Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) – eine Langzeitstudie zu Stabilität und Wandel in Deutschland

Von Prof. Dr. Jürgen Schupp, Direktor des SOEP im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und Professor für Soziologie an der Freien Universität Berlin.
Im Frühjahr des Jahres 1984 klingelten zum ersten Mal Interviewerinnen und Interviewer von Infratest Sozialforschung an den knapp 6.000 Türen der Befragten der Studie „Leben in Deutschland“, so heißt das SOEP bei den Teilnehmenden der Studie. Das SOEP wurde damals als Teilprojekt des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Sonderforschungsbereichs 3 „Mikroanalytische Grundlagen der Gesellschaftspolitik“ der Universitäten Frankfurt am Main und Mannheim finanziert. Ziel der Studie war es, den wirtschaftlichen und sozialen Wandel in Deutschland mit Hilfe einer Haushaltspanelbefragung zu erforschen und Mechanismen stabiler wie dynamischer Lebensläufe im familiären Kontext zu entschlüsseln.
Unter Panel versteht man in der empirischen Sozialforschung ein Untersuchungsdesign, das gleichzeitig drei Merkmale erfüllt: Es werden bei denselben Untersuchungseinheiten dieselben oder zumindest die gleichen Inhalte erhoben und die Daten werden mehrfach, also mindestens zweimal, ermittelt. Weltweit wurden Haushaltspanelstudien ins Leben gerufen, um vor allem Dynamiken der Einkommensverteilung und -armut nachzubilden und zu beschreiben. Die allererste Panelstudie, die 1968 begonnene Panel Study of Income Dynamics (PSID), betont dieses Interesse sogar in ihrem Namen. Bei Panelstudien liefern oft schon deskriptive Formen der Datenanalyse wichtige Ergebnisse für Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Vor allem bei repräsentativen Zufallsstichproben können bereits die Ausweisung von Veränderungen einer Variablen im Zeitverlauf und die entsprechende Trennung von interindividuellen und intraindividuellen Veränderungen zu politikrelevanten Erkenntnissen führen. Zum Beispiel ist es von Interesse, ob über die Zeit dieselben 15 Prozent der Menschen in Deutschland ein Einkommen unterhalb des Armutsrisikoschwelle beziehen, oder ob lediglich fünf Prozent der Gesamtbevölkerung einem solchen Einkommensrisiko dauerhaft ausgesetzt waren und die restlichen zehn Prozent sich als Saldo von Zu- und Abgängen zusammensetzen.
Wir sind glücklich darüber, dass Panelstudien in Deutschland und auch weltweit immer mehr an Bedeutung gewinnen und die SOEP-Gruppe in Deutschland zu den Pionieren dieses noch nicht einmal 100 Jahre alten Studiendesigns der empirischen Sozialforschung gehört.
Vor 30 Jahren führten die Interviewerinnen und Interviewer die Befragung noch ausschließlich mit „paper and pencil“ (PAPI) durch; im Jahr 1998 führte das SOEP computer assisted personal interivews (CAPI) ein und in diesem Jahr haben wir der ersten Teilstichprobe von Befragten die Möglichkeit eröffnet, das etwa 40-minütige Interview per Internet zu beantworten. An den Ausschöpfungsquoten für unsere Auffrischungsstichproben müssen wir leider auch feststellen, dass die Teilnahmebereitschaft der Menschen in Deutschland vor 30 Jahren noch deutlich höher war als in den letzten Jahren. Daran ändert leider auch der Einsatz von monetären Incentives statt kleiner Gesten des Dankeschöns für die Teilnahme an der Befragung wenig.
Ein Blick in unsere rund 7.000 registrierten Belegstücke von Studien auf der Basis von SOEP-Daten, die von derzeit mehr als 500 aktiven Nutzern aus dem In- und Ausland erstellt wurden, dokumentiert: Heute liegen wissenschaftliche Veröffentlichungen zu Fragen vor, an deren Beantwortung die Gründer des SOEP aus dem damaligen DFG-geförderten Sonderforschungsbereich nicht im Traum gedacht hätten. So war die heute angewandte Panelökonometrie vor 30 Jahren teilweise noch gar nicht formal entwickelt, von einer nutzerfreundlichen Statistik-Programmanwendung ganz zu schweigen. Auch die für Kausalanalysen so wichtige Bedeutung von Geschwister-Daten zur Reduktion von unbeobachteter Heterogenität war vor 30 Jahren in der Survey-Forschung noch ein unbekanntes Phänomen. Und auch an „natürliche Experimente“, die während der Laufzeit eines Langzeitpanels stattfinden können, also die Änderung von Rahmenbedingungen für eine zufällig bestimmte Teilpopulation, dachte bei der Gründung des SOEP niemand. Dass sich zudem während der Laufzeit des SOEP in Deutschland der Fall der Mauer ereignen würde und die Studie seitdem Daten zum Transformationsprozess einer ganzen Nation liefert, wagte vor 30 Jahren wirklich niemand zu prognostizieren.
Das SOEP hat sich aufgrund zahlreicher erfolgreicher externer Evaluationen für eine mittelfristige Zukunft seinen Platz in der Roadmap für Infrastrukturen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung tapfer erarbeitet. 2003 wurde die bisherige Projektförderung durch eine institutionelle Förderung durch Bund und Länder unter dem Dach der Leibniz Gemeinschaft abgelöst.
Die Vision des SOEP für die Zukunft bleibt weiterhin die erfolgreiche Erhebung und Bereitstellung von umfassenden individuellen sowie haushaltsbezogenen Längsschnittdaten zur Analyse des sozialen Wandels in Deutschland. Das SOEP bietet mit seiner langjährigen Laufzeit sowie seinem viele Geburtskohorten und mehrere Generationen umfassenden Studiendesign eine einmalige Datenbasis für die Untersuchung von Sozialisations- und Herkunftseffekten. Die lange Beobachtungszeit ermöglicht weiterhin die kausalanalytische Analyse seltener bzw. langfristig ablaufender Ereignisse und Prozesse, wie kritische Lebensereignisse, institutioneller Wandel (z.B. Veränderungen im Sozialsystem) oder technologischer Fortschritt. Und mit seiner im Jahr 2012 begonnen Innovationsstudie (SOEP-IS) bietet das SOEP darüber hinaus eine einzigartige, international zugängliche Dateninfrastruktur für die Realisierung von „state-of-the art“ Surveyforschung in Deutschland.
Weitere Informationen: Das SOEP wurde 1984 gegründet. In unserer Rückschau erzählen wir, welche Ereignisse seither das Leben der Menschen in Deutschland geprägt haben. Außerdem berichten wir darüber, was die SOEP-Forscher über unsere Gesellschaft im Wandel herausgefunden haben. www.diw.de/soep-chronik
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