Beziehungszauber und Markenerleben

Norbert Dube (TNS Infratest)

Von Norbert Dube, Associate Director bei TNS Infratest Brand & Communication.

Bei der Analyse der Wirkungen von Markentouchpoints müssen historische Entwicklungen und das Beziehungsgeflecht medialer und non-medialer Kanäle stärker in den Mittelpunkt gerückt werden.

Das Markenerleben ist in der letzten Zeit in aktuellen Publikationen zu einer neuen und zentralen Kategorie der Markenführung erklärt worden.(1) Dem nüchternen Betrachter dürfte allerdings nicht unverborgen geblieben sein, dass das Markenerleben schon seit etwa zehn Jahren in Deutschland (und bereits noch länger im angelsächsischen Sprachraum) als wichtige diagnostische Marketingkategorie bekannt ist – offensichtlich lassen sich Begriffskonjunkturen bei hinreichender Chuzpe inszenieren und werden dann sogar mit Marktforschungspreisen bedacht. Aber dies nur nebenbei …

Die außerordentliche hohe Relevanz des Markenerlebens erhellt aus der Tatsache, dass Markenerleben als eine Art psychologischer Marktanteil interpretiert werden kann, der – und das ist das Entscheidende – mit dem tatsächlichen Marktanteil äußerst hoch korreliert (im Durchschnitt r = 0,8 – 0,9). Umfangreiche Validierungsstudien (INSEAD, ARF) belegen dies. Gemessen wird das Markenerleben mit dem von Integration entwickelten Ansatz MCA (Market Contact Audit). Kurzgefasst ermittelt MCA die Qualität eines Markentouchpoints für eine Kategorie und erhebt die Bekanntheit von Marken auf diesen Touchpoints. Beide Größen werden miteinander multipliziert und das Produkt nennen wir Markenerleben oder Markenerlebniswert.(2)

Die Qualitätsdimension eines Touchpoints oder Kanals (beide Begriffe können synonym verwendet werden) wird bestimmt durch seine spezifische Relevanz hinsichtlich der Wirkdimensionen Information, Attraktivität und Überzeugungskraft – letztere scharf fokussiert auf die Rolle des Kanals im konkreten Entscheidungsprozess. Die Kanalrelevanz ist dabei stark abhängig von der betrachteten Kategorie – zum Beispiel lässt sich zeigen, dass digitale Kanäle in Kategorien schnell drehender Konsumgüter eine weitaus geringere Rolle spielen als in der Serviceindustrie (Reisen, Telekommunikation, Finanzdienstleistungen).

Die Messung der Bekanntheit, der Präsenz von Marken auf den betrachteten Kanälen, erfolgt mit einer einfachen ja/nein Abfrage. Diese Daten dienen, neben der Ermittlung des Markenerlebniswerts, im Wesentlichen der Bestimmung des sogenannten Most/Least Association Index: einer Aussage über die Intensität der Markenkonkurrenz auf den einzelnen Kanälen. Neben Kanälen, auf denen viel Konkurrenz herrscht (typischerweise TV) gibt es Kanäle, die von nur wenigen Marken genutzt werden und daher eine größere Chance bieten, ein differenzierendes Markenerlebnis zu inszenieren.

Historische Entwicklungen der Kanalrelevanz beobachten: Bedeutungswandel digitaler Kommunikationskanäle


Digitale Marken-Touchpoints spielen eine immer größere Rolle bei der Analyse der Struktur von Markenerlebniswerten. Insbesondere eine historische Perspektive – über eine Vielzahl von Projekten aus den letzten Jahren hinweg – hilft, die Rolle digitaler Kanäle besser zu verstehen und ihren Bedeutungswandel sowie ihr mögliches Potenzial einzuschätzen.

Der Bedeutungswandel digitaler Kanäle lässt sich am Beispiel von Markenwebsites eindrucksvoll belegen. Noch zu Beginn der 2000er Jahre haben die Verbraucher den Kommunikationskanal Markenwebsite als einen Touchpoint mit wenig Relevanz gesehen. Websites spielten bei der Entscheidung für eine Marke nur eine unterdurchschnittliche Rolle. Gleichzeitig besaßen sie aber ein erkennbares Potenzial, da nur wenig Konkurrenz auf diesem Kanal herrschte – noch waren nicht alle Marken mit Websites vertreten und viele Markenwebsites bewegten sich auf einer gestalterisch wenig entwickelten Ebene. Der Kanal hatte bei vielen Konkurrenten inhaltlich schlicht wenig zu bieten. Diese Situation hatte sich wenige Jahre später bereits deutlich gewandelt: Obzwar der Kanal immer noch nicht durch viele Marken innerhalb einer Kategorie "übervölkert" war, also immer noch eine eher geringe Konkurrenzwahrnehmung stattfand, war seine Rolle im konkreten Entscheidungsprozess deutlich stärker geworden: die Relevanz des Kanals hatte entscheidend hinzugewonnen, seine Qualitäten hinsichtlich seines Informationspotenzials, hinsichtlich seiner Möglichkeiten, eine Marke attraktiv zu inszenieren wurde von den befragten Konsumenten weitaus stärker anerkannt. Marken, die jetzt über einen guten Internetauftritt verfügten hatten, konnten einen Vorsprung vor ihren Konkurrenten erzielen.


Dieser Zustand hielt allerdings nicht lange an: ab den 2010er Jahren finden wir den Kanal Markenwebsite zwar als nach wie vor sehr wichtigen Kanal, wenn es um seine Relevanz und seine Rolle bei der Markenentscheidung geht, aber nun verfügen alle Konkurrenten über einen hochentwickelten Netzauftritt. Und die Frage, die sich heute den Marken stellt ist, auf diesem Feld der Auseinandersetzung kreative Differenzierung zum Wettbewerb zu schaffen, spannende, interessante, relevante Inszenierungen der eigenen Marke zu leisten.

In unseren aktuellen CPO™ Studien finden wir den Kanal "Soziale Netzwerke" in einer Position, in der sich Markenwebsite vor ungefähr zehn Jahren befunden haben. Ganz offensichtlich sind auf diesem Kanal die Relevanzpotenziale noch lange nicht ausgeschöpft – andererseits heißt dies aber auch, dass die reale Bedeutung sozialer Netzwerke bei der Generierung von Markenerleben von vielen allzu leicht überschätzt wird. Werden die Markenauftritte in sozialen Netzwerken in jedem Fall größere Beiträge zum Markenerleben leisten als heute? Welche gestalterischen und kreativen Initiativen, welche Investitionen sind notwendig, um den Erlebniswert für die Marke auf diesem Kanal zu entwickeln? Inwieweit müssen kategoriespezifische Besonderheiten berücksichtigt werden?

Auf den letzten Punkt haben wir oben bereits hingewiesen: bei schnell drehenden Konsumgütern spielen digitale Kanäle eine geringere Rolle als in der Serviceindustrie oder bei Durables. Konkreter: der Anteil digitaler Kontakte bei der Generierung von Markenerleben hat sich in den letzten Jahren (etwa seit 2005) bei Untersuchungen in Service Kategorien etwa verdoppelt, bei Untersuchungen in FMCG Kategorien ist er stabil geblieben.

Gleichzeitig aber – und auch dieser Aspekt wird in der Regel nur bei einer erfahrungsgesättigten, historischen Betrachtung sichtbar – zeigt sich, dass die Rolle klassischer Medien bei der Generierung von Markenerleben nach wie vor sehr groß ist und immer noch größer als der Beitrag digitaler Kanäle. Der Anteil des im TV erzeugten Markenerlebens hat zwar gegenüber Mitte der2000er Jahre nachgelassen, ist aber immer noch größer als der Anteil des auf Markenwebsites erzeugten Markenerlebens. Und insbesondere gilt dies in Kategorien schnell drehender Konsumgüter.

Endogenes Beziehungsmanagement etablieren: Markenerleben entsteht auf einer Vielzahl von Kanälen

Digitale Markenkontakte haben das Strukturgeflecht des Markenerlebens verändert, sie haben die bisherigen Kanäle aber nicht verdrängt, sondern ihnen eine neue Rolle im Marketingprozess zugewiesen. Die Analyse des Markenerlebens wird sich stärker der Frage nach dem Zusammenspiel der Kanäle, nach Interaktionen, Synergien und inhaltlichen Beziehungen zuwenden müssen, als dies bislang der Fall ist.

Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Frage nach der Steuerbarkeit und Beeinflussbarkeit von Kanälen, die ihrer Natur nach unabhängig und neutral sind. Der Bereich des Word of Mouth Managements wird immer stärker in den Mittelpunkt rücken, gerade auch vor dem Hintergrund, dass digitales Word of Mouth in Blogs und Kategorieforen einen zunehmenden Anteil bei der Erzeugung von Markenerleben entwickelt. Das Vertrauen in diese Kanäle und damit ihre Relevanz nimmt zu. Nicht allein Freunden, Verwandten und Bekannten wird in der digitalen Welt vertraut, sondern auch Personen, die man nicht kennt. Äußerungen von Marken sind grundsätzlich weniger vertrauenswürdig.(3)

Beschäftig man sich mit der Frage des Zusammenspiels einzelner Kanäle muss zunächst festgehalten werden, dass diese Analyse stets im Rahmen einer klar definierten Produkt- oder Angebotskategorie erfolgen muss. Erkenntnisse über die Wirkungen einzelner Kanäle und deren Leistungen bei der Erzeugung von Markenerleben lassen sich in nur sehr geringem Maße über die Kategorie hinaus verallgemeinern! Wir sprechen daher von "endogenem Kanal- oder Beziehungsmanagement".

Eine solche Analyse kann sich nicht darin erschöpfen, auf einer Graphik Pfeile mit sowohl/als auch Richtungen zwischen eine Anzahl von Marken-Touchpoints zu zeichnen und den Betrachter mit der ihn erschöpfenden Erkenntnis zurückzulassen, dass alles mit allem zusammenhängt ohne zu erklären wie. Genauso wenig reicht es aus, die alte Erkenntnis zu wiederholen, dass 50% der Markenkontakte von den 10 wichtigsten Kanälen einer Kategorie erzielt werden. Vielmehr tritt hier neben eine profunde statistische Analyse, bei der Beziehungen zwischen den Kanälen, ihre sich gegenseitig verstärkenden oder behindernden Markenerlebensbeiträge betrachtet werden, eine inhaltsanalytische Dimension, bei der die strategischen Funktionen der Kanäle in einer ganzheitlichen Perspektive betrachtet werden müssen. An dieser Stelle befindet sich der Ansatz derzeit in der Weiterentwicklung. Vor allem müssen die Abhängigkeiten und gegenseitigen Einflussnahmen von Brand Generated Media (z.B. klassische Werbung), den vermittelnden Instanzen der Independent Media (z.B. Testberichte) und den kaum steuerbaren und risikoreichen Kanälen der Consumer Generated Media (z.B. soziale Netzwerke) verstanden werden.


Es gilt, die Ganzheitlichkeit des Markenerlebens als Summe eines gelungenen "Beziehungszaubers", der sich als ein neues Drittes über dem Zusammenspiel der Kanäle ausbreitet, zu verstehen und für das Marketing handhabbar zu machen.

Fassen wir zusammen:

Markenerleben ist eine zentrale Kategorie des Marketings, die mit Hilfe des MCA Ansatzes transparent gemacht werden kann und die für eine Vielzahl von Kanälen ein ganzheitliches Evaluierungsmodel, eine einheitliche Währung, bereitstellt.

Nur in historischer Perspektive erschließen sich Entwicklungen, die vor allem im Blick auf Potenzialeinschätzungen neuer Kommunikationskanäle überaus relevant und wichtig sind.

Das Beziehungsgeflecht unterschiedlicher Medien kann im Resultat zu einem Markenerleben führen, das mehr ist als Summe seiner Kanalbeiträge ist. Insbesondere die Rolle der Consumer Generated Media und die der Independent Media ist noch präziser zu erforschen und erfordert eine Weiterentwicklung des bisherigen Models.

(1) Z.B. Munzinger und Scholz, Das Markenerleben, Planung & Analyse 4/2011, 28ff.

(2) MCA ist bei TNS Infratest ein integriertes Tool und wird unter dem Markennamen CPO™ (Contact Performance Optimization) angeboten. CPO™ verbindet MCA mit dem Kundenbindungsmodel (Conversion Model™) und stellt die MCA Ergebnisse in einen Zusammenhang mit der Intensität der Beziehung zwischen Marke und Kunde – und geht an dieser Stelle über andere im deutschsprachigen Raum verfügbare MCA Anbieter hinaus.

(3) In der globalen TNS Studie Digital Life 2011 stimmten 62% der befragten 2600 deutschen Teilnehmer der Aussage zu: "Man kann Aussagen von anderen über Produkte und Marke mehr vertrauen als Aussagen, die von den Unternehmen über Produkte und Marken gemacht werden." Und 33% der befragten Deutschen stimmen der Aussage zu: "Ich vertraue Online-Kommentaren über Produkte und Marken, die von Leuten gemacht werden, die ich nicht kenne."

 

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