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Kolumne von Thomas Ebenfeld Das Sexismus-Werbeverbot aus Sicht der psychologischen Marktforschung

Aktuell schlagen die Pläne des Justizministers Maas hohe Wellen, zukünftig sexistische und frauenfeindliche (geschlechterdiskriminierende) Werbung einzuschränken und zu verbieten. Wie sind die Sexismus-Werbeverbote aus marktforscherischer Sicht zu beurteilen und welche Fragen stellen sich dazu?
Sind Frauen wirklich die Opfer sexistischer Werbung?
Die Auffassung des Justizministeriums ist es, dass Werbung, die Frauen halbnackt und anzüglich posierend zeigt, die Würde der Frauen verletzt. Zugespitzt sind alle Frauen demnach Opfer, weil die Werbung ein Frauenleitbild propagiert, das Frauen auf die Rolle des Sexobjekts degradiert. Entspricht dieses Opferverständnis wirklich der Realität oder macht sich das Justizministerium nur zum Vollstrecker alter und aus der Zeit gefallener feministischer Ideologien, die dem Bild der meisten jungen Frauen heute nicht mehr entspricht?
Bei Studien zu den Millenials und der Generation Y, also den jüngeren, nach 1990 geborenen Generationen, stellen wir fest, dass sich die Rollenbilder, die Auftrittsbilder und die Körperbilder sowohl der jungen Frauen als auch der jungen Männer gewandelt haben. Die jungen Frauen wollen sich in aller Regel nicht mehr in die Kampfzone der Frauenbewegung hineinziehen lassen – Frauenemanzipation sehen sie als Generationenthema ihrer Mütter und Großmütter (zum Beispiel Alice Schwarzer). Junge Frauen gehen mit dem Thema weibliche Identität unverkrampft und auch spielerisch leicht um. Frau sieht sich selber als „Mädel“ und „Girl“, und ein Gefühl für die eigenen weiblichen Stärken zu entwickeln, einen weiblichen Auftritt mitsamt eigener Sexiness zu pflegen, ist identitätsförderndes Verhalten für die jungen Frauen.
Die Millenials und die Generation Y sind Generationen, die auf Ästhetik und gekonnten, gepflegten Auftritt höchsten Wert legen. Ihre Schule ist Instagram, Snapchat und Facebook, ihr Trainingsgelände die eigenen Social-Media-Profile und Posts. Selbstverständlich hat das auch narzisstische Züge, aber soll man den Teens verbieten, wenn sie sexy gestylt auf ihren Posts Werbung in eigener Sache machen? Sexiness ist für junge Frauen ein selbstbewusstes Spiel mit Ästhetik und Style-Codes. Die Opferdenke, die hinter den "Sexismus-Werbeverboten" steht, geht an der psychologischen Realität der heutigen, jungen Frauen vorbei.
Müssen Männer vor der Versuchung durch sexistische Werbung geschützt werden?
Längst ist die Lust am ästhetischen Auftritt auch zur Männersache geworden. In ihren Styling-Künsten und Fitness-Körper-Idealen stehen die Jungs den Mädels nicht nach. Wie reagieren nun junge Männer, wenn ihnen die Flugreise mit dem sexy Po und runtergerutschtem Bikini verkauft wird, oder die Scheibe Wurst mit viel nacktem Fleisch?
Im Kern haben wir dazu in unserer Werbeforschung festgestellt, dass die Reaktionen der Männer wiederum nicht den Vorstellungen des Justizministers entsprechen. Die jungen Männer reagieren auf Werbung, die Sex und Sexiness mit ins Spiel bringt, mal erheitert – sinnliches Vergnügen an dem Spiel mit Andeutungen – mal leicht irritiert – wird ihnen doch von den Werbern unterstellt, dass sie wie ein Konsumäffchen oder Pawlowscher (Schweine-)Hund auf die Sexreize reagieren.
Was wir in der Forschung nicht feststellen, ist, dass den jungen Männern durch die „sexistische“ Werbung ein frauenfeindliches Geschlechterleitbild eingepflanzt würde. Da überschätzt das Justizministerium die Macht der nackten Werbebilder. Die Männer der jüngeren Generationen werden in einer Welt der Gleichberechtigung groß. Sie reduzieren Frauen nicht auf Sexobjekte, denn sie wissen, Mädchen haben einen gleichen, wenn nicht besseren Bildungsstand, machen im gleichen Maße Karriere. Und Männer wollen im Übrigen durchaus ihre eigene Sexiness kultivieren und nun in diesem Felde auf ihre Art mit den Frauen gleichziehen.
Bestrafen sich die Webetreibenden nicht mit sexistischer Werbung nur selber?
Die Werbeforschung zeigt im Übrigen immer wieder: Die einfache Formel "Sex Sells" ist von gestern. Marken und Produkte, denen nichts besseres einfällt, als schnelles Arousal im Reptilienhirn zu mobilisieren, kommen im Werbedialog mit dem Cortex nicht weit.
Das Marketing hat seit Jahrzehnten gelernt: Auf stabile Kundenbeziehungen kommt es an und auf die besonders intensive Ansprache von Konsumentenbedürfnissen, die wirklich mit dem Produktverwendungsformen verknüpft sind. Wenn die Telefonmarke Alice (inzwischen untergegangen) mit einem halbnackten Model wirbt, das zum Tarifwechsel lockt, ist das nicht nachhaltig. Ebenso sexuelle Anspielungen, mit denen für Food-Produkte geworben wird. Auch deshalb kann man es den Selbstregulierungskräften des Marktes überlassen, allzu platte sexistische oder plump-geschmacklose Werbemaschen auf den Müllhaufen der Werbegeschichte zu befördern.
Werden wir zum Nanny-Staat und betreibt der Staat damit nicht eine große Verlagerung?
In der Umsetzung stößt der Vorschlag aus dem Justizministerium auf erhebliche Probleme. Denn wer soll beurteilen, was sexistische Werbung ist? Soll das Ministerium selbst entscheiden? Oder gibt es eine neue Kommission? Wer leitet die Kommission? Gibt es am Ende eine Art Zensurbehörde, der Werbung immer erst vorgelegt werden muss? Und arbeitet der Werbe- und Presserat nicht gut?
Wer den Vorstoß des Ministeriums zu Ende denkt, spürt, dass wir damit im Bevormundungsstaat angekommen sind. Im patriarchalischen Nanny-Staat beschützen die Minister die Bürger vor allen möglichen Gefahren. Nach den Rauchverboten und den Restriktionen für Glücksspiel kommen die entsprechenden Werbeeinschränkungen. Das Sexismus-Werbeverbot geht noch darüber hinaus. Seine neue Dimension ist sein unbestimmter Charakter. Denn letztlich ist ja nicht zu bestimmen, wo der Sexismus anfängt beziehungsweise wo die politisch korrekte Frauendarstellung aufhört. Orwell fasste das in der Formel der "Thought-Crime" zusammen: Schon der irgendwie in die falsche Richtung gehende Gedanke ist kriminell.
Es erscheint auch, dass der Nanny-Staat eine riesige Verlagerung betreibt. Statt die elementaren Staatsaufgaben entschieden in Angriff zu nehmen – Sicherheit, Infrastruktur und Integration – erklärt er sich für sekundäre Schutzaufgaben zuständig. Eine solche Schutzaufgabe scheint auch der Schutz vor sexistischer Werbung zu sein, der von aus der Zeit gefallenen Ideologien abgeleitet wird.
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