Gabriele Stöckl, Harris Interactive "Demand Spaces identifizieren Unterschiede im Konsumverhalten"

Gabriele Stöckl, Harris Interactive
marktforschung.de: Frau Stöckl, wir müssen einen Fachbegriff aus der Webinar-Ankündigung klären, was versteht man unter "Usage & Attitude-Studien"?
Gabriele Stöckl: Wörtlich übersetzt beschäftigen sich Usage & Attitude-Studien mit der Verwendung und den Einstellungen der Konsumenten in Bezug auf eine bestimmte Produktkategorie. Mit U&As verfolgen Unternehmen das Ziel, ihren Markt umfassend zu verstehen, um daraus ihre Produktentwicklungs- und Marketingstrategie abzuleiten: Wer ist meine Zielgruppe bzw. sind meine Zielgruppen? Welches Verhalten zeigen diese Personen, das für die Verwendung meiner Produkte relevant ist? Und wie ticken sie, welche Einstellungen, Motive, Bedürfnisse, Überzeugungen leiten ihr Handeln? Aus dieser Perspektive handelt es sich eher um Grundlagenforschung. Diese ist zwar nicht an eine konkrete Initiative gebunden wie z.B. ein Packungstest an eine unmittelbar anstehende Packungsumstellung, aber für den langfristigen Geschäftserfolg dennoch unerlässlich. So wie es für einen Wanderer ohne Kenntnis des Geländes, ohne Navigationsgerät, Karte oder Kompass schwierig ist, sein Ziel zu erreichen.
marktforschung.de: Es geht im Webinar um eine Methode, mit der direkt im Konsum-Moment Daten erhoben werden können. Warum ist das wichtig? Es hat doch bislang auch ganz gut geklappt, mittels Befragungen Konsumgewohnheiten und Trendvorlieben zu erforschen.
Gabriele Stöckl: Können Sie auf Anhieb sagen, wie viele und welche Getränke Sie in einer typischen Woche trinken? Oder wie Sie sich in den Situationen, in denen Sie in den letzten 7 Tagen einen Snack gegessen haben, jeweils gefühlt haben? Diese Art von Fragen retrospektiv aus der Erinnerung zu beantworten, fällt uns allen schwer. Im besten Fall kommt dabei eine grobe Annäherung heraus, im schlechtesten Fall einfach nur Datenmüll. Um jedoch erfolgreich zu sein, müssen Marken die relevanten Faktoren genau verstehen, die die Verwendungssituation charakterisieren: Wer konsumiert? Was genau? Wann? Wo? Warum? Mit wem? Wie fühlt er/sie sich dabei? Wie ist der Kontext, welche anderen Aktivitäten spielen gerade eine Rolle? Usw. Um diese sogenannten "W's" valide zu erheben, müssen Sie möglichst nah an die Konsumsituation heran. Und das ist nur mit einer in-the-moment-Erhebung möglich. In unserer letzten Next Generation U&A haben wir im Lauf von einer Woche auf diese Weise mehr als 72.000 Konsumsituationen detailliert erfasst. Zu diesen haben wir etwa 15.000 Bilder eingesammelt, und wir können sie mit 200.000 getrackten Online-Aktivitäten aus unserem Digital Tracking unterfüttern. Auf dieser Basis können wir ein unverfälschtes und granulares Verständnis der Kategorieverwendung und ihrer Treiber und Barrieren entwickeln.
marktforschung.de: Für mich ergab sich noch eine Frage aus dem Ankündigungstext. Dort heißt es, dass sich die Kunden auf Demand Spaces freuen dürfen, die "strategische Neuproduktentwicklung und Marketingplanung ermöglichen". Was sind Demand Spaces?
Gabriele Stöckl: Demand Spaces bauen auf der Erkenntnis auf, dass Segmentierungen anhand von Konsumententypen oder Bedürfnissen nicht ausreichen, um Wachstumspotenziale zu identifizieren, zu quantifizieren und zu realisieren. Denn was jemand konsumiert, hängt immer davon ab, in welcher Konsumsituation er oder sie sich gerade befindet. Jemand, der zum Frühstück zu Hause einen Cappuccino trinkt, trinkt vielleicht tagsüber im Büro Filterkaffee - beides mit einem ähnlichen Motiv, aber in einem anderen Kontext -, und im Kaffee mit Freunden Latte Macchiato. Demand Spaces identifizieren und erklären diese Unterschiede im Konsumverhalten. Sie definieren Marktsegmente, die sich durch ein signifikantes Geschäftspotenzial und eine klare Kenntnis der entsprechenden Treiber auszeichnen. Ein Demand Space ist typischerweise an einem "W" festgemacht, also z.B. Wann, Wo, Warum, das das Verhalten von Konsumenten in diesem Marktsegment wesentlich beeinflusst. Zudem liefert ein detailliertes Profil des Demand Spaces weitere Ansatzpunkte, wie Marken ihn erfolgreich bespielen. Damit sind Demand Spaces für Unternehmen ein Schlüsselinstrument, um auf der Basis eines klaren Verständnisses, wie ihr Markt strukturiert ist und funktioniert, Wachstumspfade zu identifizieren sowie ihre Neuproduktentwicklung und ihr Marketing direkt an den Bedürfnissen und Chancen im Markt auszurichten.
marktforschung.de: Frau Stöckl, Sie sind seit 15 Jahren in der Marktforschung tätig und haben einen ganz guten Überblick. Erleben wir zurzeit eine selten gesehene technologische Umwälzung, was Ihre Branche betrifft? Mir kommt es so vor, als gebe es täglich neue Tools und Befragungstechniken. Ist das eine kleine Revolution?
Gabriele Stöckl: Ganz zweifellos ist auch in unserer Branche die digitale Transformation nicht zu übersehen. Was vor Jahren im Forschungsprozess noch aufwändig per Hand abgewickelt werden musste, wird heute vielfach bereits automatisiert umgesetzt. Umgekehrt sehen wir auch bei unseren Kunden aus der Industrie immer kürzere Entwicklungszyklen und die Nachfrage nach immer schnelleren Turnarounds. Bei Harris Interactive stehen wir für technologische und methodische Innovationen und helfen unseren Kunden, mit Real Time-Insights immer einen Schritt voraus zu sein. Zugleich schöpfen wir aber auch die Möglichkeiten neuer Datenerhebungstechniken wie etwa das erwähnte Digital Tracking, das das Onlineverhalten von Konsumenten erfasst, voll aus. Unsere Next Generation U&A ist ein Beispiel dafür, wie wir neue Technologien gezielt kombinieren, um einen etablierten Forschungsansatz fit für die Zukunft zu machen. Aus all diesen schnellen, neuen und teilweise auch sehr umfangreichen Datenquellen echte und für das Business relevante Insights herauszukristallisieren bleibt aber sicher bis auf weiteres die eigentliche Kunst der Marktforschung.
marktforschung.de: Vielen Dank für das Interview!
Das Interview führte Tilman Strobel
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