Martins Menetekel Delle, Welle oder Tsunami?

Heute bewegen wir uns auf ganz dünnem Eis. Das mache ich mit Absicht, denn meine Leser sollen verstehen, wie schwierig es ist, aus der jetzigen Gemengelage begründbare Folgerungen zu schließen. Nach Churchill soll man nur den Statistiken trauen, die man selbst gefälscht hat.
Das ist gar nicht nötig.
Anregung dazu gab mir die Zahl 7,6 Milliarden, so viele Impfdosen sind weltweit verabreicht worden, in etwa kommt auf jeden Menschen eine Dosis, eine unerhörte und bewundernswerte Leistung. Ich habe dann gegoogelt, und nach deren Information gibt es 7,9 Milliarden Menschen. Dabei fielen mir zwei Grafiken auf:
Erste Grafik, zeigt die Entwicklung der Bevölkerung seit unserer Zeitrechnung.

Das sieht einer Verhulstkurve mit Sättigung sehr ähnlich, wie jeder meiner Leser und Leserinnen sofort sehen wird.
Mir kam es spanisch vor, zu recht!
Zweite Grafik:

Sie sieht total anders aus. Warum ist das so?
Lösung für die, die es nicht sofort sehen:
Die zweite Grafik hat eine lineare und äqudistante Zeitskala in gleich langen 500-Jahres-Schritten, und sofort sieht es wie hyperexponentielles Wachstum mit nahem Pol in wenigen Jahrzehnten aus. Also nicht Verhulst mit Limitierung, sondern im Gegenteil mit Verstärkungsfaktor. Das ist auch eher an der Wirklichkeit, da die Menschheit mit aller Kraft daran arbeitet, alle Limitierungsfaktoren wie zum Beispiel Seuchen auszurotten. Dann schlägt Verhulst mit Limitierung erst zu, wenn alle Ressourcen aufgebraucht sind, dann aber auch mit Macht.
Und damit kommen wir zu Corona.
Zuerst zwei Grafiken, die dieselbe Information, aber völlig verschiedenes Aussehen haben, über den Impfstatus:

Man sieht, es geht voran, oder?

Pustekuchen!
Nehmen wir den Maßstab von 0 bis 100 Prozent, so dümpelt es immer noch unter der 70 Prozent-Linie, und keine Herdenimmunität für die Delta-Variante ist in Sicht. In den letzten zwei Monaten kamen gerade fünf Prozent hinzu.
Manipulation (ohne direkte Fälschung) ist auch bei allen anderen Zeitreihen, die die Verbreitung der Seuche beschreiben, möglich. Es kommt auf die Glättung an, auf die Auswahl der Zeitskala, in der wir optimieren und Referenzkurven entwickeln, selbst darauf, wie wir Zuwächse oder deren Änderungen berechnen.
Ein Beispiel für die Zuwächse für eine Funktion, die die meisten noch aus der Schule kennen:
y = f(x) = x^3 . y ist das Standardpolynom dritten Grades. Dann ist die Ableitung 3x^2.
Wenn wir aber x nur alle ganzen Zahlen durchlaufen lassen, müssen wir als Annäherung der Ableitung die Funktion (f(x+1) - f(x-1))/2 nehmen, ich nenne sie D2(f(x)) und das ist
D2(f(x)) = ((x+1)^3 - (x-1)^3)/2 = (x^3 + 3x^2 + 3x + 1) - (x^3 - 3x^2 + 3x - 1)/2 = 3x^2 + 1 .
An jeder Stelle ist die Steigung um 1 größer, für x = 0 hat y einen Sattelpunkt mit waagerechter Tangente, aber jede Stammfunktion von 3x^2 + x hat bei x = 0 eine Steigung von 45°.
Grafik:

Grün ist die Ausgangsfunktion, braun ihre Ableitung, blau ihre angenäherte Ableitung als Mittelwert der Steigung zweier Sekanten und braun dazu die Stammfunktion durch den Ursprung (0,0) . Sie hat kaum Ähnlichkeit mit y = f(x).
Schauen wir und die heutige Entwicklung an. Ich hatte versprochen, die neue Referenzkurve nicht zu ändern:

Da die Fallzahlen leicht über der Referenzkurve liegen, deutet es eher auf hyperexponentielles Wachstum hin, die Basis b muss leicht erhöht werden. Mir ist es noch zu früh dazu.
Aussagekräftiger sind die Inzidenzen, die gerade eine Renaissance erfahren, korrelieren sie doch leider immer noch mit den Schwerkranken und Todesfällen.

Diese Grafik ist schlimm genug, die Inzidenzen haben sich innerhalb eines Monats verfünffacht.
Dazu als Kontrast die Inzidenzen seit März 2020 in einem anderen Verhältnis Zeit zur Höhe der Zeitreihe:

Jetzt können wir uns fragen, ob wir in einer 4. Welle sind oder seit Anfang November in einem Tsunami, den wir nicht beherrschen. Die Antwort der Mathematik ist, dass die 4. Welle um das erste Drittel des Oktobers ein Plateau erreicht hat, aber der Anstieg im November eine 5. Welle anzeigt, deren Steilheit und Höhe alle vorherigen Fallzahlen übersteigen. Zum Glück haben wir Norddeutschen an der Waterkant noch ein Mittelding zwischen hoher Welle und Tsunami, den Kavenzmann. Der passiert häufiger und bezeichnet extrem hohe Wellen, die sich fünf bis zieben Meter oder mehr über die allgemeinen Wellen auftürmen und durch Superposition von mehreren anderen Wellensystemen entstehen. Die treten zum Glück grundsätzlich isoliert auf und sind von geringer räumlicher Ausdehnung und zeitlicher Dauer.
Ich hoffe, ich habe genug Anregung gegeben, sodass sich jeder fragen kann, ob das Plateau im Oktober das Ende der 4. Welle oder nur eine Delle war und ob der letzte Zacken der Grafik einen Kavenzmann und sogar einen Tsunami anzeigt. Es darf jeder für sich Wetten abschließen. Ende November wissen wir mehr.
Bleiben Sie gesund!
Über Martin Lindner

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