Frauen in Führungspositionen Bleibt alles beim Alten?

Wir leben im Jahr 2016, Deutschland wird von einer Bundeskanzlerin regiert. Doch wie schaut es insgesamt mit der Gleichberechtigung und mit dem Anteil von Frauen in Führungspositionen aus? Der Versuch einer aktuellen Bestandsaufnahme zeigt ziemlich schnell, dass sich kein klares Bild ergibt. Seit dem 1. Januar 2016 gilt zwar die Frauenquote in Deutschland, das heißt zunächst aber nur, dass 30 Prozent der neu zu besetzenden Aufsichtsratsposten in rund hundert börsennotierten Unternehmen mit Frauen besetzt werden müssen.

Ähnliches gilt auch für den öffentlichen Dienst. Außerdem sind rund 3.500 weitere Unternehmen dazu verpflichtet, sich eigene Zielgrößen zur Erhöhung des Frauenanteils in Aufsichtsräten, Vorständen und obersten Management-Ebenen zu setzen. Dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zufolge hat sich diesbezüglich in der Tat etwas getan: bei den 30 Dax-Konzernen stieg der Frauenanteil in den Aufsichtsräten seit Januar von 26, 8 Prozent auf 30,2 Prozent. Aktuell erfüllen demnach 18 der 30 Dax-Unternehmen die Quote.

Eine ähnlich positive Entwicklung gilt auch für Vorstände von Unternehmen. Laut dem Mixed Leadership-Barometer von Ernst & Young arbeiten in den Vorstandsetagen von Deutschlands börsennotierten Unternehmen mit Stichtag 1. Juli 2016 insgesamt 43 weibliche Vorstände, vier mehr als zu Jahresbeginn und acht mehr als noch vor einem Jahr. Allerdings liegt der Anteil von Frauen damit immer noch nur bei 6,4 Prozent, denn es stehen den 43 Frauen 627 Männer gegenüber. Wohlgemerkt in Bezug auf Vorstände gilt die Quote nicht. Vorläufiges Fazit: Es tut sich etwas, wenn auch marginal. Und besonders bemerkenswert in diesem Zusammenhang: Ausgerechnet die Bundesagentur für Arbeit schafft es nicht, die Quote zu erfüllen. Nach monatelangem Gerangel hinter den Kulissen trat am 1. Juli 2016 Detlef Scheele die Nachfolge von Heinrich Alt an – er komplettiert damit ein männliches Führungstrio.

Wenn die Gläserne Decke den Weg versperrt

Nun ist das Thema Gleichberechtigung kein neues – interessant ist aber doch, ganz objektiv betrachtet, dass Frauen in Deutschland nur ganz allmählich die Gläserne Decke durchdringen und in größerer Anzahl in die Führungsetagen gelangen, obwohl es offensichtlich keinen Mangel an qualifizierten Frauen gibt. Deutschland schafft es aber zum Beispiel im "Glass Ceiling Index" des britischen Magazins Economist lediglich auf Platz 17. Insgesamt zehn Indikatoren in unterschiedlicher Gewichtung fließen in diesen Index ein: In puncto Arbeitswelt geht es um den Anteil arbeitender Frauen, Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern und den Anteil weiblicher Führungskräfte und Aufsichtsräte. Außerdem spielt das Bildungssystem, die Rahmenbedingungen der Elternzeit, die Höhe der Kinderbetreuungskosten und die Anzahl weiblicher Parlamentarier eine Rolle. Die ersten Plätze des Glass Ceiling Index belegen Island und die skandinavischen Länder, Deutschland schafft es ganz knapp über den OECD-Durchschnitt. Schwacher Trost im direkten Vergleich ist einzig die Tatsache, dass etwa die USA, England, die Schweiz und Japan noch weniger gut abschneiden.

Seit Jahren setzen sich nun unterschiedliche Disziplinen mit den Ursachen und Hintergründen der Gläsernen Decke auseinander. So gibt es reichlich Studien, die die Situation aus psychologischer oder soziologischer Sicht beleuchten und unterschiedliche Ursachen ausfindig machen: Geburt der Kinder, die sich anschließende Teilzeit-Falle, Frauen scheuen vor zu viel Selbstmarketing oder gar Macht zurück … die Liste ließe sich endlos fortführen. Die Hintergründe wurden und werden immer wieder diskutiert, ich beschränke mich an dieser Stelle darauf, auf Aufgaben von Politik und Gesellschaft zu verweisen: Nach wie vor muss die Politik für bezahlbare und sinnvolle Kinderbetreuung auch für Kinder unter drei Jahren sorgen. Aufgabe der Gesellschaft bleibt es, Frauen nicht nur über ihre Rolle als Mütter zu definieren und vor allem nicht den Müttern allein die Verantwortung der Familienmanagerin zuzuschreiben. Und wenn dann doch eine gut ausgebildete Frau es vorzieht, sich eine längere Elternzeit zu nehmen, sollte auch dies ohne Rechtfertigungsdruck möglich sein. Frauen, die in den Beruf in Teilzeit zurückkehren, müssten trotzdem adäquate Karrieremöglichkeiten auch in Teilzeit angeboten werden. Aber es wäre aus meiner Sicht ebenso sinnvoll, Männer nicht ausschließlich über ihren beruflichen Erfolg zu definieren, sondern auch der Vaterrolle Bedeutung beizumessen und letztlich müsste es natürlich auch für Männer möglich sein, in Teilzeit Führungsaufgaben wahrzunehmen.

Gleichberechtigung könnte sich lohnen

Und wer schon moralisch keine Verpflichtung zur Gleichstellung sieht, den mag aufmerksam machen, dass laut einer Analyse von Ernst & Young die weltweite Wirtschaftsleistung durch Gleichberechtigung um elf Prozent wachsen würde. Nach Investitionen von rund zwei Billionen US-Dollar könnte sich demnach eine Steigerung von zwölf Billionen US-Dollar ergeben.

In der Marktforschungsbranche gibt es sicher bereits in vielen Bereichen Gleichberechtigung, aber wie unsere Gehaltsstudie 2016 gezeigt hat, existiert eben auch ein Gender Pay Gap. Da das Thema trotz all der wichtigen Fakten eine große subjektive und psychologische Komponente hat, möchte ich zum Schluss nicht verschweigen, dass ich eine Frau und von daher vermeintlich befangen bin. Meine Eltern lebten mir schon in den 80er Jahren Gleichberechtigung vor. Insofern ist es für mich manchmal schwer nachzuvollziehen, warum sich 30 Jahre später in mancherlei Hinsicht noch so wenig getan hat. Eine tolerantere Gesellschaft mit flexibleren Rollenbildern wäre aus meiner Sicht wünschenswert und davon abgesehen, es hilft ja alles nichts: Wir Frauen müssen einfach weiter dranbleiben!

Dorothee Ragg

 

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