Applied Science Das Datenschutz-Dilemma im Online Marketing

Welchen Effekt hat es auf Sie, wenn Sie schwer bewaffnete Polizisten sehen, die an Bahnhöfen oder Flughäfen in Westen patrouillieren? Wie fühlen Sie sich im Flugzeug in dem Moment, nachdem Sie den ersten Blick auf die Sicherheitskarte im Sitzrücken vor Ihnen geworfen haben? Sie merken schon: Nicht immer erzeugen Maßnahmen zur Sicherheit auch ein höheres Gefühl der Sicherheit. Unserer Kolumnisten Fretschner und Lüdtke zeigen in diesem Monat, dass dies auch für Datenschutzbedingungen im digitalen Marketing gilt.

Haben Sicherheitsmaßnahmen vielleicht doch nicht immer den gewünschten Effekt, sondern teilweise auch unerwünschte Folgen? (Bild: picture alliance / dpa | Malte Christians)

Spätestens durch die europäischen Bestrebungen im Rahmen der ePrivacy Verordnung und dem Inkrafttreten der DSGVO ist der Schutz von Kundendaten, die aktive Einwilligung der Verbraucherinnen und Verbraucher zur Datennutzung und die transparente Kommunikation der tatsächlichen Datennutzung im digitalen Marketing unumgänglich. Unternehmen und Marktforschende sind demnach bestrebt, Vertrauen bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern aufzubauen, indem sie Transparenz über die Verwendung persönlicher Daten schaffen. Das Paper "The Bulletproof Glass Effect: Unintended Consequences of Privacy Notices" untersucht in einer Reihe sehr spannender Studien, welche Auswirkungen Datenschutzhinweise und ihre Gestaltung auf das Verhalten von Konsumierenden haben können. 

Das “kugelsichere Glas” bezieht sich hierbei auf ein Phänomen, dass Datenschutzhinweise – obwohl sie bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern ein Gefühl der Sicherheit und Kontrolle erzeugen sollen – tatsächlich das wahrgenommene Risiko und die Skepsis gegenüber einem Angebot erhöhen können. So nimmt die Forschungsgruppe an, dass Datenschutzhinweise letztlich sogar negative Auswirkungen auf die Kaufbereitschaft der Kundschaft haben können. 

Die Autoren des Artikels analysieren dieses Phänomen durch mehrere experimentelle Studien, in denen sie untersuchen, wie unterschiedliche Arten von Datenschutzhinweisen das Verhalten von Verbrauchern beeinflussen.  Sie entwickeln zunächst folgendes theoretisches Forschungsmodell, auf dem sie ihre fünf Hypothesen aufbauen. 

Abbildung 1: Theoretisches Forschungsmodell 

Annahmen und Forschungshypothesen 

Die erste Hypothese prüft die “naive” Einstellung digitaler Manager zur Nutzung von Datenschutzhinweisen. Die Forschenden nehmen demnach an, dass nach Meinung von Managern Datenschutzhinweise ein höheres Sicherheitsgefühl bei Verbraucherinnen und Verbrauchern erzeugen. Zweitens wird angenommen, dass es tatsächlich den “Bulletproof-Glass”-Effekt gibt. Sichtbare und deutliche Datenschutzhinweise führen also zu einer geringeren Kaufabsicht, selbst wenn Risiko nicht erwähnt und auf Sicherheit hingewiesen wird. Die dritte Hypothese basiert auf der Annahme, dass der Effekt der Datenschutzerklärung auf die Kaufabsicht insbesondere durch ein sinkendes Vertrauen in den Anbieter gesteuert wird. Die vierte Hypothese argumentiert dafür, dass der beschriebene Effekt von Datenschutzbestimmungen auf Kaufabsicht besonders dann auftritt, wenn Konsumierende Sicherheit erwarten, und weniger, wenn sie schon vor Nutzung eines Angebots skeptisch bezüglich des Datenschutzes sind. Fünftens nimmt das Forschungsteam an, dass der Effekt des “kugelsicheren Glases” dann abgeschwächt wird, wenn im Rahmen der Datenschutzerklärung explizit Wohlwollen im Umgang mit den Daten signalisiert wird.  

Experimente und Ergebnisse 

Die Gruppe Forscher Aaron Brough entwickelt ein sehr aufwändiges empirisches Setup, um die Hypothesen zu prüfen. Insgesamt werden sieben (sic!) Studien im Rahmen der Veröffentlichung durchgeführt. Aufgrund dieser Anzahl werden wir die Gestaltung und Ergebnisse im Folgenden nur sehr knapp für Sie aufbereiten. 

Studie 1: In der ersten Studie wurden mit Hilfe eines Panelanbieters 70 erfahrene Manager rekrutiert. Diese sollten sich vorstellen, für einen Onlinehändler zu arbeiten. Ihnen wurde gesagt, dass Kunden vertrauliche Informationen wie Kreditkartendaten preisgeben und der hierfür verwendete Datenschutzhinweis präsentiert. Anschließend sollten die Manager bewerten, ob sich die Kundschaft durch den Datenschutzhinweis sicherer oder unsicherer fühlt, oder ob der Hinweis keinen Effekt hat. Die Ergebnisse zeigen signifikante Unterstützung für die erste Hypothese. 74 Prozent der Manager nahmen an, dass der Datenschutzhinweis die wahrgenommene Sicherheit erhöhen würde. 

Studie 2: In der zweiten Studie wurden im Rahmen eines Feldexperiment mit einem kanadischen Anbieter für Finanzdaten die Datenschutzhinweise des Anbieters manipuliert. Eine Gruppe sah im Registrierungsprozess auf der ersten Seite nur einen Link zu den Datenschutzbestimmungen, bei einer zweiten Gruppe wurde über dem Link noch eine ausführliche Erläuterung zum sicheren Umgang mit den Daten dargestellt. Tatsächlich zeigte sich unter den insgesamt 15.864 User, dass die Registrierungsquote in der Manipulation mit dem ausführlichen Datenschutzhinweis signifikant niedriger war, als in der anderen Experimentalgruppe. So wurde auch Hypothese 2 bestätigt (im Gegensatz zur Einschätzung der Manager). 

Studie 3: Die dritte Studie untersuchte, ob der Effekt der Datenschutzbestimmungen auf die Kaufabsicht tatsächlich über das wahrgenommene Vertrauen übertragen wird. Hierzu wurden über den Amazon Mechanical Turk 600 Subjekte rekrutiert. Zwei Experimentalgruppen sollten für die Sonnenbrille eines fiktiven Anbieters die Kaufabsicht und das Vertrauen in den Umgang mit den Daten beurteilen. Allerdings wurden die Gruppen insofern manipuliert, dass eine der Gruppen vorab den (auf Basis echter Anbieter) geschriebenen Datenschutzhinweis des Unternehmens aufmerksam lesen sollte. Die Auswertung zeigt Unterstützung für die dritte Hypothese. Tatsächlich lässt sich ein Mediationseffekt beobachten, dass Vertrauen in den Anbieter den Effekt zwischen Wahrnehmung der Datenschutzhinweise und Kaufabsicht vermittelt. 

Studie 4: Der Aufbau der vierten Studie ähnelt dem Aufbau der dritten Studie. Zusätzlich wurde hier jedoch vor dem (potenziellen) Studium des Datenschutzhinweises den Experimentalgruppen ein Artikel zur Lektüre gegeben. Die Hälfte der Subjekte las einen Artikel über die ausgezeichnete Datensicherheit und Datenschutzbestimmungen des fiktiven Unternehmens, die zweite Gruppe las einen Artikel über die mehrfachen Datenskandale des Unternehmens. So ergab sich ein 2x2 Design, dessen Ergebnisse in Abbildung 2 dargestellt sind.  

Abbildung 2: Ergebnisse zum Interaktionseffekt von erwarteter Datensicherheit und Wirkung von Datenschutzhinweis auf Kaufabsicht (in Anlehnung an Brough et. al. 2022) 

Wir erkennen, dass bei erwarteter Sicherheit des Anbieters ein prominenter Datenschutzhinweis negative Auswirkungen auf den Purchase-Intent hat, während bei niedrigerer Erwartung an die Datensicherheit ein prominenter Datenschutz einen positiven Effekt auf die Kaufabsicht haben kann. So wird Hypothese 4 ebenfalls bestätigt. 

Studie 5: In dieser Studie wurde untersucht, welchen Effekt Signale des Wohlwollens in den Datenschutzhinweisen auf die Kaufabsicht haben. Solche Signale wurden im Rahmen des Experiments manipuliert, dass in einem weiteren Datenschutzhinweis Bausteine wie “Die Sicherheit ihrer Daten ist uns ein persönliches Anliegen” oder “Wir sind dem Schutz und der Sicherheit Ihrer Daten verpflichtet” untergebracht wurden. Zunächst bestätigen die Ergebnisse, dass gar kein Datenschutzhinweis die höchste Kaufabsicht erzeugt. Die zweithöchste Kaufabsicht ergibt sich jedoch mit deutlichem Vorsprung dann, wenn wohlwollende Signale im Datenschutzhinweis eingebracht werden. 

Studie 6: In der sechsten Studie wurde die vorherige Untersuchung insofern variiert, dass nun die Wirkung wohlwollender Signale bei einem eher verborgenen Datenschutzhinweis untersucht wurde. Probanden in drei Gruppen wurde ein Screenshot ähnlich der Abbildung 3 unten für einen fiktiven Online-Kleidungskauf gezeigt. Eine Gruppe sah nur den Screenshot ohne den Pop-Up Datenschutzhinweis, eine weitere Gruppe sah den Pop-Up Datenschutzhinweis ohne das vorangestellte Signal des Wohlwollens und die letzte Gruppe sah den Screenshot genau wie in der Abbildung unten. In dieser Studie wurde die signifikant höchste Kaufabsicht bei der dritten Gruppe mit Datenschutzhinweis und wohlwollenden Signalen gemessen. Die weniger aufdringliche Implementierung des Datenschutzhinweise (versteckt als Pop-Up hinter dem Fragezeichen) scheint den Haupteffekt in diesem Fall aufzuheben.  

Abbildung 3: Stimulus der Studie 6 mit Datenschutzhinweis inkl. wohlwollender Signale (“WE CARE about protecting your privacy!”) vgl. Brough et. al. 2022 

Studie 7: 

Die letzte Studie untersucht, wie sich die unterschiedliche “Abwesenheit” von Datenschutzhinweisen auf die Kaufabsicht auswirkt. Hierzu wurde Probanden eine App für privates investieren vorgestellt. Die Subjekte wurden in drei Gruppen geteilt. Einer Gruppe wurde bei der Vorstellung unterschiedlicher Screenshots der App gar kein Datenschutzhinweis angezeigt, einer Gruppe wurde ein Screenshot des Standard-Datenschutzhinweis von Apple gezeigt mit den entsprechend erhobenen Trackingdaten der App und einer letzten Gruppe wurde ein ähnlicher Stimulus angezeigt, allerdings wurde hier der Standard-Datenschutzhinweis so manipuliert, dass die entsprechenden Informationen fehlen, welche Daten getracked werden. Die beiden Datenschutzhinweise der Stimuli sind auch in Abbildung 4 unten dargestellt.  

Abbildung 4: Manipulation der Stimuli in der siebten Studie (vgl. Brough et. al. 2022) 

In den Ergebnissen zeigt sich wie bisher, dass gar keine Datenschutzhinweise die höchste Absicht erzeugen, die App tatsächlich zu installieren.

Allerdings zeigen die Ergebnisse auch, dass es besser ist, transparent die Datenschutzhinweise darzustellen, wenn andernfalls auffällig wird, dass die Datenschutzhinweise fehlen. Auch diese Ergebnisse sind statistisch signifikant 

Wrap-Up und Take-Aways 

Die Ergebnisse stellen die weit verbreitete Annahme in Frage, dass Datenschutzhinweise das Sicherheitsgefühl der Verbraucher erhöhen.

Stattdessen können Datenschutzhinweise unerwünschte Folgen haben, indem sie das Vertrauen der Verbraucher verringern und ihr Interesse an einem Kauf reduzieren.

Selbst explizit schützende Datenschutzhinweise und solche, die keine objektiven Informationen über Datenpraktiken enthalten, können das Verbrauchervertrauen untergraben und möglicherweise den Umsatz beeinträchtigen. 

Die Studien zeigen, dass der sogenannte "Bulletproof Glass"-Effekt abgeschwächt wird, wenn Verbraucherinnen und Verbraucher bereits im Vorfeld erwarten, dass ihre persönlichen Daten möglicherweise nicht sicher sind. Der Effekt kann sogar umgekehrt werden, wenn Signale des Wohlwollens in einen Datenschutzhinweis eingebaut werden. Da die meisten Datenschutzrichtlinien wenig affektive Sprache enthalten, die vertrauensbasiertes Wohlwollen fördert, ist dieser Moderator von großer praktischer Bedeutung. 

Zu den wichtigsten Erkenntnissen zählen für uns: 

  • Es besteht eine Diskrepanz zwischen den Erwartungen der Manager und den tatsächlichen Reaktionen der Verbraucher auf Datenschutzhinweise. Die Verbraucher könnten diese eher als Warnungen, denn als Sicherheitsmaßnahmen betrachten. 
  • Datenschutzhinweise können das Vertrauen der Verbraucher verringern und ihr Kaufinteresse mindern, selbst wenn sie keine spezifischen Details über Datenschutzpraktiken enthalten. 
  • Der "Bulletproof Glass"-Effekt kann abgeschwächt oder sogar umgekehrt werden, wenn Signale des Wohlwollens in einen Datenschutzhinweis integriert werden. 

Unternehmen sollten also in Betracht ziehen, Datenschutzhinweise mit affektiver Sprache und Signale des Wohlwollens zu gestalten, um negative Auswirkungen auf das Kaufinteresse zu vermeiden.

Regulierungsbehörden könnten den Einsatz standardisierter Vorlagen vorschreiben, die das Fehlen von Datenschutzdetails auffällig machen, oder dazu beitragen, dass Datenschutzhinweise Signale des Wohlwollens enthalten. Schließlich wäre es spannend den Einfluss von Datenschutzhinweisen im Vergleich zu anderen Kommunikationsformen des Datenschutzes wie Siegeln zukünftig zu bewerten. 

Wir hoffen, dass Sie hier am Ende unserer Kolumne wieder etwas schlauer sind und wir Ihren “Mental-Load” bei der Interaktion mit den nächsten Datenschutzhinweisen und Consent-Bannern nicht zu sehr erhöht haben.  

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Über die Personen

Prof. Dr. Michael Fretschner ist Co-Gründer der smart impact GmbH und Professor für Marketing & E-Commerce an der NORDAKADEMIE Hochschule der Wirtschaft.

Prof. Dr. Jan-Paul Lüdtke ist Co-Gründer der smart impact GmbH sowie Professor und Studiengangsleiter für E-Commerce an der Fachhochschule Wedel.

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