Prof. Horst Müller-Peters, Herausgeber marktforschung.de Brexit: Mehr Mut - ran an den Kuchen!

Horst Müller-Peters, marktforschung.de
Betrachtet man die Brexit-Diskussion innerhalb der deutschen Marktforschungsbranche, dann stehen Themen wie Datenschutz, Zölle, die Entsendung von Mitarbeitern oder zuweilen auch die Frage nach einem eigenen Standort in London im Vordergrund. Neben diesen weitgehend administrativen Problemen werden negative Wachstumseffekte auf die europäische Wirtschaft und damit auch auf den deutschen Markt befürchtet. Gemeinsam mit der anhaltenden Wachstumsschwäche des deutschen und europäischen Marktforschungsmarktes erscheint das Glas also zumindest halbleer.
UK dominiert den europäischen Marktforschung-Markt
Die vielleicht wichtigste Botschaft wird dabei allenfalls am Rande erwähnt: Großbritannien – traditionell ein Knotenpunkt für europaweite Studien, steht zwar nur für elf Prozent des EU-weiten Sozialproduktes (BIP 2017 laut Berechnungen des IWF). Mit einem Marktforschungsumsatz von knapp 6,5 Mrd. $ (ESOMAR Report 2018) beherrscht UK aber mit einem Anteil von 43 Prozent den EU-weiten Markt der Branche!
Der deutsche Markt kommt mit seiner um 24 Prozent größeren Bevölkerung und einer um 40 Prozent größeren Volkswirtschaft dagegen auf nur ca. 2,8 Mrd. $ Marktvolumen. Der Anteil der Branche am BIP beträgt für Deutschland 0,08 Prozent, für UK dagegen 0,25 Prozent. Oder, um es noch plastischer auszudrücken: Im Schnitt kommt auf jeden Briten 98 $ Marktforschungsumsatz in Jahr, auf jeden Bewohner Deutschlands dagegen nur 33 $.
Wachstums-Change über 30 Prozent
Liebe Institutsleiter, Niederlassungsleiter, Verbände und regionale Wirtschaftspolitiker: Auch wenn es gemein gegenüber unseren britischen Nachbarn und Freunden klingt - das Glas ist nicht halb leer, es ist übervoll! Wie voll ungefähr? Um eine – zugegebenermaßen sehr vereinfachte - Schätzung vorzunehmen, welcher Anteil des britischen Marktforschungs-Marktes dem dortigen Binnenmarkt entspricht, ließe sich ein gleicher Pro-Kopf-Umsatz wie in Deutschland zugrunde legen. Damit betrüge das Volumen des britischen Binnenmarktes 2,2 Mrd. $, während der internationale Teil mit 4,3 Mrd. $ den Löwenanteil ausmacht. Wird als Maßstab das BIP zugrunde gelegt, erhöht sich der Wert auf über 4,5 Mrd. $. Wenn es den hiesigen Akteuren gelänge, daraus auch nur jeden fünften Etat zu gewinnen, entspräche das einem Wachstumsschub von 31 Prozent bzw. 33 Prozent!
In anderen Feldern wurden die Chancen längst aufgegriffen. So ringt Deutschland spätestens seit dem Brexit-Votum vom Juni 2016 um ein größeres Stück vom Kuchen des europäischen Banken- und Versicherungsmarktes – wobei im Finanzsektor Länder wie Irland, Frankreich und Luxemburg aufgrund laxerer Regulation, Mietsubventionen oder großzügiger Steuergeschenke bisher meist die Nase vorne hatten. Die Erfolgsaussichten dürften in der Marktforschung, wo Personal, Know-How und die Bedeutung des nationalen Binnenmarktes im Vergleich wichtiger sind, höher liegen. Und: Der Zug ist auch aus zeitlicher Sicht noch lange nicht abgefahren. Zwar berichtet die Presse bereits über zahlreiche vollzogene Verlagerungen, nach aktueller Einschätzung der britischen Handelskammer steht der größte Teil aber noch bevor.
Don't miss the opportunity!
Verlängert sich die Hängepartie oder kommt der Brexit, könnte es also heißen: Wachstumssorgen ade, blühende Mafo-Landschaften stehen ins Haus! Neben den hiesigen Niederlassungen internationaler Gruppen könnten auch nischenbezogene Newcomer sowie – zusätzlich begünstigt durch die derzeitige strategische Neuausrichtung einiger Global Player - besonders die mittelständischen Institute profitieren. Berlin (oder Hamburg, Frankfurt, Köln ...) als Mittelpunkt der europäischen Start-Up-Szene für Research und Analytics! München (oder Nürnberg, Heidelberg, Hürth, Rückersdorf ...) als Nabel der europäischen Marktforschung!
Viel Mut und Good Luck wünscht
Horst Müller-Peters
PS: Wem das nicht reicht: Wenn US-Präsident Trump handelspolitisch so weitermacht, braucht es auch einen neuen Hub für die ganze Welt. Als Orientierung: Der Anteil der USA an der Marktforschung weltweit beträgt laut ESOMAR 44 Prozent, am Welt-BSP 24 Prozent.
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