustrie in China und hat sich von Anfang an ein Premium-Image geschaffen: man entschied sich gegen eine Produktion in China und hat von Anfang an jedes Stück Ferrero-Schokolade aus Italien importiert, in Hongkong verpackt und dann auf dem chinesischen Festland vertrieben. Ferrero hat immer sehr großes Augenmerk auf die Qualität der Schokolade auch nach der Auslieferung gelegt und für Transport, Lagerung und exklusive Verkaufsstellen eigene Qualitätsstandards und Logistik-Maßnahmen ergriffen. Es sollten auf jeden Fall immer nur frische Produkte von tadelloser Qualität in den Verkauf gelangen. Und man muss sagen, dass das auch geklappt hat. Es gab nie Skandale oder Bedenken bezüglich der Qualität von Rocher und Kinder. 

Viele Gelegenheiten für schokoladige Aufmerksamkeiten im Alltag   

Mit seiner Strategie der Premium-Positionierung schuf Ferrero alle Voraussetzungen, um seine Produkte schnell zu beliebten Geschenkartikeln zu machen. Hier muss man wissen, dass wir Chinesen für viele traditionelle Anlässe kleine Geschenke brauchen besonders rund um das kalendarische wie auch das Chinesische Neujahrsfest. Dann werden viele Neujahrsgrüße ausgetauscht, die mit einer kleinen Aufmerksamkeit verbunden sind. Andere Geschenkanlässe sind kleine Aufmerksamkeiten für Lehrer, Vorgesetzte, Schwiegereltern, Kranke oder einfach als Mitbringsel bei einem Besuch oder nach einer Auslandsreise. Zudem feiern mehr und mehr chinesische Paare den Valentinstag, auch hier ist Schokolade das ideale Geschenk. Bei solchen Geschenken ist es uns immer wichtig, dass der Beschenkte erkennen kann, dass es ein hochwertiges Geschenk ist, das auch einen erkennbaren materiellen Wert hat und von der Symbolik her zum Anlass passt. Für uns ist es nicht so wichtig, dass es ein individuelles Geschenk ist. Lieber greifen wir beim Schenken zu bekannten Premium-Marken, die der Beschenkte kennt und daher unsere Großzügigkeit angemessen einschätzen kann.  

Premium Anmutung bedient kulturellen Background 

Mit der Öffnung des Landes nach Westen ist in den letzten Jahren das Interesse an Produkten aus Europa und Amerika enorm gewachsen. Beim Schenken kam es deshalb fast automatisch en vogue, zu importierten Produkten zu greifen. Die goldenen Ferrero Rocher Kugeln erfüllten dabei für uns Chinesen beste Voraussetzungen zum Schenken: hohe Qualität, bekannte Marke, edle Verpackung, die obendrein durch ihre runde Form und goldene Farbe in unserer Kultur als glückverheißend angesehen wird. Rundum ein Produkt, das für Perfektion und Wohlstand steht und sich damit sehr als Neujahrs-Geschenk eignet. Das macht natürlich auch Lindor-Kugeln zu einem sehr beliebten Geschenk. Auch sie erfüllen optisch und geschmacklich genau das, was sich viele Chinesen wünschen. Seit 2010 hat sich noch eine andere Premium-Schokoladenmarke auf dem chinesischen Markt etabliert: Godiva. Laut China Daily hat Godiva binnen nur fünf Jahren über 55 exklusive Markengeschäfte in 16 chinesischen Städten eröffnet. Alle Geschäfte sind luxuriös im Stil eines Juweliers gestaltet und machen Godiva-Schokolade für viele Chinesen zum Inbegriff von Premium-Schokoladen-Kultur. Andy Farrow, Managing Director von Godiva Asia Pacific, bestätigte, dass Kunden Godiva hauptsächlich als Geschenk kaufen, nicht nur zuhause in China, sondern auch auf Reisen. Viele meiner Landsleute kaufen am Flughafen Godiva-Mitbringsel, wenn sie aus Europa, den Vereinigten Staaten oder Japan zurück nach China reisen. 

Godiva-Laden in der Nähe des GIM Büros in Shanghai. (Bild: "Xitang", die wir dieses Jahr bekommen haben. (Bild: Chen Yiming /GIM)
Godiva-Laden in der Nähe des GIM Büros in Shanghai. (Bild: Chen Yiming /GIM)

Der langsame Weg zum alltäglichen Schokoladenkonsum

Neben der Kultur des Schokolade-Verschenkens entwickelt sich aber auch zunehmend eine Kultur des Schokolade-Essens. Es verhält sich dabei mit der Schokolade ähnlich wie mit Kaffee oder Wein. Auch diese beiden Produkte waren bis vor 20 Jahren kaum bekannt in China und kamen erst mit der Öffnung nach Westen in den 90er Jahren zu uns. Und auch bei Wein und Kaffee bestand anfangs die hohe Attraktivität darin, dass sie importiert werden müssen und etwas Besonderes darstellten. Das hat sich inzwischen etwas geändert, man kann eine gewisse „Veralltäglichung“ beobachten. Gerade Kaffee wird kaum noch als Geschenk angesehen, sondern als normales Getränk (auch wenn wir Chinesen weiterhin deutlich mehr Tee als Kaffee trinken). Wein ist immer noch ein Luxus-Produkt, wird aber nicht mehr nur verschenkt, sondern durchaus auch als kleiner Genuss zuhause konsumiert. In diese Richtung geht es nun auch langsam mit der Schokolade: Abgesehen von den typischen Schenk-Schokoladen Ferrero und Godiva zielen in China immer mehr globale Schokoladenmarken darauf ab, den chinesischen Verbrauchern Schokolade als Alltags- und Freizeit-Snack schmackhaft zu machen.

Preise und Marketing: Der Schlüssel zum Erfolg im Mainstream 

Mars hat sich auf diesem Gebiet gut geschlagen. Lawrence L. Allen, der ehemalige CEO von Nestle und Hershey‘s, hat sich über sieben Jahre lang der Einführung von Schokolade in China gewidmet und dies in seinem Buch "Chocolate Fortunes: The Battle for the Hearts, Minds, and Wallets of China's Consumers" beschrieben. Seinen Ausführungen zufolge war es ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Veralltäglichung des Schokoladenkonsums, Preise zu senken das Marketing zu ändern. Im Gegensatz zu Ferrero eröffneten Mars und Hershey eigene Produktionsstandorte und konnten damit Preise bieten, die für chinesische Verhältnisse zwar immer noch hoch, aber durchaus akzeptabel sind (Quelle: http://money.163.com/10/0903/11/6FLEUM1P00253G87.html). Die Marke Dove gehört bei uns Chinesen inzwischen zu den beliebtesten, wenn es um Schokoladen-Snacks geht. Nicht allein, weil sie erschwinglich ist, sondern auch, weil Werbung und Geschmack passen. Bei letzterem ist uns sehr wichtig, dass Schokolade nicht zu bitter ist und wir keine Kakao-Partikel im Mund spüren. Auch andere Bestandteile wie Nüsse sind hierzulande nicht so beliebt. Wir bevorzugen cremige Milchschokoladen. Schokolade soll sich im Mund "seidig" und "geschmeidig" (chinesisch: 丝滑)anfühlen. Ja, so nennen wir das wirklich: Schokolade wie Seide. Daher auch das große Seidentuch auf der Dove-Werbung. Mit dieser Bildsprache und dem Slogan "Outright Enjoyment of Smoothness" hat es Dove zuletzt geschafft, bei immer mehr Chinesen ein Gefühl von Genuss und gewisser Eleganz zu erzeugen, wenn man sich im Alltag etwas Dove-Schokolade gönnt.

Dove Printanzeige: "Mir selbst etwas Gutes tun zu jeder Zeit." © Dove
Dove Printanzeige: "Mir selbst etwas Gutes tun zu jeder Zeit." © Dove

Trends und Ausblick: Weniger Zucker, mehr Vertrieb  

Auch in China werden die Verbraucher immer gesundheitsbewusster, vor allem die westlich orientierten zahlungskräftigen Segmente. Für diese steht Schokolade für "hohen Zuckergehalt" und "ungesund". Laut Fortune Magazine http://fortune.com/2015/05/21/the-war-on-big-food/ hat Mars 200 Millionen USD in die Entwicklung von Zuckerersatz investiert. Das Ergebnis: M&M/Malteser mit 200 Kalorien weniger und Snickers/Twix mit 100 Kalorien weniger. Es bleibt abzuwarten, wie erfolgreich diese Angebote in China sein werden. Das große Thema des chinesischen Schokoladenmarkts ist jedoch die Ausweitung des Vertriebs. Schokolade ist hier vergleichbar mit anderen chinesischen Snacks wie Nüssen oder gerösteten Samen. Ein Blick auf innovative Verkaufskanäle einiger lokaler chinesischer Snackhersteller lohnt: So hat 2016 hat Three Squirrels (ein reiner Online-Anbieter, erst vor fünf Jahren gegründet) 2016 einen Jahresumsatz von 5,5 Milliarden RMB (ca. 700 Mio Euro) erzielt. Allein am Singles Day (11.11.), dem bedeutendsten Shopping-Tag im Chinesischen Jahreslauf, wurden 500 Mio. RMB erwirtschaftet. (Quelle: http://www.sohu.com/a/134990893_639533).

Um auf diese Erfolgswelle aufzuspringen, müssen globale Schokoladenmarken die digitale Welt in China nutzen. Es bedarf nicht nur einer Offline-Vertriebsstrategie, sondern einer offline-online-integrierten. Dazu gehören Online-Stores auf den führenden chinesischen E-Commerce Plattformen Tmall.com oder Jindong.com. Ohne das ist eine erfolgreiche Vermarktung von Alltagsprodukten im China der nächsten Jahre nicht mehr vorstellbar.   

 

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