Chen Yiming, GIM China Das chinesische Neujahrsfest – traditioneller und digitaler!

Neujahr ist in China der wichtigste Feiertag des Jahres. Anders als in der westlichen Welt, ist unser Neujahrstermin allerdings nicht fix, sondern wird jedes Jahr vom Mond bestimmt. Der Neujahrstag ist der Neumondtag zwischen dem 21. Januar und dem 21. Februar. Dieses Jahr wird es der 16.2. sein. Dann beginnt das Jahr des Hundes und das Jahr des Hahns endet. Der Hund steht übrigens für Wohlstand, Stabilität, soziales Verhalten – die Chinesen erwarten also, dass das anbrechende Jahr ein erfolgreiches und harmonisches wird.

Von Chen Yiming, GIM China

Neujahrsfest und ein ganzes Land ist auf Achse

Rund um das Neujahrsfest (auch Frühlingsfest genannt) steht das ganze Land Kopf. Vor allem sind wir Chinesen dann SEHR mobil! Den Ergebnissen einer Umfrage von iclick community, iResearch Inc.  zufolge werden 63 Prozent meiner Landsleute um Neujahr herum verreisen. Etwa eine Woche vor Neujahr beginnt sich die Karawane in Bewegung zu setzen und die Letzten sind dann etwa eine Woche nach Neujahr zurück. Diese beiden Wochen sind auch meist Urlaubswochen in chinesischen Unternehmen. Der gesamte Zeitraum hat sogar einen Namen: "Frühlingsfest-Transport" ("春运"). Gereist wird aus zwei Gründen: entweder Heimaturlaub bei der Familie in der fernen Provinz oder eine "echte" Urlaubsreise, zum Beispiel ins Ausland. PKW und Bahn Zug stehen als Verkehrsmittel dabei hoch im Kurs: 2017 wurden 356 Millionen Zugtickets verkauft. Ähnlich wie die Weihnachtstage in christlichen Ländern ist für uns das Frühlingsfest ein Fest der Familie und für viele die einzige Gelegenheit im Jahr, Eltern und andere Verwandte zu sehen, die weitab der Arbeits- oder Studienorte leben.

Foto: www.news.cn
Foto: www.news.cn

 

Auch bei uns: Emotionaler Stress bei Familienfeierlichkeiten 

Zwar ist China ein Land, in dem Familie traditionell sehr wichtig ist. Und doch hat sich in den letzten Jahren die Sicht auf solche Familienzusammenkünfte etwas geändert. Insbesondere die jüngeren Generationen spüren hier wachsendes Unbehagen. Der Grund: wenn junge Leute zurück nach Hause kehren, nachdem sie ein Jahr lang in einer anderen Stadt studiert oder gearbeitet haben, stellen Eltern und Verwandte viele Fragen. iResearch Inc. hat in einer Online-Befragung die einschlägigen "Top 7 nervender Fragen" während des chinesischen Neujahrsfests identifiziert:  

  1. Wie viel Geld hast du im letzten Jahr verdient? (50,2 Prozent)
  2. Wie läuft es zurzeit in deinem Job/mit deiner Karriere? (41,5 Prozent)
  3. Du kennst doch XYZ (ein Gleichaltriger/ ein Familienmitglied)? Er/sie hat jetzt großartige Zukunftsaussichten! (36 Prozent)
  4. Hast du in der Stadt in der du lebst/arbeitest eine Wohnung gekauft? (28,5 Prozent)
  5. Hast du schon eine/n Freund/in? (27,4 Prozent)
  6. Wann werdet ihr heiraten? (26,8 Prozent)
  7. Warum hast du noch kein Kind? (17,8 Prozent)

Die Familie zuhause interessiert sich also vor allem für berufliche / materielle Erfolge und Familienplanung – und das eher mit traditionellem Verständnis darüber, was "erfolgreich" oder "richtig" ist. Es prallen Werte- und Lebensvorstellungen aufeinander. Beispiel: die Älteren glauben, ein junger Mann, der für ein staatliches Unternehmen arbeitet, hat in jedem Fall hervorragende Zukunftsaussichten. Dagegen wird etwa ein Job bei einem ausländischen Unternehmen oder einem Start-Up oft gar nicht verstanden und nicht selten Ausnutzung vermutet wird. Anderes Beispiel: Familienplanung. Die klassische Sichtweise der Familie bringt ein altes chinesisches Sprichwort auf den Punkt: "Es gibt drei Arten von respektlosem Verhalten, von denen keine Nachkommen zu haben die schlimmste ist." (不孝有三,无后为大). Inzwischen ziehen es aber viele junge Paare vor, kinderlos zu leben oder sie später zu bekommen. Ein solcher "westlicher" Lebensstil stößt in der Heimat natürlich auf Unverständnis und führt zu lästigen Diskussionen. 

Neuerdings: Rückbesinnung auf traditionelle Wertekonzepte

Seit ein paar Jahren lässt sich aber auch eine Gegenbewegung beobachten. Ähnlich wie in westlichen Gesellschaften lässt sich eine Rückbesinnung auf klassische Wertekonzepte beobachten. Sogar die chinesische Popkultur folgt diesem Trend. Jay Chou, der King of Pop der chinesischen Musik, hat einen Song mit dem Titel "Listen to Mum" geschrieben. Dieser Song beschreibt die wichtige Rolle, die Mütter für Werdegang und Entwicklung eines Kindes haben und dass wir das mehr würdigen sollen. Der Song ist super-populär und hat bei vielen rebellischen Teenagern die Einstellung zu ihrer Mutter geändert. Demgegenüber wurde kürzlich berichtet, dass der Hip-Hop-Sänger "PG One", der in einer Talentshow im Fernsehen entdeckt wurde, eine Affäre mit der Frau einer seiner älteren Freunde hatte. Das war ein großer Skandal, der in den sozialen Medien heftig diskutiert wurde. Plötzlich kritisierte man seine Songs – und auch Hip-Hop-Musik insgesamt – wegen vulgärer Texte über Sex, Drogen und Gewalt. Die Popularität von PG One und der Hip-Hop-Kultur insgesamt ging deutlich nach unten. Inzwischen hat die SARFT (State Administration of Radio, Film & Television) hat jegliche Form von Hip-Hop, seien es Auftritte oder Songs, in den Medien verboten.

Foto: www.sohu.com
Foto: www.sohu.com

 

Heile Familie als neue Werbewelt zum Neujahrsfest 

Ein "kleiner Wertewandel" ist also durchaus im Gange. Es wundert also nicht, dass in den letzten Jahren auch das Neujahrsfest wieder eine Aufwertung erlebt hat und bewusster gefeiert wird. Auch in meinem Bekanntenkreis genießen es immer mehr Leute, an Neujahr ins Großfamilienleben einzutauchen und Rituale wieder zu beleben, an die man sich aus der Kindheit erinnert. Ja, ab und an nervt es – aber es gibt einem eben auch viel! Viele Marken sind schnell auf diesen Zug aufgesprungen und machen zu Neujahr Werbung im Familien-Setting. TV-Werbespots schaffen es sehr erfolgreich, mit der Darstellung von familiärer Wärme und generationenübergreifender Gemeinschaft die Herzen der Verbraucher zu berühren und ihren Umsatz zu erhöhen. 

Bild: Banner von Airbnb.com; Text: “Together with your family, say hello to Chinese New Year during travelling”)
Bild: Banner von airbnb.com; "Together with your family, say hello to Chinese New Year during travelling"

 

Gerne versammelt man sich auch als Familie vor den TV-Screens, um die Übertragung der traditionellen Frühlingsfest-Gala anzuschauen, die hier eine ähnliche Bedeutung hat wie der Superbowl in den USA.

Der Renner: Digitale "rote Umschläge" als Geschenk

Auch bei uns in China werden zu den Neujahrsfeierlichkeiten Geschenke gemacht. Ein Muss sind Mitbringsel bei Verwandtenbesuchen. Dem Gastgeber muss unbedingt etwas mitgebracht werden. Üblich sind schöne Fruchtkörbe, besondere importierte Lebensmittel (wie teure Schokolade oder Wein). Die zweite Geschenk-Variante sind "rote Päckchen", ein roter Umschlag aus Papier, der Geld beinhaltet. Ursprünglich wurde das "rote Päckchen" von Älteren an Kinder verschenkt.

Foto: Chen Yiming
Foto: Chen Yiming

 

Seit jedoch von Tencent (das Unternehmen dem auch WeChat gehört) und AliPay die Online-Version des "roten Päckchens" entwickelt wurde, wird es auch immer mehr zu einem Geschenk unter Gleichaltrigen, Klassenkameraden, Freunden, Brüdern und Schwestern, Kollegen, Vorgesetzten und Mitarbeitern – praktisch jedem, egal welcher Generation man angehört. Der einfachste Weg dabei mitzumachen: Geld in das AliPay Dialogfenster transferieren. 

Foto: www.alipay.com
Foto: www.alipay.com

 

Der eigentliche Betrag ist dabei in der Regel nicht sehr hoch. Es geht vor allem darum, dem Empfänger Glück zu bringen. 88,88 oder 8,88 RMB, 66,66 oder 6,66 RMB und 5,20 RMB werden aufgrund ihrer Symbolik am häufigsten geschenkt: Die Aussprache der Zahl "8" ähnelt im Chinesischen der von "Reichtum", die Zahl "6" steht in der chinesischen Kultur für Glück, die Aussprache von "5-2-0" ähnelt der von "I love you". Insgesamt passen diese symbolisch aufgeladenen Online-Geld-Transfers perfekt zur munteren und fröhlichen Stimmung des chinesischen Neujahrsfestes. Laut Angaben von iiMedia wurden 2017 am Neujahrsabend 14,2 Milliarden rote Umschläge digital verschickt. 

Foto: www.sohu.com
Foto: www.sohu.com

 

Auch Unternehmen spielen das "Rote-Päckchen-Spiel" inzwischen eifrig mit ihren Kunden. Im Jahr 2017 hat AliPay zum chinesischen Neujahrsfest 200 Millionen RMB (etwa 26 Millionen Euro) als "Rote Päckchen" direkt an AliPay-Nutzer auszugeben. Zusätzlich spendete Tencent noch 250 Million RMB für eine Art Pokémon Go: Landesweit wurden an 4,25 Millionen Standorten (für gewöhnlich Einkaufszentren) virtuelle rote Umschläge verteilt, die man per Smartphone auffinden konnte.

Fazit: Bleibt alles besonders!

Das Frühlingsfest ist für uns in China eine ganz besondere Zeit und es sieht so aus, dass die hohe Bedeutung, die diese zwei Wochen für Familien und Freunde haben, keineswegs kleiner wird. Im Gegenteil: Nach Jahren voller Orientierung am Westen und an materiellen und individualistischen Werten, gewinnt es wieder an Bedeutung, weil es uns ein Gefühl von Verbundenheit und emotionaler Heimat gibt. Beides scheint im heutigen China wieder wichtiger zu werden. Allerdings in einer modernen Interpretation, wie das Beispiel der roten Umschläge zeigt.    

Der Autor

Chen Yiming ist Jahrgang 1986. Er hat Management und Business in Shanghai und Sydney studiert. Bei GIM China arbeitet er als Research Manager.

 

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