Damit aus einem e-Folder keine i-Folter wird
Von Andreas Möller, CEO der AnswerS Phamaceutical Marketing Research & Consulting AG
Immer mehr Pharmaunternehmen statten ihren AD mit iPads & Co aus. Die Einsatzbereiche reichen von reinem CRM bis zu schwerstanimierten Präparate-Präsentationen. Doch nicht immer endet es als Happy-End für die Beteiligten.
Von allen Seiten kommt es dann sehr schnell zu viel vordergründiger Kritik.
- Der AD fühlt sich bei seinen Arzt-Besuchen kontrolliert und kämpft mit den Tücken der Technik in der Programmierung.
- Der Arzt meckert über die zu kleine Darstellung und das hektische hin- & her-wischen, oder er sieht das iPad nur zum Musterquittieren.
- Das Marketing flucht über die vermeintlich hohen Kosten der Kreativagenturen und kämpft mit den passenden Animationen. Die Kämpfe mit der Compliance-Freigabe lasse ich bewusst mal außen vor, das wäre ein eigenes Thema.
Irgendetwas läuft hier also gewaltig schief. Dabei könnte es doch eigentlich alles ganz schön sein. Das iPad bietet extrem viele Optionen eine Kommunikation lebhaft und spannend zu gestalten. Der e-Folder ist das Medium der Gegenwart, schnell, bildstark und flexibel. Das Zauberwort heißt „interaktiv“.
Das könnte bereits beginnen, wenn der AD den Arzt das iPad selber bedienen lassen würde – das traut ihm bisher aber scheinbar keiner zu. Dabei zeigen aktuelle Umfragen, das eine Vielzahl von Ärzten inzwischen selber welche besitzt, damit gut umgehen kann und das iPad deshalb auch selber in der Hand halten möchte (9 von 10 / Quelle: AnswerS iPad Erhebung 2012). Zudem ist der AD eben nicht wirklich geschult, den Arzt entsprechend „fernzulenken“, wenn dieser das iPad „steuert“.
Die Folder sollten auch keine 1:1 Umsetzung eines Papierfolders sein – dann ist der gute alte Papp-Kamerad doch die bessere Alternative. Animationen sollten keinen Selbstzweck erfüllen, sondern den Kern der Story unterstützen und den USP betonen. Nur weil etwas sich toll animieren lässt, ist es noch keine wichtige Botschaft. Death-by-Powerpoint trifft auch beim iPad zu.
Das Gesprächslabor mit dem iPad ist im Vergleich zum klassischen Foldertest mit Papier von daher eine extrem spannende Angelegenheit, denn es erfordert viele neue Betrachtungen:
- Die Story hat 2 Ebenen – die Hauptstraße (Kernbotschaft) und das „Labyrinth der Sehenswürdigkeiten“ (Backup-Möglichkeiten) – beide müssen im jeweiligen Story-Flow beherrscht werden.
- Die Frage nach der richtigen Animation zur richtigen Zeit steht im Raum. Der Fokus auf die Kernbotschaft fällt dabei nicht immer leicht.
- Die Hilfen zur dynamischen Gesprächsführung sind wichtig, damit individualisierte Gespräche authentisch rüberkommen. Da es mehrere Ebenen mit eigenem Story-Flow gibt, muss der AD nun auch ein guter Navigator sein und sollte alle Inhalte beherrschen. Der Hinweis auf „die Med-Wiss wird sich melden“ funktioniert nicht mehr so gut.
- Die Tonspur bekommt eine noch wichtigere Bedeutung – der AD muss lernen, mit Power-Words den Arzt zu lenken und Dialog-Anker zu setzen. Hierzu sollten Bild- und Tonspur optimal harmonieren und so synchron wie möglich laufen.
- Die Wortwahl erfordert zunehmend mehr Kreativität – diese muss auch der Moderator im Interview schon leisten – er muss in der Lage sein, die „Power-Words“ zu identifizieren und dem Arzt zurück zuspielen – nur er ist im Interview nah genug dran, die Reaktionen optimal zu erfassen.
- Das betrifft auch die Themen, wo Dialog-Anker gesetzt werden müssen, um die Kernbotschaft zu festigen. Ein Moderator muss mit der Story spielen können, um den idealen Flow zu erkennen. Das erfordert, dass er entsprechend gut gebrieft ist und genau weiß, wohin die Reise gehen soll. Entsprechend fit sollte er im Verstehen von Marketingstrategien und Indikation sein. Wer den Moderator (am besten ist er auch Consultant) hier nicht mit ins Boot nimmt, verpasst eine wichtige Chance.
- Die primäre Zielgruppe des Folders – sowohl Papier als auch iPad – ist immer noch der Pharmareferent. Nur wenn er das Tool liebt, wird er damit authentisch dem Arzt die Botschaft einbrennen können. Im Laufe von 25 Jahren Gesprächslabore habe ich extrem viele Folder am AD abtropfen gesehen – leider auch gute Folder.
- Damit kommen wir zu dem Punkt, dass die Arbeit nicht mit dem fertigen Folder getan ist, ganz im Gegenteil. Nun beginnt der Schritt es dem AD „zu verkaufen“. Es ist hilfreich, die KOLs im AD in die Testung mit einzubinden – zumindest in der finalen Phase. Die Marktforschung kann auch hier helfen, indem mit der Tonspur (Power-Words, Dialog-Anker, Story-Flow) der AD sehr praktische Arbeitshilfen bekommt. Es geht dabei nicht um „auswendig gelernte Drehbücher“ – da fehlt die Authentizität, was der Arzt sofort spürt, es geht um den Einsatz von Worten zur Steuerung des Gespräches. Worte die ihn „aufblicken lassen“, „auf Folder Inhalte lenken“, „gezielte Assoziationen auslösen“ oder „zu einer Diskussion führen“. Beobachten Sie im Test unbedingt auch die gesamte Körpersprache – selbst die Fußhaltung verrät häufig mehr als gesprochene Worte.
- Bewährt hat es sich, analog zu Gesprächslaboren, AD-Trainings mit echten Zielgruppenärzten durchzuführen, in denen diese Reaktionen im Team probiert und erlebt werden. Die Investition zahlt sich schnell aus, wenn der AD dann entsprechend erfolgreich und authentisch die gewünschte Story beim Arzt bringt.
Zusammenfassend möchte ich festhalten:
Der e-Folder bietet unheimlich viele Vorteile und neue Chancen. Die Neurowissenschaft belegt uns, dass die Auseinandersetzung und das Involvement mit einem Produkt in einer echten Interaktion mit dynamischem Dialog deutlich höher sind. Hinzu kommt, dass man spielerisch schneller und besser lernt, als wenn einem die kühle Wissenschaft präsentiert wird. Ein Aspekt, der mich dabei besonders begeistert: der Tastsinn kennt kein Problem mit der Glaubwürdigkeit – können wir Skepsis auf dem iPad durch eine clevere Animation möglicherweise einfach „weg-wischen“? Gut, da muss die Wissenschaft noch weiter forschen, aber ich glaube an diese Hypothese, weil ich diese Begeisterung bei guten e-Foldern in Ärzten immer wieder gesehen und erlebt habe.
Auf der anderen Seite, bietet der e-Folder, wenn er nicht gut gemacht ist und der AD damit nicht umgehen kann, viele Risiken. Man kann mit einem e-Folder deutlich mehr falsch machen, als mit einem Papier-Folder.
Daher appelliere ich an eine holistische Betrachtung und Herangehensweise bei e-Foldern. Wir arbeiten mit Hören, Sehen und Tasten – alles dies muss zusammenpassen. Zudem muss man immer wieder daran erinnern, dass der AD die primäre Zielgruppe ist. Gerade in der Anfangsphase muss diese „an die Hand genommen werden“. Die stärkere Einbindung des ADs bei der Testung und das entsprechende Training lohnt sich … das ROI dürfte sehr hoch sein.
Das Webinar "Das iPad im Pharma-Außendienst: Fluch oder Segen?" von Andreas Möller am 18. März 2013 um 15 Uhr bei marktforschung.de vertieft dieses Thema.
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