Interview mit Anja Dieckmann, GfK Verein "Den Einsatz bildgebender neurowissenschaftlicher Methoden in der Marktforschung sehen wir eher kritisch"

Anja Dieckmann (Bild: GfK Verein)
marktforschung.de: Frau Dieckmann, seit mehr als zwölf Jahren sind Sie nun beim GfK Verein in der Grundlagenforschung tätig. Womit beschäftigen Sie sich genau?
Anja Dieckmann: Generell versteht sich der GfK Verein als Think Tank der Marktforschung. Wir richten den Blick auf die Markttrends und die akademische Welt, suchen neue Methoden, Theorien und Ansätze. Haben wir beispielsweise einen neuen Technologietrend identifiziert, bewerten wir mit einer empirischen Untersuchung, wie er sich gegebenenfalls in der Marktforschung einsetzen lässt. Unser Ziel ist es, zu beweisen, dass die neue Methode nicht nur funktioniert, sondern dass sie auch Erkenntnisse über den Konsumenten liefert, die mit herkömmlichen Methoden bislang nicht zugänglich gewesen wären. Für uns kommt es also auf den Mehrwert an.
marktforschung.de: Woran arbeiten Sie im Moment?
Anja Dieckmann: Aktuell beschäftigen wir uns beispielsweise mit dem Erkennen von Emotionen in der Stimme. Im vergangenen Jahr haben Kollegen der GfK SE mit dem "MarketBuilder Voice" den Innovationspreis der Deutschen Marktforschung gewonnen. Das Tool verwendet eine Software zur Stimmanalyse, die wir vorab im GfK Verein empirisch untersucht haben. Momentan führen wir ein weiteres Experiment damit durch. Wir überprüfen empirisch, wie stark emotionale Erregung in der Stimme mit dem Mitteilungsbedürfnis von Menschen zusammenhängt. Emotionale Erregung ist immer ein guter Prädiktor für das Mitteilungsbedürfnis. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Erregung positiver oder negativer Natur ist. Es gilt: Je größer die emotionale Erregung, desto mehr möchte man drüber sprechen und anderen von der Erfahrung berichten.
marktforschung.de: Wie gehen Sie bei dem Experiment genau vor?
Anja Dieckmann: Wir haben den Teilnehmern in einem Laborumfeld verschiedene Film-Trailer gezeigt. Danach haben sie eine kurze Rezension eingesprochen, in der sie erzählten, wie sie den Film fanden und ob sie ihn sich ansehen würden. Am Schluss hatten die Teilnehmer die Möglichkeit, ihre Rezension mit ihren Freunden online zu teilen. Wir analysieren nun, ob die emotionale Erregung in der Stimme Aufschluss darüber gibt, wie oft die Studienteilnehmer die Rezension teilen.
marktforschung.de: In welchen Bereichen wird die Stimmanalyse in der Marktforschung bereits eingesetzt?
Anja Dieckmann: Sie ist momentan vor allem im Bereich der Produkt- und Konzepttests etabliert. Da geht es nicht nur darum, ob einem Probanden das Produkt gefällt oder nicht, sondern ob es für ihn auch eine Relevanz hat. Das finden wir mithilfe der emotionalen Erregung heraus, denn Emotionen sind für uns Relevanzdetektoren. Emotionen signalisieren, dass das, was ich gerade erlebe, für mich persönlich wichtig ist. Und je relevanter, desto höher ist die emotionale Erregung. Das lässt sich messen, indem man die Stimme bei der Befragung aufzeichnet. Die Software analysiert das Gesprochene dann anhand von Stimmhöhe, Sprechpausen und stockender Sprache und leitet daraus Indikatoren für Emotionen ab. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Befragung am Telefon oder persönlich abläuft. Aber es hilft, wenn der Gesprächspartner ein echter Mensch ist, dann sprechen Befragte meist emotionaler.
marktforschung.de: Was muss man im Umgang mit der Software beachten?
Anja Dieckmann: Die Software an sich ist sehr einfach zu handhaben. Die Herausforderung besteht in der Interpretation der Messwerte. Viele neue Erhebungsmethoden wie die Stimmanalyse klingen erstmal spannend. Aber um wirkliche Erkenntnisse für marketingrelevante Fragen zu erhalten, muss man Erfahrung mit der jeweiligen Methode haben. Es ist wichtig zu wissen, was ein Erregungswert von 4,9 überhaupt bedeutet. Da braucht es eine gewisse Routine, um die Messwerte einzuordnen und Erkenntnisse abzuleiten.
marktforschung.de: Sehen Sie neben der Stimmanalyse einen weiteren technologischen Trend in der Marktforschung?
Anja Dieckmann: Wir beschäftigen uns mit Virtual Reality und deren Einsatzmöglichkeiten in der Marktforschung. Wir haben beispielsweise an einer Studie mitgewirkt, die virtuelle Car Clinics untersucht hat. Wir wollten herausfinden, ob die Probanden im virtuellen Raum ähnliche Antworten geben wie in der Realität und ob wir Verzerrungen ausschließen können. Die Studie zeigt: Das funktioniert. Wir haben nachgewiesen, dass man die Realität virtuell abbilden und abfragen kann – und man dabei qualitativ hochwertige Antworten von Probanden erhält. Das war aber nur ein erster Schritt – hier gibt es noch einiges zu erforschen.
marktforschung.de: Welche Fragen sind noch offen?
Anja Dieckmann: Hersteller binden Kunden heute beispielsweise immer früher in den Produktentwicklungsprozess ein. Vor allem bei virtuellen Car Clinics gibt es hier zahlreiche Möglichkeiten. Die Befragten können etwa verschiedene Automodelle, Größen und Farbvarianten ausprobieren. Ob das allerdings einen wirklichen Mehrwert für die Entwickler hat, ist zu prüfen. Das Ergebnis hängt in jedem Fall stark von der Fragestellung ab, welche Elemente man den Befragten zeigt und in welcher Form sie damit interagieren können.
marktforschung.de: Hat der Innovationsdruck in der Marktforschung in den vergangenen Jahren zugenommen?
Anja Dieckmann: Ja, ich denke schon. Es gibt heute deutlich mehr Erhebungsmethoden als noch vor zehn Jahren. Die rasche Entwicklung ist natürlich stark technologiegetrieben. Umso wichtiger ist für uns, zu beurteilen, welche Methoden auch wirklich einen Mehrwert liefern.
marktforschung.de: Welche Methode hat sich denn als nicht praxistauglich herausgestellt?
Anja Dieckmann: Wir sehen beispielsweise den Einsatz bildgebender neurowissenschaftlicher Methoden in der Marktforschung eher kritisch. Vor einigen Jahren waren die Marketingzeitschriften voll von bunten Abbildungen des Gehirns, Neuromarketing war ein richtiger Hype. Bei unserer empirischen Untersuchung kam allerdings heraus: Der Übersetzungsschritt von den Rohdaten aus Hirnstrommessungen durch Elektroenzephalografie (EEG) und funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) hin zu verwertbaren Erkenntnissen ist sehr groß. Entweder muss der Marktforscher komplett der Interpretation des Neurowissenschaftlers vertrauen oder aber selbst ein echter Experte in der Neurowissenschaft sein. Was noch dazu kommt: Diese Verfahren sind extrem aufwändig und eignen sich unserer Meinung nach nicht für die Anwendung bei vielen Testpersonen. Ich möchte nicht ausschließen, dass es auch Unternehmen gibt, die aus dem Neuromarketing für spezielle Fragestellungen Erkenntnisse ziehen können.
marktforschung.de: Was wird in den kommenden Jahren die Marktforschung prägen?
Anja Dieckmann: Durch die Digitalisierung werden natürlich die Online-Forschung und die mobile Forschung weiter an Bedeutung gewinnen. Aber auch Verhaltensbeobachtungen beispielsweise am Point of Sale und die klassische qualitative Marktforschung werden wieder wichtiger. Als Gegensatz zur qualitativen Marktforschung steht Big Data mit seinen unendlichen Daten, die zwar eine Flut an Informationen bringen, jedoch nicht die Frage nach dem "Warum" beantworten. Hier liefert die qualitative Marktforschung Antworten. Die Basis an Befragten ist zwar kleiner, die Erkenntnisse sind dafür aber sehr tief und detailliert. Und schließlich sollten wir den Informationsschatz, über den Konsumenten verfügen, besser nutzen – und jenseits von standardisierten Ratings auch offenes Feedback und Ideen der Konsumenten einholen. Neue Methoden erlauben inzwischen auch die Analyse solch offener Antworten. Denn die Menschen und ihre Meinungen werden auch in Zukunft für die Marktforschung unverzichtbar sein.
Frau Dieckmann wird auf der GOR Konferenz am 01. März 2018 um 11:45 Uhr an der Podiumsdiskussion "Evolution or Revolution? How Much Innovation Does Research Need - And How to Implement It? teilnehmen. Programminformationen finden Sie hier.
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