Martins Menetekel Delle oder vierte Welle?

In seinem aktuellen Beitrag warnt Martin Lindner vor voreiligen Handlungen sowie Lockerungen: Es müssten alle Alarmglocken klingeln, wenn man die Entwicklung in Deutschland mit der in anderen Ländern vergleicht. Um die vierte Welle zu vermeiden, ergibt sich allerdings ein verheerendes Paradoxon.

Kolumne Martin Lindner: Delle oder vierte Welle? (SNFV GmbH)

Die Lage ist derzeit, um es im Jargon der Börsenmakler auszudrücken, sehr volatil. Es variiert der Reproduktionsfaktor, der Rückgang der Fallzahlen könnte vorbei sein, unter Umständen gewinnt das Virus in Gestalt der Variante Delta wieder die Oberhand.

Der Reihe nach...

Wichtig zur Bekämpfung der Pandemie ist ein Warnsystem, das rechtzeitig vor einem Wiedererstarken der Seuche warnt. Der beste Indikator ist der Reproduktionsfaktor R. R kann sehr wirksam gesenkt werden, wenn AHA und weitergehende Beschränkungen verordnet und eingehalten werden. Wir hatten letztes Mal  gesehen, dass das Impfen nicht ausreichen wird.

R ist aber Top Down nicht zeitnah zu bestimmen.

Wir brauchen sowieso einen Vorlauf von 4 Tagen, um überhaupt den Quotienten der Zuwächse von heute mit dem Zuwachs vor 4 Tagen zu bilden. Wenn man die ungeglätteten Zuwächse nimmt, kommt nichts Gescheites heraus, wie die beiden folgenden Graphiken zeigen:

Die erste Graphik ist aus der Tagesschau bekannt. Sie zeigt die Zuwächse, praktisch immer sind Montag und Dienstag klein, Mittwoch hat den höchsten Wert, dann geht es langsam 'runter. Die zweite Graphik zeigt R(t), das zu klein ist, wenn Montag durch Donnerstag geteilt wird, und zu groß, wenn Freitag durch Dienstag geteilt wird. Also müssen wir die Zuwächse glätten und erhalten noch einen Zeitverzug von 4 Tagen. 

Es ist also in der Praxis sehr schwer zu entscheiden, ob Schwankungen der Zuwächse nur auf Dellen zurückzuführen sind oder eine vierte Welle ankündigen.

Auf jedenfalls sind heute zum ersten Male wieder die Zuwachszahlen von Donnerstag höher als die Zahlen vom Mittwoch.

Das geglättete R und die täglichen Zuwachsquotienten

Es schwankt zu sehr, es müssten alle Alarmglocken klingeln, wenn man die Entwicklung bei uns mit der in anderen Ländern vergleicht. Ähnliche Tendenzen zeigt die zweite Ableitung. 

Die Änderung der Zuwächse

Tagesaktuell und aussagekräftig sind die 7-Tages-Inzidenzen

Letzter Wert von Donnerstag: 4,3 , eigentlich ein toller Erfolg! Nur darf es nicht bei 4,3 bleiben, das sind immer noch über 500 neue Fälle pro Tag, mehr als doppelt so viele wie im Sommer 2020.

Fazit

Um die vierte Welle zu vermeiden, müssten sofort an allen Grenzübergängen, Bahnhöfen und Flughäfen alle Einreisenden getestet werden. Laut Aussage unseres Gesundheitsministers sind fast alle Viren, die die zweite Welle im Herbst des letzen Jahres verursachten, aus dem Ausland eingeschleppt worden. 

Diese Maßnahmen scheinen politisch nicht durchsetzbar zu sein. Es gilt das Paradox:

Wenn man bei steigenden Fallzahlen sofort bremsen würde, würden sie wieder sinken, und alle würden von Panikmache oder den berüchtigten Kassandrarufen sprechen. Tut man nichts und es kommt die Welle, sagen alle, das man sie doch nicht vorhersehen konnte. Kommt die Welle und man reagiert zu spät und zu zaghaft (Lock Down light des letzten Herbstes), so müssen die Bekämpfungsmaßnahmen sehr viel härter und strenger sein. Ein wirkliches Dilemma!

Über den Autor

Martin Lindner
Martin Lindner ist promovierter und habilitierter Mathematikprofessor im Ruhestand und beschäftigt sich intensiv mit nachhaltiger Wirtschaft und der Zukunftsfähigkeit unserer heutigen Lebensformen. Zusätzlich hat er eine Ausbildung und auch Berufserfahrung in Wirtschaftsmediation

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/mvw

 

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