Fachartikel von Daniel Venohr Den Kunden im Blick behalten

"Warum kaufen weniger Menschen bei uns als bei der Konkurrenz? Eigentlich sind unsere Kunden doch sehr zufrieden. Auch unser Angebot und unsere Preise sind wettbewerbsfähig ..." Ein Blick auf die Pre-Sales-Phase hilft: Mit dem Modell "Markentrichter" können die Gegebenheiten vor dem Kauf näher beleuchtet und mit den Prozessen bei den Wettbewerbern im Markt verglichen werden.

Der Markentrichter ist eine Weiterentwicklung des AIDA-Modells (Attention, Interest, Desire, Action) – synonyme Begriffe für Markentrichter sind zum Beispiel "Kauftrichter", "Brand Funnel" und "Purchase Funnel". Dabei wird untersucht, wie viele Personen jeweils bei bestimmten Vorkauf-Stufen noch "an Bord" sind. Diese Vorkauf-Stufen sind üblicherweise gestaffelt in "Bekanntheit", "Vertrautheit/Informiertheit", "Aufnahme ins Relevant Set/Engere Auswahl" und schließlich "Kauf" (vgl. Abb. 1). Je nachdem welcher Markt untersucht wird, müssen der Markentrichter inhaltlich und die Anzahl der Stufen angepasst werden, um die Gegebenheiten geeignet widerzuspiegeln.

Grundsätzlich erhöht die Erweiterung des Modells um Nachkauf-Stufen wie "Zufriedenheit" und "Loyalität" den strategischen Wert einer Analyse entlang des Markentrichters. Meist wird Loyalität entweder über emotionale Bindung oder die Wiederkauf-Absicht erhoben – darüber hinaus gibt es Erklärungsmodelle, wie etwa das Fan-Prinzip, das Kundenbindung und Kundenreise in einen unternehmensstrategischen Gesamtzusammenhang einordnet.

Schema des Markentrichters, forum!
Schema des Markentrichters (Anklicken zum Vergrößern)

Die Umsetzung in der Praxis

Wird bei einer Studie der Markentrichter in einen Fragebogen übersetzt, sollten die Fragen auf jeder der Stufen idealerweise "Ja/Nein"-Fragen sein, sodass der Anteil der "Ja"-Antworten für die interessierende Marke und für die wichtigsten Konkurrenzmarken abgetragen werden können. Hier können auch Likert-Skalen-Abfragen verwendet werden; in diesem Fall bleibt es dem Marktforscher überlassen, welchen Teil der Skala er als "Ja" interpretiert (beispielsweise Top-1- oder Top-2-Box).

An diesen Schritt schließt sich die Berechnung der Transferraten an: Dies sind die Anteile der (potenziellen) Kunden (= Prozessstufenwerte), die von einer Stufe des Markentrichters (auch: "Funnelstufe") in die nächste gelangen, dem Unternehmen also nicht verloren gehen. Die Berechnung der Transferraten geschieht über die Formel "Anteil Stufe n geteilt durch Anteil Stufe n-1" (s. Abb. 2 - die letzte Transferrate von der engeren Auswahl zum Kauf errechnet man zum Beispiel anhand der Formel: "17% ÷ 30% = 57%").

Berechnung der Transfer-Raten im Markentrichter, forum!
Berechnung der Transferraten im Markentrichter (Anklicken zum Vergrößern)

Warum also ist der Anteil der Käufer bei einem Unternehmen möglicherweise geringer als bei einem anderen? Um das zu verstehen, vergleicht man die Transferraten zwischen dem interessierenden Unternehmen und seinen Konkurrenten. Man schaut, an welchen Stufen die Transferraten – absolut und relativ betrachtet – im Vergleich zum Wettbewerber am niedrigsten sind. Im Beispiel von Abb. 3 ist die Marke A am stärksten – insbesondere wegen des hohen Transfers von Bekanntheit zu Vertrautheit. Bei Marke D dagegen, zumindest gestützt fast allen bekannt, ist die Vertrautheit sehr gering – der erste Ansatzpunkt für Optimierungen dieser Marke, die darüber hinaus auch bei den anderen Transferraten deutliche Schwächen hat. Marke C weist zwar ebenfalls einen geringen Transfer zwischen Bekanntheit und Vertrautheit auf, schafft es auf den beiden folgenden Stufen aber, recht viele Personen "mitzunehmen". Beachtlich ist hier die hohe Transferrate von "Relevant Set" zu "Kauf".

Markentrichter-Beispiel, forum!
Ein Beispiel eines Markentrichters, Markennamen anonymisiert. (Anklicken zum Vergrößern)

Der Trichter verjüngt sich nicht zwingend

Auch wenn das Modell und der Name "Trichter" nahelegen, dass der Anteil der "Ja"-Antworten von Stufe zu Stufe geringer wird, ist dies nicht zwingend der Fall. Insbesondere zwischen der Stufe "Vertrautheit" und "Relevant Set" kann sogar eine Steigerung der Prozessstufenwerte auftreten. Dies liegt dann meist an einem "low involvement" der Befragten – wenn zwar die Marke eine große Strahlkraft besitzt, das Produkt an sich aber eher schwer zu verstehen ist und der (potenzielle) Kunde sich damit gar nicht so genau auseinandersetzt. In einer unserer Kunden-Studien konnten wir beispielsweise für eine regionale Sparkasse einen Vertrautheitsanteil von 23 Prozent messen, während der Prozessstufenwert beim "Relevant Set" 30 Prozent zählte, was einer Transferrate von 135  Prozent entspricht.

Marktspezifische Erweiterungen der Trichterstufen

Für ausgewählte Märkte ist die Unterscheidung in "Kauf" und "wichtigster Anbieter" eine interessante Erweiterung der Trichterstufen. Dabei ist die Kategorisierung als "wichtigster Anbieter" ein einfach zu erhebender Hinweis für eine höhere Zufriedenheit und Loyalität und damit bereits eine Überleitung in die Nachkaufbetrachtung.

Eine weitere zusätzliche Stufe kann zwischen "Vertrautheit" und "Relevant Set" eingeschoben werden. Dabei handelt es sich um die Bewertung der Marke, denn auch wenn sie die Marke vielleicht noch nie genutzt oder besessen haben, haben viele Menschen dennoch eine Meinung über beispielsweise bestimmte Automarken. So kann es sein, dass man zwar eine hohe Meinung von einer Marke hat, diese für einen Kauf aber aus anderen Gründen eher nicht in Erwägung zieht. Ein typisches Beispiel hierfür sind Luxusgüter, die trotz eines sehr großen Anteils positiver Bewertung aus finanziellen Gründen nur einen geringen Anteil beim "Relevant Set" aufweisen: "Porsche baut Spitzenautos, aber für mich kommen die nicht in Frage, zu teuer."

Tiefergehende Analysen entlang des Markentrichters

Die Erforschung bestimmter Untergruppen im Prozess des Markentrichters ist – entsprechende Fallzahl und entsprechendes Studiendesign vorausgesetzt – sehr aufschlussreich. Schließlich kann es für den Erfolg von Marken und Produkten entscheidend sein, mögliche Hindernisse entlang der Markentrichterstufen aufzudecken. Dafür untersucht man zum Beispiel die Transferraten bei Jüngeren, bei Frauen oder allgemein den interessierenden Zielgruppen.

Einen Schritt weiter geht die Analyse von Treibern, die die verschiedenen Trichterstufen erklären sollen. Warum ist zum Beispiel vor der Trichterstufe „Relevant Set“ ein hoher Einbruch festzustellen, im Gegensatz zur Konkurrenz? Ein möglicher Ansatzpunkt zur Erklärung wären das Image und einzelne Imageaspekte. Mögliche Einflüsse können mit einem geeigneten multivariaten Modell zur indirekten Wichtigkeitsbestimmung berechnet werden. Eine ausreichend hohe Varianzaufklärung (hohes R-Quadrat) vorausgesetzt, lassen sich so Wachstumstreiber und -blockaden ermitteln. Basierend auf diesen Analysen können Marktforscher ihren Kunden Erklärungsansätze und Positionierungs-Ideen liefern. Schließlich lassen sich auch diese Treiberanalysen wiederum mit der Performance der Wettbewerber vergleichen (Benchmarking mit dem Branchenbesten) und in einem Portfolio veranschaulichen (s. Abb. 4).

Portfolio Wachstumstrieber/-blockaden, forum!
Portfolio Wachstumstreiber/Wachstumsblockaden mit hoher/niedriger Relevanz (Anklicken zum Vergrößern)

Voraussetzungen für das Studiendesign

Das Ziel einer Markentrichteranalyse sollte stets ein möglichst repräsentatives Abbild des Zielmarktes sein, beispielsweise "Bankkunden in einem bestimmten PLZ-Gebiet". Für das Benchmarking muss außerdem eine sinnvolle Auswahl aus den verfügbaren Wettbewerbern getroffen werden, da aus Rücksicht auf die Befragten und finanzielle Ressourcen nicht allzu viele Marken abgefragt werden können. Eine praxiserprobte Empfehlung sind hier maximal fünf Marken. Manchmal kann es sinnvoll sein, neben einer übergeordneten Dachmarke, wie zum Beispiel. "VW" auch nur nach dem Fahrzeugmodell wie „VW Passat“ zu fragen. Und es gibt noch eine Voraussetzung pragmatischer Art: Wenn die Marke, die untersucht werden soll, einen zu geringen Marktanteil und damit eine sehr geringe Bekanntheit hat, dann fallen schon auf der ersten Trichterstufe zu viele Befragte raus – die Fallbasis für die Berechnungen der folgenden Stufen reduziert sich dann noch weiter, und die statistischen Schwankungen werden eventuell zu groß. Der Markentrichter ist somit eher ein Werkzeug für die "großen" Marken.

Fazit und Ausblick

Das Markentrichtermodell eignet sich, um einen groben Überblick über Wachstumshürden im Vergleich zur Konkurrenz zu gewinnen. Dabei kommt es darauf an, das Modell an die Erfordernisse und den zu untersuchenden Markt anzupassen. Für tiefere Erkenntnisse empfehlen sich Treiberanalysen und Subgruppen-Vergleiche sowie Portfoliodarstellungen. Darüber hinaus ist es ratsam, die Untersuchung in gewissen Zeitabständen zu wiederholen, um so bestimmte Maßnahmen zu evaluieren und auch die Entwicklung des Marktes insgesamt im Auge zu behalten.

Eine umfassende Betrachtung des Markentrichters schließt Prozesse auf den Nachkaufstufen nicht aus, schließlich ist es oft einfacher und günstiger, die bereits vorhandenen Kunden zu halten, als immer wieder Neukunden zu akquirieren.

Der Autor 

Daniel Venohr, forum!
Daniel Venohr ist Leiter Methoden und Analysen bei der forum! GmbH.

 

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