Interview mit Manfred Tautscher, SINUS-Institut "Da wurde von allen Beteiligten die rote Linie überschritten"

Research Affairs wird vorgeworfen Umfragen manipuliert zu haben, um systematisch Druck auf die ÖVP-Spitze vor Sebastian Kurz auszuüben. Gerade im Bereich der Wahlforschung wird aber bekanntermaßen viel mit den Daten gemacht, bevor die Ergebnisse kommuniziert wird. Dann gibt es auch noch Schwankungsbreiten. Wo ist für Sie die Grenze zur Manipulation? Welche rote Linie darf nicht überschritten werden?
Manfred Tautscher: Zunächst einmal sollte die Datenerhebung für Umfragen, die veröffentlicht werden, angemessen erfolgen, d.h. Methode, Stichprobe und Repräsentativität sollte genau beschrieben sein, dafür gibt es Richtlinien der Verbände, des VdMI in Österreich bzw. des ADM in Deutschland. Genau dieser Fall zeigt auf, wie wichtig diese Verbände und Interessensgemeinschaften für die Branche sind. Das Institut von Beinschab ist nicht Mitglied des VdMI.
In den Statuten dieser Verbände verpflichten sich die Mitglieder-Institute darauf, auf nicht manipulative Fragestellung zu achten und die erhobenen Daten ohne inhaltliche Veränderung zu publizieren. Eine „Hochschätzung“ aus der Sonntagsfrage geht natürlich über die Datenerhebung hinaus und beinhaltet sowohl Berechnungen wie auch Expertise.
Hier ist darauf zu achten, dass sie möglichst unbeeinflusst von den Erwartungen des Auftraggebers vorgenommen und jedenfalls von ihm nicht diktiert wird, wie das offenbar der Fall war. Also da wurde ganz klar von allen Beteiligten die rote Linie überschritten.
In der „Anordnung zur Hausdurchsuchung“ werden zehn Personen aufgeführt. Neben den zwei Meinungsforscherinnen Sophie Karmasin und Sabine Beinschab tauchen acht weitere Menschen aus dem Team um Sebastian Kurz aus. Die erste Person, die festgenommen wurde, ist jetzt Sabine Beinschab. Medien sprechen von Bauernopfer. Sagt das auch etwas darüber aus, wo Marktforschende in der Nahrungskette normalerweise stehen?
Manfred Tautscher: Die Festnahme von Frau Beinschab scheint damit zu tun zu haben, dass die Justizbehörden sie als „schwächstes Glied in der Kette“ sehen und sie unter Druck setzen, um Informationen zu erhalten. Aber im gesamten System war sie offensichtlich primär die Ausführende bzw. die Befehlsempfängerin.
Inwieweit sagt dieser Skandal auch etwas über die Meinungsforschungslandschaft in Österreich aus? Wäre so ein Fall auch hier in Deutschland möglich?
Manfred Tautscher: Theoretisch schon. Die Frage ist, gibt es in Deutschland vergleichbar skrupellose Politiker und Politikerinnen und Medienmachende, die diese Form der Korruption gegenüber aufgeschlossen sind. Ich fürchte, in Österreich fördert die Systematik der Vergabe von Inseraten für die Medien über die Ministerien und Parteien die Chance auf gefällige Berichterstattung. Dies hat es in der Vergangenheit schon häufig gegeben. Mit dieser Systematik der Fälschung und Finanzierung von Umfrage-Ergebnisse für Veröffentlichungen, um politische parteiinterne Gegner unter Druck zu setzen, finanziert vom Finanzministerium, hat es noch nicht gegeben. So etwas kann ich mir für Deutschland nicht vorstellen.
Die Markt- und Meinungsforschung in Österreich ist eng mit dem Namen Karmasin verknüpft. Welche Bedeutung hat die Karmasin-Dynastie für die Branche?
Manfred Tautscher: Inzwischen nur mehr eine marginale. In den 80ern war das Ehepaar Karmasin das „in Österreich bekannte“ Forschungspaar. Das österreichische Gallup-Institut, das von Fritz Karmasin aufgebaut wurde, wurde vor vielen Jahren verkauft. Helene Karmasin, war die Grande Dame der qualitativen Forschung in Österreich. Ihre Tochter Sophie Karmasin – und ehemalige Familienministerin - führt nun das Institut „Karmasin Research & Identity“, das keine sonderliche Marktbedeutung hat. Meines Wissens ist „Karmasin Research & Identity“ auch kein Mitglied im Verband der Marktforschungsinstitute VdMI.
In dem aktuellen ÖVP-Korruptionsskandal geht es u.a. darum, dass Umfragen für die ÖVP aus Steuergeldern bezahlt worden sein sollen. Kann man das dem Institut Research Affairs vorwerfen?
Manfred Tautscher: Grundsätzlich muss der Auftraggeber die Finanzierung der Studien selbst verantworten. Allerdings war in diesem Fall die Betrugsabsicht offensichtlich, wenn die Kosten einer Meinungsforschungsstudie für die ÖVP einem Beitrag zu einem Forschungsbericht für das Finanzministerium deklariert wurden. Das ist selbstverständlich nicht zulässig.
Ganz allgemein befragt: Muss man als Marktforscher für jeden Auftraggeber arbeiten? Wann sollte man Aufträge ablehnen? Wo sind für Sie Grenzen?
Manfred Tautscher: Das muss natürlich jedes Institut für sich entscheiden. Ich will hier nochmals die Bedeutung z.B. des ADM bzw. des BVMs hervorheben. Als Mitglied dieser Verbände verpflichtet sich jedes Institut sich an bestimmte wichtige Regeln – sowohl methodisch wie auch ethisch - zu halten. Dies ist besonders wichtig für Studien, die veröffentlicht werden. Die Statuten dieser Verbände helfen auch den Instituten, sich gegenüber Kunden zu rechtfertigen, für bestimmte Bedürfnisse NICHT zur Verfügung zu stehen.
Zum Abschluss: Ich bin jetzt seit bald 40 Jahren in der Marktforschung in Österreich, Deutschland und international auf Instituts-Seite tätig.
Die Anzahl der nicht korrekten Kunden-Anliegen, mit denen ich konfrontiert wurde, kann ich an einer Hand abzählen. Also in Summe wird in der Branche sorgsam und seriös mit der Markt- und Meinungsforschung umgegangen. Umso ärgerlicher ist es, wenn solche Einzelfälle, die noch dazu sehr dilettantisch umgesetzt wurden, unsere Branche in Verruf bringen.
Zu Manfred Tautscher

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