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Interview mit Prof. Dr. Sabine Walper Das Deutsche Jugendinstitut ist eine "Vermittlungsinstanz zwischen unterschiedlichen Disziplinen wie Politik, Wissenschaft und (Fach-)Praxis"

marktforschung.dossier: Frau Prof. Dr. Walper, das Deutsche Jugendinstitut e.V. (DJI) ist laut Ihrer Website eines der größten sozialwissenschaftlichen Institute für Forschung und Entwicklung in Deutschland in den Themenbereichen Kindheit, Jugend, Familie. Erzählen Sie uns bitte ein bisschen über die Geschichte des Instituts.
Sabine Walper: Das DJI hat im Jahr 2013 sein 50-jähriges Bestehen gefeiert. In diesen fünf Jahrzehnten hat das Institut ein breit aufgefächertes Profil in den Bereichen Forschung, Unterstützung der Fachpraxis und Politikberatung gewonnen und konnte auf sich mit seinen Arbeiten im Bereich der Jugend-, Kindheits- und Familien-Forschung hervorragend etablieren. Als besonders bedeutend hat sich in dieser Zeit die Surveyforschung am DJI herauskristallisiert. Mit einer Vielzahl an repräsentativen Untersuchungen zu verschiedenen Schwerpunktthemen konnten hoch relevante Erkenntnisse gewonnen werden, die nicht nur der Forschung, sondern auch der politischen und fachpraktischen Ebene zu Gute gekommen sind. Begonnen hat diese Entwicklung 1988 und in den 1990er Jahren mit dem DJI-Familiensurvey, der sich in seinen drei Erhebungswellen intensiv familialen Zusammenhängen gewidmet hat und als eine der wenigen großen repräsentativen Untersuchungen auch Stieffamilien näher erforschte. Im Anschluss daran wurde der Blick spezifischer auf die Jugendlichen gerichtet mit den drei Befragungswellen des Jugendsurvey, unter anderem zur Partizipation von Jugendlichen. Es folgten die DJI-Kinderbetreuungsstudie „Wer betreut Deutschlands Kinder?“ und das DJI-Kinderpanel, in dessen Rahmen erstmals auch Kinder befragt wurden. Anfang 2009 hat sich die DJI-Surveyforschung neu aufgestellt. All die zuvor genannten Surveys wurden in einem großen DJI-Survey zusammengeführt, der unter dem Titel „Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten“ (AID:A)“ die Lebens- und Entwicklungsbedingungen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen bzw. Familien untersucht. AID:A umfasst damit erstmals den gesamten Zeitraum des Aufwachsens von der Geburt bis ins Erwachsenenalter im Kontext der individuellen Entwicklung, des familialen und regionalen Umfelds sowie die Wahrnehmung sozialstaatlicher Leistungssysteme. 2012/2013 ist der DJI-Survey in seine zweite Befragungswelle gestartet.
marktforschung.dossier: Was sind die Aufgaben des DJI?
Sabine Walper: Das DJI definiert sich primär als Vermittlungsinstanz zwischen unterschiedlichen Disziplinen wie Politik, Wissenschaft und (Fach-)Praxis. Wir versuchen, durch unsere Forschung anwendungsorientierte Erkenntnisse zu gewinnen und Produkte zu erstellen, die dazu beitragen, die Fachpraxis weiter zu entwickeln, und der Politik wichtige Informationen – etwa zur Wirkung einzelner Maßnahmen – an die Hand geben. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist dabei zentral.
marktforschung.dossier: Was sind die aktuellen Forschungsschwerpunkte des Instituts?
Sabine Walper: Zwei thematische Schwerpunkte ziehen sich durch alle Forschungseinheiten. Zum einen ist dies die Frage nach sozialen Trends und Zeitwandel-Effekten, etwa in den Werthaltungen und Einstellungen von Jugendlichen, in den Erziehungsvorstellungen und -praktiken von Eltern, oder in den institutionellen Rahmenbedingungen der Kinder- und Jugendhilfe. Zum anderen geht es um die Einflüsse von Lebenslagen und Erfahrungen in unterschiedlichen Kontexten auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen bis ins frühe Erwachsenenalter hinein. In diesem Zusammenhang werden in unseren Projekten mit unterschiedlichen Methoden die Perspektiven von Kindern und Jugendlichen in den Blick genommen, um besser einschätzen zu können, was Kinder und Jugendliche beschäftigt und was sie für ein gelingendes Aufwachsen brauchen. Ein großes Thema des Surveys „Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten“ ist das Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen, das unter dem Stichwort „Well-being“ auch international intensiv beforscht wird. Dabei geht es um ein breites Bündel an Faktoren, die zur Lebensqualität beitragen: sowohl objektive Faktoren wie Einkommen, Wohnsituation und Gesundheit als auch subjektive Faktoren wie das Kompetenzerleben, die wahrgenommene Autonomie und der emotionale Rückhalt durch fürsorgliche, unterstützende Beziehungen.
Hinzu kommen aktuelle, spezifischere Themen, die im DJI abteilungsübergreifend und längerfristig bearbeitet werden. Aktuell befassen wir uns mit Entwicklungsverläufen von Kindern, Jugendlichen und Familien unter belastenden Bedingungen („Risikokarrieren“), aber auch mit regionalen Disparitäten, d.h. mit ungleichen Lebensbedingungen in verschiedenen Regionen, sowohl als grobe Unterscheidungen Ost-West, als auch in differenzierteren Teilräumen wie Stadt-Land oder gar im Binnenvergleich unterschiedlicher Stadtteile.
marktforschung.dossier: Wie haben sich die Fragestellungen bzw. Schwerpunktthemen des Instituts seit der Gründung verändert? Welchen Einfluss hat bspw. die Digitalisierung auf die „heutige Jugend“?
Sabine Walper: Das DJI versuchte stets, in seiner Forschung den Bezug zur aktuellen Lebenswirklichkeit von Kindern, Jugendlichen und Familien zu gewährleisten. Aktuell gehört hierzu auch die Frage nach dem Einfluss der Digitalisierung auf Kinder und Jugendliche. Das Thema Medien spielt beispielsweise in der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention eine Rolle. Der AID:A-Survey widmet sich der Frage, welche Fragen für Eltern durch die zunehmende Verbreitung digitaler Medien entstehen, welchen Beratungsbedarf sie haben – nicht nur bei Kindern im Jugendalter, sondern auch bei den ganz Kleinen, die mittlerweile vielfach schon im Kindergartenalter mit dem Handy und Tablet vertraut sind.
marktforschung.dossier: Was ist die besondere Herausforderung bei der Forschung über Kinder und Jugendliche?
Sabine Walper: In der Surveyforschung ist es eine besondere Herausforderung, die bestmögliche Qualität der Daten zu gewährleisten, um valide Aussagen über die Lebenssituation von Kindern, Jugendlichen und Familien treffen zu können. Dazu gehören eine solide Stichprobe, eine bewährte Methodik und eine tragfähige Konzeption, die es nach Möglichkeit erlaubt, die Perspektive von Kindern, Jugendlichen und Eltern gemeinsam in den Blick zu nehmen. Gerade in der Familienforschung ist es unabdingbar, mehrere Familienmitglieder einzubeziehen – nach Möglichkeit alle Beteiligten. Junge Kinder zu befragen ist allerdings nicht einfach. Hier kann die Surveyforschung von der methodischen Expertise der Entwicklungspsychologie profitieren.
marktforschung.dossier: Welche Methoden verwenden Sie hauptsächlich?
Sabine Walper: Im DJI legen wir großen Wert auf eine größtmögliche Vielfalt von Methoden. Die DJI-Surveyforschung hat ihre Tradition in den standardisierten Befragungsmethoden, die bei großen Teilnehmergruppen der Königsweg sind. Hier erleichtern festgelegte Fragen mit vorgegebenen Antwortalternativen den Vergleich. Viele Projekte arbeiten aber auch mit qualitativen Methoden wie Interviews, teilnehmender Beobachtung oder Gruppendiskussion. Sehr oft ist es die Kombination dieser unterschiedlichen Verfahren, die wirklich aufschlussreich ist.
marktforschung.dossier: Wie sind Sie selbst zu diesem Thema gekommen und was reizt Sie besonders daran?
Sabine Walper: Ich bin persönlich in der Entwicklungspsychologie und in der Familienforschung „zu Hause“. Die Familienforschung hat mich schon immer fasziniert, weil Familien eine so breite Vielfalt aufweisen und so entscheidend für das persönliche Wohlergehen sind. Besonders reizvoll ist es für mich, wenn es gelingt, grundlegende Erkenntnisse über Familien – etwa zu den Herausforderungen beim Übergang zur Elternschaft oder zu Besonderheiten von Patchworkfamilien – praktisch zu wenden und wieder umgekehrt auf den Prüfstand zu stellen: indem man sie zum Beispiel in der Familienbildung oder Beratung anwendet und prüft, ob sich die erhofften positiven Entwicklungen anbahnen lassen. Wenn das gelingt weiß ich, dass wir auf dem richtigen Weg sind. In der Forschung und in der Praxis.
marktforschung.dossier: Frau Prof. Dr. Walper, herzlichen Dank für dieses Gespräch!
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