Tiefenpsychologische Studie Depression: Betroffene scheitern oft an zu hohen Ansprüchen an sich selbst

Köln - Vier Millionen Menschen in Deutschland leiden an Depressionen, so die Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Was bedeutet es in unserer heutigen Gesellschaft, in der wir alle wie im Hamsterrad arbeiten, funktionieren und liefern müssen, unter depressiven Verstimmungen zu leiden? Wie äußern sich Depressionen und wie empfinden sie die Betroffenen selbst? Wie gehen behandelnde Ärzte und Apotheker mit dem Symptombild der depressiven Verstimmung um? 

Das rheingold Institut hat sich in einer Studie auf Initiative von Pascoe Naturmedizin tiefenpsychologisch dem Thema Depression genähert. Dabei zeigte sich, dass bei Angehörigen sowie Apothekern und Ärzten Unsicherheiten im Umgang mit Betroffenen vorherrschen. Denn Depressive sind keine leichten Patienten bzw. Kunden. Zudem gelang es, die innere Logik der Depression zu ergründen und so leichter verständlich zu machen.

Alle von depressiven Verstimmungen Betroffene berichteten darüber, nicht mehr am Glück dieser Welt teilnehmen zu können. Sie fühlen sich „lahmgelegt“, „traurig“ und im Alltag überfordert. Sie stehen unter dem Eindruck, den an sie gestellten gesellschaftlichen, familiären und beruflichen Anforderungen und Ansprüchen nicht mehr gewachsen zu sein. Dabei wird oft der Mantel des Schweigens über die depressiven Erkrankungen gelegt. Er wirkt wie eine geheime Übereinkunft unserer Kultur, laut der ‚Depression‘ zwar benannt, aber zugleich über die wirklichen Umstände hartnäckig geschwiegen wird. Das Symptom der ‚inneren Unruhe‘ oder des ‚Burnouts‘ scheint für die Betroffenen dagegen einfacher zu vermitteln zu sein. Gerade ,Burnout‘ ist in unserer Kultur ein akzeptiertes Symptom. Wer sich innerlich getrieben fühlt, gibt Zeugnis von Aktivsein und Bewegung.

Die bloße Benennung ‚Depression‘ oder ,Burnout‘ ist nur ein Stempel, der der einzigartigen inneren Logik der seelischen Erkrankung nicht gerecht wird. Es ist wichtig, die einzelnen Züge zu beschreiben, die die Binnenstruktur einer Depression aus dem Erleben der Betroffenen heraus bestimmen.

Betroffene versuchen, allen Aufgaben – sowohl den Ansprüchen an sich selbst als auch denen an das tägliche Leben – gerecht zu werden. Diese Ansprüche wirken wie ein ruheloser Antreiber. Oft fühlen sie sich allein für alles verantwortlich – für beruflichen Erfolg, Bedürfnisse der Familie, Organisation des Familienalltags und Pflege von Kindern oder Angehörigen. Auch in den Interviews war erstaunlich, dass die Betroffenen keineswegs niedergedrückt und stillgelegt wirkten, sondern agil und energiegeladen. Auch hier spiegelten sich die hohen Ansprüche der Betroffenen an sich selbst wider.

Betroffene erleben, dass sich Ansprüche nicht immer realisieren lassen. Sie leiden unter der Diskrepanz zwischen ihrem Idealbild auf der einen und machbarer Realität auf der anderen Seite. Diese Differenz zwischen den eigenen Träumen und der ‚normativen Kraft des Faktischen‘ erleben alle Menschen. Die erfahrene Begrenzung durch Lebens- und Alltagsbedingungen wirft die Betroffenen jedoch vollkommen aus der Bahn: Eine situativ erlebte Einschränkung, mal etwas nicht zu schaffen oder einen Fehler zu begehen, führt bei den Betroffenen zu einem Gefühl, auf ganzer Linie versagt zu haben.

Falls die Betroffenen ihre Ansprüche nicht erreichen, führt das mitnichten dazu, dass ihre Ambitionen revidiert, betrauert oder wütend dagegen aufbegehrt wird. Eine aktive Auseinandersetzung mit der Situation findet nicht statt, sondern die Menschen ziehen sich zurück und legen sich buchstäblich still. Gerade der so wichtige, aber auch schmerzliche Prozess des Trauerns findet nicht statt. Trauern ermöglicht es den Menschen, Abschied zu nehmen und sich von Liebgewonnenem unwiederbringlich zu trennen. Da dieses schmerzliche Loslassen letztlich nicht stattfindet, werden eigene Ansprüche auch nicht aufgegeben, sondern in der Depression eingefroren und konserviert.

Die Stilllegung wird stabilisiert, indem unbewusst von den Betroffenen alle Impulse abgewehrt bzw. vergleichgültigt werden, die zu einer Aktivität animieren könnten. Aufgaben und Reize des Alltags erhalten alle die gleiche Gültigkeit, das heißt, es findet kein Priorisieren von Tätigkeiten und Lebensthemen mehr statt. Oft verspüren sie, dass die eigentlichen Probleme ungelöst bleiben. Die andauernden Symptome geben ihnen aber auch das Anrecht, von ihrer Umwelt behutsam behandelt und mit Samthandschuhen angefasst zu werden.

Nach außen hin wirken die Betroffenen lethargisch und wie lahmgelegt. Das fordert auch den Angehörigen viel Toleranz ab. Dabei wird die Stilllegung von den Betroffenen selbst nicht als Rückzug oder Auszeit erlebt, sondern sie kommen nur äußerlich zur Ruhe und laufen innerlich heiß. Das innere Getriebensein hindert die Betroffenen am Luftholen und raubt ihnen den Schlaf. Sie haben das Gefühl nicht weiterzukommen trotz permanenter Beschäftigung mit dem gleichen Thema. Dieses ‚Im eigenen Saft schmoren‘ ist auch eine gigantische Selbstintensivierung: Man sieht nur noch sich und sein eigenes Elend. Man ist sich in ungeteilter Weise unheimlich nahe.

Die Betroffenen geraten zuletzt in eine resignativ-verbitterte Symptombehandlung. Sie finden sich damit ab, dass sie aus ihrer Depression, aus der Enge nicht herauskommen und versuchen lediglich, die Symptome runter zu dimmen, beziehungsweise in den Griff zu bekommen. Sie behandeln sich, nicht um die Krankheit loszuwerden, sondern um Kontrolle über die Symptome zu bekommen. Oft verspüren die Betroffenen aber, dass die eigentlichen Probleme ungelöst bleiben. Gleichzeitig sind die Symptome aber auch der Beweis bzw. eine verbitterte Anklage gegen sich und die Welt, dass sie ungerechte Einschränkungen erfahren haben und daher nicht ihre hochgesteckten Ansprüche erfüllen können.

Im Vorfeld, aber auch während der depressiven Erkrankung haben die Betroffenen eine ganze Reihe von Formen der Selbstbehandlung entwickelt. Sie versuchen, sich mithilfe diverser Aktivitäten abzulenken, auf andere Gedanken zu bringen und suchen den Kontakt mit der Natur und den beruhigenden Rhythmen der Jahreszeiten. Sie nehmen sich Zeit für selbstverwöhnende Rituale wie heiße Bäder oder Wellness-Behandlungen. Häufig versuchen sie auch ihre innere Unruhe und Zweifel durch Leistungs-Kompensation und die Flucht in eine besinnungslose Betriebsamkeit zu kanalisieren. In den meisten Fällen aber verlagern die Betroffenen die Behandlung der Depression auf die Behandlung der körperlichen Symptome. Damit aber erhalten sie die Depression am Leben.

Die Behandlung depressiver Patienten bedarf eines einfühlsamen Umgangs seitens der Ärzte und Apotheker, da sie nicht nur eine Krankheit oder die Symptome behandeln, sondern die ganze Person, die sehr empfindsam und leicht kränkbar ist. Ärzten und Apothekern ringt das einen Balanceakt ab. Einerseits sollen sie Zuhörer und Vertrauensperson sein, aber andererseits dem Patienten auch nicht zu nahe treten.

Es ist auffällig, wie schwer sich viele Ärzte mit depressiven Patienten tun. Sie erleben die Patienten als grenzüberschreitend und fordernd. Die Gespräche dauern oft zu lange und sind schwierig zu steuern. Ärzte empfinden die Ansprüche der depressiven Patienten oft als Zumutung. Diese unberechenbaren Faktoren stören ihren Praxisablauf. Depressive Patienten kosten sie viel Zeit und Nerven. Ärzte fühlen sich zudem von den Patienten durch einen drohenden Suizid erpresst.

An den Ärzten wird das allgemeine Unbehagen – auch das unserer Kultur – deutlich. Ärzte verspüren, dass sie im Umgang mit depressiven Patienten in etwas hineingeraten, was ihnen zutiefst unheimlich ist und was sie nicht direkt in den Griff bekommen können. Das verursacht Risse im Bild des heilenden und Wunder vollbringenden Arztes. Psychologisch geraten die Ärzte damit in eine nahezu ähnliche Situation wie ihre depressiven Patienten. Denn auch sie erleben in der Behandlung fundamentale Einschränkungen.

Auch für Apotheker gestaltet sich der Umgang mit depressiven Kunden schwierig. Sie müssen die Beschwerden der Kunden richtig decodieren und interpretieren. Meist trauen sich die Kunden nicht, über ihre Depression zu sprechen. Sie berichten dann über ‚innere Unruhe‘ oder körperliche Symptome, über die sie leichter sprechen können als über ihre Depression.

Öffnen sich die Kunden, müssen Apotheker therapeutische Hilfe leisten. Das bedarf allerdings Zeit, Empathie und Kompetenz. Einerseits sehen hier einige Apotheker eine Möglichkeit, in eine vertrauensvolle, beratende und behandelnde Position einzusteigen, aber andererseits fühlen sich hier viele auch unwohl und teilweise über-fordert.

Zur Studie: Für die vorliegende Studie wurden 80 Frauen und Männer im Alter zwischen 20 und 60 Jahren vom Kölner rheingold Institut tiefenpsychologisch in jeweils zweistündigen Interviews befragt. Die Geschlechter waren paritätisch besetzt. Von den 40 befragten Patienten litten alle explizit unter depressiven Verstimmungen mit entsprechenden Symptomen und Merkmalen, 30 von ihnen verwendeten in jüngster Zeit apothekenpflichtige Naturmedizin in diesem Indikationsbereich. Neben den 40 Patienten wurden 22 Ärzte, 10 Apotheker und acht Pharmazeutisch-technische Assistenten/innen befragt. 

ah

 

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