Kolumne von Florian Tress Brauchen wir eine Frauenquote?


In unserer Branche haben im wahrsten Sinne des Wortes die Männer das Sagen. Schon ein kurzer Blick in das Workshop-Programm der diesjährigen Research & Results zeigt, dass der Männeranteil unter den 135 Referenten bei knapp 80 Prozent lag. Das ist freilich nicht als Vorwurf zu verstehen, schließlich wurden die Vorträge unabhängig voneinander gebucht und auch nicht vom Veranstalter kuratiert. Außerdem beschränkt sich das Phänomen keinesfalls auf das Messeprogramm, sondern zeigt sich auf nahezu allen Events und Publikationen unserer Branche: Frauen sind in der Fachöffentlichkeit klar unterrepräsentiert.

Ganz allgemein gibt es (nicht nur) in der Marktforschung weniger Frauen in Führungspositionen. Selbst der bereinigte Gender Pay Gap liegt im Durchschnitt noch bei erschreckenden 9 Prozent (Das alles gibt es hier nachzulesen). Man mag nun einwerfen, dass ja jeder selbst seines Glückes Schmied sei, – egal ob bei Karriereplanung, Gehaltsverhandlung oder Selbstvermarktung –, doch so einfach ist es sicherlich nicht. Schließich ist gerade unsere Profession in besonderer Weise der Neutralität und Objektivität verpflichtet.

Denn ließe sich nicht wunderbar argumentieren, dass auch die Forschungs-Community bevölkerungsrepräsentativ sein sollte, um alle Gesellschaftsschichten adäquat zu verstehen? Und wenn wir hier schon über den Frauenanteil nachdenken, wie sieht es dann beispielsweise mit dem Anteil von Marktforschern aus, die einen Migrationshintergrund haben?

Freilich, nach rationalen Gesichtspunkten dürfte es überhaupt keine Diskriminierung geben, schließlich schadet sich jedes Unternehmen selbst, wenn es aus sexistischen oder fremdenfeindlichen Gründen einen weniger qualifizierten Bewerber vorzieht. Doch es ist auch nicht ganz von der Hand zu weisen, dass sich unsere Branche vor allem aus der gebildeten, deutschstämmigen Mittelschicht rekrutiert.

Warum aber sollte das ein Problem sein? Nun, jedes Forschungsergebnis hat eine Wirkungsabsicht, so auch die hier zitierten Zahlen zu Frauen in der Marktforschung. Mit Forschungsergebnissen werden Positionen argumentativ gestärkt, Entscheidungen gesichert, Einfluss genommen und die Umsetzung von Projektideen eingefädelt. Dieses Agenda-Setting lässt sich natürlich besonders schön bei PR-Studien und sogenannten „Alibi-Studien“ sehen, betrifft aber letztlich jedes Forschungsprojekt, das einen Impact haben möchte. 

Problematisch wird es allerdings, wenn Studien unterschwellig die persönlichen Wertvorstellungen und Lebenserfahrungen des Forschers widerspiegeln. Beinhaltet zum Beispiel die Frage nach den Bedürfnissen der "modernen Hausfrau" nicht schon implizit die Unterstellung, dass Männer für Haushaltstätigkeiten auch in der heutigen Zeit nicht in Frage kommen? Da Forschungsergebnisse also unbemerkt eine Ideologie transportieren können, ist jene Neutralität gefährdet, zu der sich die Marktforschung grundsätzlich verpflichtet sieht. Am Ende ist alleine die Forschung dafür verantwortlich, derartige Positionierungen zu vermeiden.

Und so geht es unterm Strich vielleicht auch nicht um die Forderung nach mehr Frauen oder Migranten in der Marktforschung, sondern darum, ob wir uns selbstkritisch Rechenschaft zu unseren Vorurteilen und Unterstellungen ablegen. Dass diese Diskussion derzeit vor allem von Männern geführt wird, ist sicherlich ein Kuriosum, muss aber noch nichts heißen. Fest steht aber auch, dass es keinen vernünftigen Grund gibt, warum Frauen in der Forschungswelt benachteiligt werden sollten.

Zur Person

Florian Tress, Norstat Gruppe
Florian Tress arbeitet für die Norstat Gruppe an der Schnittstelle zwischen Produktentwicklung und Marketing. In dieser Funktion hat der studierte Soziologe über die Jahre hinweg mehrere Artikel und Vorträge zu unterschiedlichen Themen der Marktforschung veröffentlicht, insbesondere den Methoden der Onlineforschung. Als Blogger und Mitbegründer von mafolution.de hat er das persönliche Anliegen, den fachlichen Austausch in der Branche zu fördern. Dazu experimentiert er in seinen Texten gerne mit unterschiedlichen Standpunkten und Blickwinkeln.

 

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  1. Oliver Tabino am 17.11.2016
    Hi Florian, ich bin gerade auf der Esomar BigData Konferenz und bin mal die Teilnehmerliste und die Rednerliste auf der Esomarseite durchgegangen. Von 140 Teilnehmern sind 38 oder 39 Frauen (bei 2 Namen war ich mir nicht sicher). Von 28 "Speakers" auf der Website sind 5 Frauen. Die Teilnehmerliste von der Esomar Global Qualitative, die Anfang der Woche stattgefunden hat, habe ich nicht, aber von den 42 "Speakers" sind 23 Frauen. Grüße, Oliver
  2. Florian Tress am 17.11.2016
    Hi Oliver,
    wie gesagt, leider kein Einzelfall - immerhin auf der ESOMAR Global Qualitative ist das Geschlechterverhältnis ausgeglichen.
    Es mag auch nur ein Zufall sein, aber ich finde interessant, wie sich hier Rollenklischees bestätigen à la "Jungs mögen Statistik und Algorithmen" (Big Data: 70% Männer) bzw. "Mädels mögen Gruppendiskussionen" (Qualitative: 55% Frauen). Über diese Schubladen sollte man wahrscheinlich auch mal nachdenken.
    Viele Grüße, Flo

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