Petra Hedorfer, Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT) Corona-Folgen für die Marktforschung im Tourismus

Bis 2019 war der Auslandstourismus nach Deutschland im Höhenrausch. Dann kam Corona. Inwieweit hat dies Business Intelligence und Marktforschung bei der DZT verändert?
Petra Hedorfer: Corona hat den Digitalisierungsprozess auch für uns beschleunigt. Fundierte Daten und eine gründliche Auswertung - auch mit modernsten Analysetools sind unverzichtbar als Grundlage für evidenzbasiertes Marketing und damit wesentliches Element unserer Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu anderen europäischen Reisezielen. Bereits 2019 haben wir bei der DZT die Stelle Business Intelligence geschaffen, in welcher wir klassische Marktforschung zusammen mit internen Daten sowie neuen digitalen Datenquellen vollumfänglich und integriert betrachten. Wir setzen stärker auf die Einbindung von transactional und behavioral Data.
Welche Daten stellt die DZT ihren Stakeholdern, wie z. B. das Bundesministerium für Wirtschaft & Klimaschutz, zur Verfügung?
Petra Hedorfer: Wir stellen allen unseren Stakeholdern eine breite Palette von Daten aus unterschiedlichen Quellen zur Verfügung. Wichtig dabei ist, dass wir die Daten nicht einfach weiterreichen, sondern aus der Verknüpfung und Vernetzung der Quellen originäre Aussagen entwickeln, die den Adressaten konkrete Handlungsentscheidungen ermöglichen. Ein Fokus derzeit liegt zum Beispiel auf der kontinuierlichen Erhebung von Reiseabsichten in unseren Key-Quellmärkten. Wir nutzen diese Daten um Aussagen darüber zu treffen, welche Märkte sich besonders schnell erholen werden, sobald die Reisebedingungen sich wieder normalisieren. Unser Knowledge-Transfer richtet sich zum einen an die Player in der internationalen Reiseindustrie, die ihren Kunden Deutschlandreisen anbieten und verkaufen. Zum anderen sprechen wir die Partner in der deutschen Tourismusbranche an – dazu zählen sowohl die großen Player als auch der Mittelstand, den wir bei der Positionierung auf den internationalen Märkten unterstützen.
Mit dem Wissen, das wir über die Märkte vermitteln, können sich die Unternehmen entsprechend frühzeitig einstellen und vorbereiten.
Gerade die Tourismusbranche hat den Einschlag durch Corona massiv gespürt. Wie haltbar sind Primärdaten noch, wenn sich Rahmenbedingungen für den Tourismus durch die Pandemie und die entsprechenden Schutzverordnungen quasi täglich ändern?
Petra Hedorfer: Hier kommen die neuen Datenquellen ins Spiel. Wir verfügen zum Beispiel über Daten zu den Passagierankünften, mit welchen wir mit nur wenigen Tagen Zeitverzug die Recovery aus den Flugmärkten präzise messen können. So stehen uns bereits am 10. März die Daten des Monats Februar zur Verfügung und wir wissen, aus welchen Quellmärkten wir einen guten Start für das Jahr 2022 verzeichnen. Ein wichtiges Element sind Daten, die einen Forecast erlauben, beispielsweise Buchungseingänge für künftige Reisetermine. Daneben kooperieren wir mit unseren Partnern, wie zum Beispiel der Deutschen Bahn, welche uns in vergleichbarer Schnelligkeit Daten über den Verkauf von Tickets aus dem Ausland mit Destination Deutschland liefern. Diesen bilateralen Austausch von Daten wollen wir weiter ausbauen. In unserem gesamten Netzwerk können wir so marktspezifische Marketingmaßnahmen noch effizienter steuern und unsere Partner können ihre Kapazitätsplanung noch präziser an die Marktentwicklung anpassen.

The GNTB Dashboard - Inbound Travel Trends Germany (Bild: DZT)
Sie haben ein interaktives Dashboard in Tableau entwickelt, in das zahlreiche Sekundärdaten wie Flugzahlen, Buchungsinformationen und Kreditkarteninformationen kontinuierlich einfließen, um ihre Stakeholder fortwährend auf dem Laufenden zu halten. Gab es diesen Plan schon vor Corona oder ist die Idee erst durch Corona geboren worden?
Petra Hedorfer: Die Pandemie hat diesen Prozess auch für uns beschleunigt. Bereits in 2020 haben wir neue Datenquellen für uns erschlossen, welche uns eine differenziertere und zeitlich nähere Analyse ermöglichen. Wichtig ist uns auch die schnelle Verteilung dieser höchst aktuellen Daten an unsere Stakeholder und Partner. Um im obigen Beispiel zu bleiben können wir bereits am gleichen Tag, den 10. März, die Februardaten für wesentliche Einreisewege allen registrierten Usern freischalten. Unser Dashboard Inbound Travel Trends Germany ermöglicht zudem das Filtern relevanter Ergebnisse und eine attraktive Visualisierung. Alle Daten können auch mit einer App eingesehen werden, sodass Entscheider direkt im Business-Meeting situativ die relevanten Informationen verfügbar haben.
Wie ist die Gewichtung von Primärdaten zu Sekundärdaten in dem Tool? Gibt es noch weitere Befragungsdaten im Tourismus, die das Dashboard noch anreichern könnten?
Petra Hedorfer: Unser Fokus im Inbound Travel Trends Dashboard liegt hier klar auf transactional data und einer schnellen praktikablen Übermittlung in einem kompakten Format. Wir geben außerdem regelmäßig Studien bei internationalen Marktforschungsinstituten in Auftrag, um spezifische Fragestellungen zu analysieren und bilden diese Primärdaten auch im Dashboard ab. Über diese Erkenntnisse zur Marktsituation im Tourismus berichten wir zudem in vielfältigen anderen Formaten wie Webinar-Serien aus unseren fast 30 Niederlassungen weltweit, Pressemitteilungen sowie Blogs und Podcasts.
Verfügen Sie auch über Social-Listening-Daten, und wäre das eine sinnvolle Ergänzung für die Zukunft?
Petra Hedorfer: Ja. Wir verwenden bereits seit zwei Jahren verschiedene Analysetools für das Social Listening und verfügen dadurch über einen außerordentlich umfangreichen Datenschatz, der uns wertvolle Erkenntnisse zu wichtigen Fragestellungen liefert.
Internationale Primärdaten in vielen Märkten zu erheben, ist teuer und aufwändig. Anders ist das bei Multi-Client-Studien, die von verschiedenen Ländern gemeinsam finanziert werden. Gibt es bereits solche internationalen Kooperationen, um z. B. „Travel Intentions“ fortwährend zu erheben?
Petra Hedorfer: Wir kooperieren bereits seit Jahrzehnten auf europäischer Ebene eng mit der ETC, der European Travel Commission. Damit haben wir sehr positive Erfahrungen gemacht. Wir können hier Studieninhalte von Primärstudien mitgestalten, die Multi Clients sind hier die National Tourism Organisations der anderen europäischen Länder. Allein in der Corona-Krise haben wir bisher zehn Befragungswellen zu den Travel Intentions bekommen, die zum einen quellmarktspezifische Aussagen erlauben und zum anderen ein sehr aktuelles Bild der Nachfrageentwicklung in Korrelation zur Pandemieentwicklung ermöglichen.
Welche Daten würden Sie noch gerne in das Tool einfließen lassen?
Petra Hedorfer: Ganz klar sind das Mobile Location Data, von welchen wir uns weitere zeitnahe Hinweise über die erdgebundenen touristischen Einreisen nach Deutschland versprechen. Für das Jahr 2022 wollen wir hier Daten anbinden, um die Akteure im Tourismus im Übergangsjahr zu unterstützen.
Viele mit Hingabe entwickelte Dashboards werden später kaum genutzt. Wie sieht das bislang mit dem Tool aus? Wie fallen die Reaktionen der Stakeholder bislang aus?
Petra Hedorfer: Die Reaktionen sind überaus positiv. Sowohl was den Nutzen der Daten als auch die Customer Experience mit dem Tool angeht. Wir entwickeln zudem das Dashboard permanent weiter und integrieren neue Inhalte und Features. Vor allem haben wir als Quellen für unser Inbound Travel Trends Germany Dashboard Daten gewählt, welche von hoher Relevanz jedoch als paid data sources nicht frei verfügbar sind. Gerade jetzt, wo sich im Tourismus situativ Opportunities für einzelne Quellmärkte geben, ist die faktenbasierte Entscheidung überlebensnotwendig.
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