Interview mit Janine Katzberg, Arne Schippmann und Sven Malaschewski "Den 'Make-it-look-great'-Knopf gibt’s auf unserer Tastatur leider immer noch nicht…"

Wenige Marktforschungsinstitute sind für besondere Visualisierungen bekannt. Happy Thinking People wurde dafür sogar bereits ausgezeichnet. marktforschung.de versucht im Gespräch mit drei Experten von H/T/P herauszufinden, was das Haus anders macht, welche Software dabei zum Einsatz kommt und warum Musik dabei eine große Rolle spielt.

Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Also, fangen wir ganz grundsätzlich an: Warum ist Visualisierung bei der H/T/P ein priorisiertes Thema?

Janine Katzberg: Um wirklich von ‚Insights‘ sprechen zu können, muss die Marktforschung heute weit mehr als Daten liefern. Sie muss inspirieren, muss Menschen anregen, etwas verändern zu wollen.

Storytelling und Visualisierung sind heute wichtige Werkzeuge für Mafo-Impact, vor allem in der Quali-Forschung. Das sehen wir konstant über die Jahre, daran ändert COVID-19 nichts. Das Publikum wird wesentlich nachhaltiger bewegt, wenn es z.B. Konsumenten sieht und hört, anstatt einfach nur ein Zitat zu lesen. Eigentlich wäre es vor dem Hintergrund passender, dieses Interview als Video-Aufnahme bereitzustellen.

Und was sagen die Kreativ-Experten, worauf kommt es bei einer gelungenen Story oder Visualisierung an?

Arne Schippmann: Tja, wo fangen wir an … ein gutes Briefing ist essenziell und leider nicht immer selbstverständlich. Das gilt nicht nur für kurze Filme, sondern auch für aufwendigere Präsentationen oder Infographics.

Wenn wir eine gute Story kreieren sollen, dann brauchen wir möglichst viele Informationen über das Projekt: Welche Geschichte wollen wir erzählen? Wer ist unser Publikum? Welche Erwartungen und Vorstellungen hat unser Kunde? Am Anfang brauchen wir so viele Informationen wie möglich, der Verdichtungsprozess kommt erst später.

Es hilft auch ungemein, wenn wir als Multimedia-Team direkt am Anfang in das Projekt einbezogen werden. Problematisch ist es immer, wenn dem Auftraggeber erst kurz vor Projektende einfällt, dass er oder sie gern noch eine filmische Zusammenfassung haben möchte.

Den „Make-it-look-great“-Knopf gibt’s auf unserer Tastatur leider immer noch nicht …

Was ist für Sie ein gutes Briefing?

Arne Schippmann: Ja, es braucht eine Art Drehbuch, ein Skript, das die Informationen verbindet, die Essenz herausarbeitet und alles so anordnet, dass es Sinn ergibt. Ein klassischer Report ist dafür keine gute Vorlage, weil er zu textlastig und detailliert ist.

Im Idealfall sollten später die Bilder oder das Video für sich sprechen. Eine gute Präsentation kommt in der Regel mit wenig oder gar keinem Text aus. Wie bei TEDTalks steht der Redende im Mittelpunkt und erzählt eine Geschichte. Wenn die Zuschauenden lesen müssen, zieht das oft die Aufmerksamkeit weg.

Sven Malaschewski: Zum Briefing gehört auch, einen Schritt zurückzugehen und sich zu fragen: Wie würde ich es einem Publikum erklären, das nichts darüber weiß?

Eine nachvollziehbare Storyline ist essenziell, wo man den großen Bogen von Anfang bis Ende klar erkennen kann – mit allen Spannungen und Zwischenschritten. Erst wenn ich das alles weiß, kann ich mich an die Umsetzung, die Visualisierung machen.

Und ja, wie Arne sagt, man muss klar über wichtige ‚Details‘ sprechen: die Form der Präsentation, das anvisierte Zielpublikum bis hin zu konkreten Details, wie kulturspezifische Farb- und Bildwirkungen in der konkreten Ausgestaltung.

Erst wenn der Rahmen klar ist, die Freiheitsgrade definiert, können wir zielgerichtet kreativ denken.

Und was sagt die Projektleiterin dazu?

Janine Katzberg: Arne spricht vom Drehbuch – da sind wir im Projektmanagement schon in der Feldarbeitsphase gefragt. Wir als Projektleiterinnen führen die Interviews durch, interagieren mit den Kunden und müssen die Aufnahmen koordinieren. Es kommt einiges zusammen, vor allem bei Ethnos.

Seit der Pandemie machen wir alles digital, was auch definitiv Vorteile mit sich bringt. Beispielsweise können nun beliebig viele Auftraggeber zuschauen. Die Teilnehmenden sind oft entspannter, alles ist natürlicher, weil die Leute bei sich zu Hause sind, ohne fremde Personen vor Ort.

Aber es gibt Grenzen. Wie wirksam ist ein zwar authentisches, aber wackeliges und suboptimal beleuchtetes Bild? Wir können planen, vorbereiten, briefen, aber letztlich machen die Teilnehmenden die Aufnahmen selbst. Glücklicherweise sind die meisten Menschen dank Instagram und TikTok mittlerweile mit Selfie-Fotos und -Videos recht geübt.

Es ist aber oft eine Gratwanderung: Wir müssen es irgendwie planen, aber es soll eben auch möglichst authentisch sein.

Wie hat sich sonst das rein digitale Arbeiten auf die Visualisierungsarbeit ausgewirkt?

Janine Katzberg: Im Grunde hat sich nicht viel geändert, denke ich. Wenn wir beispielsweise einen Scribbler in einem digitalen Design-Thinking-Workshop brauchen, dann klappt das genauso gut wie vorher. Statt vor Ort zu sein und von einem Team ins andere zu laufen, macht man das jetzt über digitale Break-out-Sessions.

Das ist sogar einfacher, weil man nicht mehr räumlich gebunden ist. Das ist ein echter Vorteil, denke ich.

Sven Malaschewski: Bei Downloads haben wir durch das digitale Arbeiten viel Zeit gewonnen, alles ist viel schneller, weil Aufnahmen aus den Zoom-Sessions quasi sofort für den Videoschnitt verfügbar sind.

Arne Schippmann: Auch auf internationale Projekte wirkt sich die Digitalisierung aus, alles ist schneller und einfacher geworden. Abgesehen von den ökologischen Vorteilen.

Früher hat es zudem eine ganze Weile gedauert, bis das ganze Rohmaterial aus den verschiedensten Ländern zu uns gekommen ist. Die Übertragung der recht großen Datenmengen aus dem Hotelzimmer in Mexiko hat häufig so lange gedauert, dass die Projektleiter das Material lieber selbst am Ende der Feldarbeit ins Büro gebracht haben. Jetzt erhalten wir alles viel schneller.

Zurück zum Thema ‚guter Rohstoff‘: Wie plant man da am besten?

Arne Schippmann: Wir führen regelmäßig knackige Schulungen für unsere Mitarbeitenden durch und bringen ihnen die Grundregeln bei, wie z.B. nicht gegen das Licht zu filmen, ungewünschte Tonquellen zu beseitigen. Es geht auch um die Grundlagen der Bildkomposition, Einstellungsgrößen und die Notwendigkeit von zusätzlichem, abwechslungsreichem Filmmaterial.

Auch die Interviewführung und die Art der Fragestellungen spielen eine wichtige Rolle.

In der klassischen Interviewführung werden von den Interviewenden z.B. gern Füllwörter eingesetzt („ja“, „ok“, „aha“), um seinem Gegenüber Interesse und Aufmerksamkeit zu spiegeln. Aber im geschnittenen Video wird das eher als störend empfunden.

Sven Malaschewski: Wir versuchen, nicht zu viel Rohmaterial zu produzieren und schon bei der Videoaufnahme selektiv vorzugehen. Das spart echt Zeit!

Je kleiner der Heuhaufen, desto schneller findet man die Nadel.

Janine Katzberg: Das stimmt, dass man vorher einen Fokus setzen sollte. Das geht am besten, wenn man sich zwei bis drei wichtige Fragen für den Schluss aufhebt, anstatt das gesamte Interview aufzunehmen. Das heißt: Ich sichte das Material vorab und stelle eine Liste der passenden Stellen zusammen.

Was macht ein gutes Video aus?

Arne Schippmann: Erstmal sollte es nicht langweilen. Wir wissen ja von uns selbst, dass die Aufmerksamkeitspanne heutzutage meist nicht besonders hoch ist, daher muss ich versuchen, auch ein vermeintlich trockenes Thema möglichst kurzweilig aufzubereiten.

Es gibt ein paar wichtige Grundvoraussetzungen, wenn die erfüllt sind, habe ich zwar noch kein gutes Video, aber immerhin schon mal kein schlechtes.

Guter Ton, gute Ausleuchtung, eine gute Bildaufteilung – diese Dinge allein sind noch nicht besonders beeindruckend. Es fällt aber sofort auf, wenn es NICHT gegeben ist.

Die Abwesenheit von Fehlern ist sozusagen eine gute Grundvoraussetzung für ein ‚gutes‘ Video.

Sven: Dabei darf man den Datenschutz nicht vergessen. Ohne unterzeichnete Datenschutzerklärung dürfen wir Selfies oder Videoaufnahmen nicht verwenden oder müssen sie verpixeln, was jegliche Emotion zerstört. Ähnliches gilt für die Nutzungsrechte von Stockmaterial wie Musik, Sprechern oder Stockvideos.

Sie sprechen viel von Videos – arbeiten Sie nicht mehr mit PowerPoint?

Arne Schippmann: Doch, natürlich. Ich bin sogar Fan von PowerPoint. Trotz seines schlechten Rufes als Kreativitäts-Killer halte ich PowerPoint in seiner Funktion als Plattform für ein gutes Programm.

Na klar, wenn man textlastige Charts mit 14 Bullet Points in Times New Roman erstellt, dann ist das hässlich, aber dafür kann PowerPoint erstmal nichts.

Es hat zudem eindeutige Vorteile, die leicht vergessen werden: Eine weite Verbreitung, hohe Kompatibilität, die Möglichkeit, auf einfache Art Texte, Bilder und Videos zu kombinieren. Mittlerweile vereint PowerPoint die grundlegenden Fähigkeiten von Bild-, Video- und Layout-Tools. Ich staune manchmal, was sich da noch herauskitzeln lässt bzw. welche Funktionen nach und nach hinzukommen z.B. die Möglichkeit, Präsentationen non-linear aufzubauen, sprich problemlos hin- und herspringen, oder im Stil einer „Prezi“-Präsentation in einzelne Bereiche hinein- und herauszuzoomen.

Gibt es Tricks, wie Sie Emotionen in Ihre Präsis reinschmuggeln?

Arne Schippmann: Bei Filmen ist, wie gesagt, die Musik wahnsinnig wichtig. Die komplette Wahrnehmung kann sich drehen, wenn man ein anderes Stück verwendet.

Das sollte auch unbedingt mit dem Kunden vorab geklärt werden. Früher habe ich mich gern von meinem persönlichen Musikgeschmack leiten lassen, bis mir ein Kunde mal diese alte Marketing-Weisheit mit auf den Weg gab: „Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.“

Inzwischen versuchen wir immer zu berücksichtigen, wer denn die Zielgruppe unserer Filme ist.

Und wie gehen Sie mit den Optionen der Spracherkennung oder anderen KI-Möglichkeiten um?

Arne Schippmann: Das ist ein wichtiges Thema, vor allem bei internationalen Studien.

Wir verfolgen sehr aufmerksam die Entwicklungen in Sachen Prozess-Automatisierung, z.B. wenn es um das Thema Spracherkennung geht. Es gibt z.B. für Auto-Transkriptionen oder -Übersetzungen hilfreiche Programme, aber ohne einen gründlichen Check von einem Muttersprachler geht es am Ende doch nicht.

Die Grundlage eines Skripts ist immer das Transkript – wir gehen erst in den Videoschnitt, wenn die Vorauswahl signifikant reduziert wurde. Das spart Zeit und Aufwand. Untertitelt wird erst, wenn das komplette Video steht.

Sie peilen mit Ihrer Visualisierung einen ‚Wow-Effekt‘ an. Das klingt nach einem hohen Grad an Individualisierung – wie gehen Sie mit den Kosten um?

Arne Schippmann: Das ist sehr individuell und kommt auch auf den Verwendungszweck an.

Bei unserer täglichen Arbeit versuchen wir, Vorstufen zu standardisieren und damit Zeit und Geld zu sparen. Mit unserer firmeninternen, sehr breitgefächerten PPT-Vorlage versuchen wir den Spagat einer ‚standardisierten Individualisierung‘, die individuelle gestalterische Freiheiten erlaubt, sich aber dennoch im Rahmen eines einheitlichen, vordefinierten Corporate Designs bewegt.

Wenn es darum geht, etwas Besonderes zu kreieren für einen Vortrag oder eine Konferenz, dann sind das im Grunde maßgeschneiderte Einzelstücke. Da sind die Kosten eher wie eine Investition, die sich nicht unmittelbar berechnen lässt.

Janine Katzberg: Gerade bei Kunden, denen wir zum ersten Mal Visualisierungen oder Videofilme vorschlagen, ist es manchmal schwierig, die realen Kosten zu vermitteln. Das ist aber auch verständlich, weil sie keine Erfahrungen mit dem Medium haben und die Wirkung meist unterschätzen.

Aber es gibt auch positive Beispiele.

Erst vor kurzem hatten wir ein sehr erfolgreiches Video-Projekt. Ausgangspunkt war eine Zielgruppenstudie. Die auftraggebende Insights-Managerin war überzeugt von der Wichtigkeit dieser bestimmten Zielgruppe. Ihr CEO blieb jedoch unbeeindruckt vom Management-Summary. Sie gab nicht auf, kratzte ihr letztes Budget zusammen und gab einen Film über die Zielgruppe bei uns in Auftrag – einen ziemlich mutigen sogar. Nicht nur ‚Talking Heads‘, sondern ein dynamisch schnell geschnittenes Musikvideo, das nicht nur die Einstellungen der Zielgruppe zeigt, sondern auch deren ‚Vibe‘ verkörpert.  Sie erbat sich 15 Minuten Gesprächszeit beim CEO. Bis zum Abend zuvor haben wir noch letzte Änderungen gemacht. Der CEO war sichtlich begeistert und bewegt. Er versteht jetzt nicht nur die Relevanz der Zielgruppe besser, sondern priorisiert das Thema seitdem viel stärker, auch in der Vergabe von Mafo-Projekten.

Welche Programme verwenden Sie typischerweise?

Sven Malaschewski: Für die Erstellung von Icons, Bildern und Infografiken benutzen wir hauptsächlich Adobe Illustrator, InDesign und Photoshop. Für Videoschnitte und Animationen arbeiten wir mit Premiere und After Effects. Das ist keine Schleichwerbung für Adobe, unsere Erfahrung zeigt einfach, dass die Programme nahtlos zusammenarbeiten. Man kann beispielsweise Icons problemlos in einen Videoschnitt integrieren. Zusätzlich gibt es noch weitere hilfreiche Tools, z.B. um Videos zu konvertieren (Xilisoft Video Converter), Websites und Word Clouds zu erstellen (z.B. wortwolken.com) oder Programme, die gescannte Texte bearbeitbar machen (z.B. Adobe Acrobat Pro).

Was würden Sie Marktforschern raten, die gerne mehr mit Videos und Visualisierungen arbeiten wollen?

Arne Schippmann: Lassen Sie sich inspirieren und nicht von der Technik abschrecken. Schauen sie sich Präsentationen und Filme mit dem Auge eines Regieführenden an und beobachten Sie an sich selbst, was sie beeindruckt und bewegt.

Legen Sie sich einen Inspirationspool an, auf den Sie zugreifen können, wenn Sie an etwas Konkretem arbeiten müssen. Und experimentieren Sie. Die Videoqualität vieler Smartphones ist sehr gut und es gibt zahlreiche Apps, die heutzutage Videoschnitt und ‑bearbeitung sehr einfach machen.

Über die Personen:

Janine Katzberg ist Project Director bei Happy Thinking People, Berlin. Sie ist Expertin u.a. auf dem Gebiet Storytelling und gibt Schulungen und Workshops zu diesen Themen.

Arne Schippmann ist Head of Multimedia bei Happy Thinking People, Berlin. Er hat Soziologie studiert und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der audiovisuellen Aufbereitung von Studienergebnissen.

Sven Malaschewski ist Project Manager und Multimedia-Experte bei Happy Thinking People Berlin. Nach seinem abgeschlossenen Soziologiestudium arbeitet er bei H/T/P u.a. in den Bereichen Bildgestaltung, Illustration, Videoschnitt und Animation.

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