Birgit Bruns, BBRecruiting Personalberatung "Der Arbeitsmarkt hat seine Arme weit geöffnet"

Wie würden Sie die aktuelle Situation auf dem Arbeitsmarkt sowohl aus Sicht der Unternehmen als auch der Kandidaten und Kandidatinnen beschreiben?
Birgit Bruns: Am Arbeitsmarkt sehen wir derzeit eine starke Dynamik. Die aktuelle Qualtrics-Studie nach der nahezu die Hälfte (43 Prozent) aller Vollzeit-Beschäftigten in Deutschland in den nächsten zwölf Monaten einen Jobwechsel planen, bestätigt unseren Eindruck. Arbeitnehmer, die in der Pandemie unsicher waren und gezögert haben ihren Arbeitgeber zu verlassen, sind inzwischen eher bereit den Umstieg zu wagen.
Dies ist eine gute Nachricht für Arbeitgeber, die eventuell schon länger nach passenden neuen Mitarbeitern suchen, denn sie sind jetzt motiviert für den nächsten Schritt. Die Unternehmen müssen nur gut aufpassen, dass sie die Mitarbeiter, die sie halten wollen, mit Perspektiven überzeugen zu bleiben, und nur diejenigen abgeben, auf die sie weniger Wert legen.
Wie kommt der Fachkräftemangel zustande? Welchen Grund sehen Sie dafür? Wie ist es speziell um die Marktforschungsbranche bestellt?
Birgit Bruns: Eine gute Frage. Wie immer gibt es mehrere Gründe: Hier sei zunächst die Demographie genannt, also die seit Jahrzehnten abnehmenden Geburtenraten in Deutschland. Die Ausbildung in den sogenannten MINT-Fächern – zumindest was die schulische Ausbildung betrifft – könnte in Deutschland besser sein.
Die Marktforschungsbranche benötigt jedoch junge Leute, die in Mathematik, Statistik und Informatik gut ausgebildet sind. Allerdings sind die Möglichkeiten, die diese Branche bietet bei vielen Jugendlichen und Studenten nicht wirklich bekannt. Hier könnte deutlich mehr informiert werden und es könnten deutlich mehr junge Menschen für diese spannende Branche gewonnen werden.
Die Corona-Pandemie brachte bekanntlich viele Veränderungen mit sich. Inwiefern hat sich die Einstellung der Bewerber und Bewerberinnen verändert? Sind sie anspruchs-voller geworden? Welche Erwartungen haben Sie an den neuen Job, die sie vor der Krise vielleicht nicht hatten?
Birgit Bruns: Während der Pandemie und der damit einhergehenden Lockdowns waren plötzlich viele Dinge möglich, die vorher nicht möglich waren wie z.B. Remote-Tätigkeiten oder flexible Arbeitszeiten. Auf der anderen Seite scheinen viele Arbeitnehmer in sich gegangen zu sein und wollen jetzt langgehegte Ziele für sich umsetzen. Dies kann sich auf die Arbeitszeit (z.B. Flexibilisierung / Teilzeit), auf die berufliche Weiterentwicklung, das Erreichen einer Führungsrolle im Unternehmen beziehen. Es kann aber auch um die Umsetzung privater Ziele wie um die Familiengründung, einen privaten Umzug o. ä. gehen. Der zuvor erzwungene Corona-Stillstand schwingt derzeit in Tatendrang und Dynamik um.
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Welche Kriterien sind in den letzten Jahren für Unternehmen bei Bewerbern und Bewerberinnen wichtiger geworden? Welche sind der Corona-Krise geschuldet?
Birgit Bruns: Die Corona-Krise wirkt weiter als Brennglas und bringt schonungslos Dinge ans Licht. So fällt der Blick jetzt vermehrt auf Werte, die zuvor durch anderes verdeckt waren. So treten zum Beispiel die Menschen im nahen Umfeld mit all ihren Eigenschaften und Werten aus dem Schatten heraus und ihre Einstellungen kommen ans Licht. Dies gilt für Arbeitnehmer und auch für Arbeitgeber. Es werden Fragen nach der Loyalität und dem Weltbild der Mitarbeiter genau so gestellt, wie nach der Philosophie und der Moral von Arbeitgebern bzw. Unternehmen.
Diese Einstellungen und Werte werden bei einer Entscheidung für oder gegen einen neuen Mitarbeiter bzw. einen neuen Arbeitgeber inzwischen vermehrt für eine Entscheidung herangezogen.
Wie hat sich Ihr Job als Personalberaterin in den letzten 18 Monaten verändert?
Birgit Bruns: Positiv war in den vergangenen Monaten, dass wir als Personalberater leichter mit Kandidaten ins Gespräch gekommen sind. Die meisten Menschen haben vom Home-Office aus gearbeitet, hatten mehr Freiraum, waren leichter für uns erreichbar und sehr viel einfacher ansprechbar. Schwierig war, und dies ist die Kehrseite der Medaille, dass Personen, die ihren Job wechseln wollten und Interesse an Gesprächen zeigten, oft mit mehr Unternehmen als sonst im Kontakt waren. Der Wettbewerb für uns war also deutlich erhöht.
Wir haben auch festgestellt, dass die Ansprüche der Bewerber an einen künftigen Arbeitgeber und an einen künftigen Arbeitsplatz spezifischer Ansprüche an Benefits, Arbeitszeiten eingefordert werden.
Die aktuelle Studie von Qualtrics zeigt, dass nahezu die Hälfte der deutschen Vollzeitbeschäftigten in den kommenden Monaten einen Jobwechsel planen. Wie passt das mit dem Fach- und Führungskräftemangel zusammen? Warum scheinen Unternehmen und Bewerbende nicht übereinzukommen?
Birgit Bruns: Laut der Qualtrics-Studie möchten 43 Prozent der Führungskräfte im unteren / mittleren Management und 57 Prozent im leitenden Management wechseln. Menschen, die bereits vor der Pandemie unzufrieden waren, haben teilweise mit ihrem Wechsel gewartet, während andere aktiv in der Pandemie den Wechselentschluss gefasst haben.
Die Arbeitnehmer spüren natürlich die höhere Nachfrage nach ihrer Arbeitskraft. Das hat auch mit dem Fach- und Führungskräftemangel zu tun. Wenn sie sich jedoch aufgrund der aktuellen Marktsituation unsicher sind oder kein wirklich überzeugendes Angebot vorliegen haben, bleiben sie lieber noch eine Weile dort, wo es sicherer und aus verschiedenen Gründen besser erscheint.
Was müssten Unternehmen sowie Bewerber und Bewerberinnen an ihrer Einstellung/Erwartung ändern, um das Problem zu lösen?
Birgit Bruns: Auf der Seite der Arbeitgeber ist es wichtig, dass ein klares und motivierendes Anforderungsprofil erstellt und kommuniziert wird, um potenzielle Kandidaten zu motivieren sich zu bewerben. Darüber hinaus braucht das Unternehmen ein wirklich gutes Image, das auch gelebt wird. Hier reichen keine Employer Branding Videos auf YouTube und keine Hochglanz-Broschüren. Die Bewerber fordern die Arbeitgeber mit Wünschen nach Weiterbildungsmöglichkeiten sowie der Vereinbarkeit von Leben und Arbeiten heraus. Vor allem Stellen, bei denen ein großer Mangel an jungen Talenten herrscht, müssen attraktiv gestaltet werden, damit das Problem gelöst.
Mit Blick in die Zukunft, vor welchen Herausforderungen wird der Arbeitsmarkt in den nächsten Jahren noch stehen? Welche Aspekte werden sich verschärfen?
Birgit Bruns: Zunächst wird sich in der Fach- und Führungskräftemangel weiter zuspitzen. Der Druck lastet zunächst auf den Personalverantwortlichen, die sich Entlastung durch externe Unterstützung wie etwa durch Personalberater verschaffen werden.
Bei verschiedenen Unternehmen wie z. B. Kantar sind Ende letzten Jahres viele erfahrene Marktforschende freigesetzt worden. Wir haben über zahlreiche Neueinstellungen berichtet. Wie ist diese Welle an Ex-Kantar-Kollegen im Markt angekommen?
Birgit Bruns: Der Arbeitsmarkt hat seine Arme weit geöffnet und diese erfahrenen und hoch qualifizierten Marktforscher willkommen geheißen. Während wir zu Beginn dieser Welle, die eine oder andere Bewerbung von Kantar-Researchern erhalten haben, scheinen sie inzwischen regelrecht aufgesogen worden zu sein - soviel an dieser Stelle auch zum Thema Fach- und Führungskräftemangel.
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