Martins Menetekel Corona-update: Stagnation

Aktuelle Corona-Zahlen lassen nach wie vor keine Entwarnung zu und bereiten mit Blick auf den Herbst und Winter Sorge. Dies zeigen nicht nur die neu verabschiedeten Maßnahmen der Bundesregierung, sondern auch die prognostizierten Zahlen des Mathematikprofessors und Kolumnisten Martin Lindner.

Im Bundestag wurden wieder neue Vorschriften für die Behandlung der Pandemie im Herbst und Winter verabschiedet. Nach unserem Gesundheitsminister werden wir alles im „Griff“ haben werden. Herr Lauterbach hat dazugelernt, Horrorszenarien hört keiner mehr gern. Wir werden es erleben.

Tatsächlich hätte ich mir mehr Erklärungen gewünscht, so wie es Herr Habeck macht. Man kann den Leuten durchaus zumuten, zwischen möglichen Entwicklungen mit gewissen Wahrscheinlichkeiten zu unterscheiden.

Welche derartigen Entwicklungen kann es geben?

Antwort: Das ist heute noch nicht entscheidbar, aber ein asymptotisches Abklingen der Pandemie ist nicht in Sicht. Die Verhulst-Variante unter den beiden Referenzkurven ist schon lange überholt. Zu Erinnerung: Diese Variante geht sehr viel schneller gegen die Sättigung als es die Exponentialfunktion tut, denn sein Quotient von Zuwachs und Population wird mit jedem Tag kleiner.

Verhulst-Funktion:          N’ = k*N - (k/S)*N*N = k*N*(1-N/S) = k*(1 - N/S)*N

E-Funktion:                        N’ = k*N

Bei der E-Funktion ist das kleine k konstant, bei Verhulst wird es jeden Tag um den Faktor (1 - N/S) kleiner, da N eine monoton wachsende Funktion ist.

Unsere erste Grafik mit den kumulierten Fallzahlen zeigt es deutlich:

Als Referenzkurven sind beide nützlich und zeigen, dass sich die Fallzahlen nach oben entfernen, ein sehr schlechtes Zeichen.

Also keine Entwarnung, denn bei derzeitigen Zuwachsraten pro Tag von über 40.000 wird auch die obere Schranke der roten E-Funktion in ca. fünf Tagen gerissen.

Die Zuwächse pro Tag sind zwar gefallen, aber nicht so stark, wie es der heiße Sommer hätte erwarten lassen.

Ich zeige deshalb zuerst den Trend der Zuwächse, das heißt, deren Veränderung pro Tag, entsprechend der zweiten Ableitung unserer Referenzkurven. Wir können gut sehen, dass Verhulst links die bessere Annäherung ist, die E-Funktion dagegen den rechten Verlauf besser approximiert:

Schwarz nimmt den Buckel von Blau rechts mit, geht dann aber schneller zur Null-Linie als Rot.

Das ist auch eine Frage des Optimierungszeitraumes, da haben wir viel Spielraum.

Man muss eine Statistik nicht fälschen, wie es Churchill sagte, der Mathematiker hat ganz andere Methoden, angefangen damit, wie er glättet, fortgesetzt mit der Auswahl der benutzten Funktionen wie Polynome oder Exponentialfunktionen und aller möglichen Kombinierungen von ihnen, bis eben zur Auswahl der Dauer und des Beginns und des Endes des Zeitraumes, in dem die Summe aller Quadrate der täglichen Differenzen von Fallzahlen und Referenzpunkten minimiert werden soll (eine zugegebenermaßen lange und anspruchsvolle Formulierung!).

Kurz zur Erinnerung: Sei t der Zeitpunkt und F(t) die Fallzahl dieses Tages und N(t) der Wert der gesuchten Referenzfunktion an diesem Tag. Dann bildet man (F(t) - N(t))*(F(t) - N(t)) = (F(t) - N(t))^2 , ein notwendig positiver Ausdruck als Quadrat, und summiert diese Werte über alle Tage des gewählten Zeitraumes:  (F(0) - N(0))*(F(0) - N(0)) + (F(1) - N(1))*(F(1) - N(1)) + + +  (F(T-1) - N(T-1))*(F(T-1) - N(t-1)) +  (F(T) - N(T))*(F(T) - N(T))

Dabei ist t = 0 der erste Tag und t = T der letzte Tag.

Jetzt kommt der Hammer: Ist zum Beispiel N(t) = A*exp(kt), so hängt die Quadratsumme von A und k ab. Wenn sie minimal sein soll, so gibt es für jedes k genau ein A, sodass gilt, wird A etwas  kleiner, vergrößert sich die Summe, aber sie vergrößert sich auch, wenn A etwas größer wird. Den Punkt findet man also sehr leicht, wenn man nach A ableitet und dann den Ausdruck zu Null setzt.

In unserem speziellen Fall tut es der Computer für das A und für k schlägt er einen Wert vor, den man händisch noch optimiert. Ich zeige das Ergebnis am Beispiel der täglichen Zuwächse:

Der gewählte Zeitraum zeigt, dass beide Referenzkurven ca. einen halben Monat Blau gut annähern, Schwarz ist links besser, Rot rechts, aber blau ist doch sehr viel höher als die beiden anderen Kurven, wiederum ein schlechtes Zeichen.

Am meisten Sorge bereitet die Kurve der täglichen Zuwachsrate der Todesopfer. Das Maximum ist überschritten, aber sie verharren auf viel zu hohem Plateau von über 80:

Dasselbe gilt auch für den Reproduktionsfaktor, auch keine Entwarnung.

Folgerung: Ich werde zum nächsten Beitrag den Optimierungszeitraum wieder später anfangen lassen und werde wohl oder übel erst einmal mit einer Exponentialfunktion arbeiten müssen. Damit ist ein sich selbst verstärkendes Kleinerwerden á la Verhulst nicht in Sicht. Das Virus hat ein immer noch zu großes Ansteckungspotential in der Bevölkerung, da ja, wie wir gesehen haben, die Impfungen und die Menge der Genesenden nicht zu einer Herdenimmunität geführt haben.

Wahrscheinlich werden die Zuwächse bei anderer Witterung und/oder einer neuen Variante wieder steigen, das ist nicht auszuschließen.

Bleibt gesund!

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Über die Person

Martin Lindner ist promovierter und habilitierter Mathematikprofessor im Ruhestand und beschäftigt sich intensiv mit nachhaltiger Wirtschaft und der Zukunftsfähigkeit unserer heutigen Lebensformen. Zusätzlich hat er eine Ausbildung und auch Berufserfahrung in Wirtschaftsmediation.

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