Das wahre Leben – Kolumne von Jens Krüger Berlin, wir haben ein Problem!

Die in Berlin sitzenden Branchenverbände sollten sich in der Qualitätsdebatte mehr bewegen. (Bild: picture alliance / Zoonar | elxeneize)
Berlin, wir haben ein Problem! Das möchte man als Marktforscher in diesen Tagen rufen. Thomas Koch hat sich mit der YouGovisierung der Marktforschung beschäftigt und meint damit die mittlerweile tägliche Flut an öffentlichkeitswirksam inszenierten vermeintlichen Wahrheiten aus Befragungen. Oft wenig durchdacht, suggestiv abgefragt. „Die Marktforschung am Limit“, schreibt er in seiner neusten Kolumne. Eine Diskussion zum Qualitätsversprechen unserer Branche. Ja, das ist sicher überspitzt. Aber bekannterweise liegt in der Übertreibung die Kraft der Verdeutlichung.
Danke, Thomas! Für diesen Beitrag, der ein wichtiger Anstoß und Puzzlestein für eine überfällige und notwendige Diskussion über unsere Rolle und unserer Qualitätsversprechen in der Marktforschung ist.
Ganz sicher, es wird keine einfache Debatte. Auch ich stimme nicht mit allem Geschriebenen überein. Sicher, auch DIY und Quick Polls brauchen die Expertise, also das Handwerkszeug, die richtigen Fragen zu stellen und auch das Wissen darum, dass man mit nur einer Frage nicht die Welt erklären kann.
Wir müssen uns den veränderten Realitäten stellen, auch in der Diskussion um Methoden und neue Herangehensweisen.
Schnelligkeit ist dabei nur eine Dimension, die unsere Kunden immer lauter fordern. Warum eigentlich? Zum Beispiel um kurzfristige Entscheidungen in Innovationsprozessen abzusichern – gehen wir links oder rechts. Dafür sind diese Ansätze – gepaart mit dem Know-How, die richtigen Fragen zu stellen, hervorragend geeignet.
Marktforschung in Echtzeit ist – trotz aller Limitierungen – schon #Mega.
Eine weitere Dimension ist die notwenige Anpassung und Erweiterung unserer Forschungsansätze auf die Realitäten in der Netzökonomie. Co-Creation. Viele Institute stellen sich bereits den neuen Anforderungen. Qualitative Befragungsformate in WhatsApp sind heute bereits Realität, ebenso wie kombinierte Ideation- und Design Thinking Ansätze in der Innovation Journey. Wir kombinieren bereits effizient Verhaltens- mit Befragungsdaten, um die Customer Journey zu decodieren. Social Media Analysen gehören auch heute in das Portfolio vieler Institute, insbesondere in das der Innovativen, wie GIM, September, Bonsai u.v.m.
Wir müssen unsere selbstgesteckten Grenzen neu ausloten, was Marktforschung eigentlich kann und darf.
Die Erarbeitung einer Antwort darauf könnte die Aufgabe der einschlägigen Verbände wie BVM oder ADM sein. Aber hier habe ich aktuell wenig Hoffnung. Aus aktueller eigener Erfahrung, über die ich eigentlich hier nicht berichten wollte. Jetzt aber doch. Eine engagierte BVM-Regionalgruppe hatte uns und mich eingeladen, um über unsere Erweiterung des bisherigen Testmarktangebotes um eine vertriebliche Komponente zu berichten (Bonsai Sales hilft StartUps mit unseren anonym erhobenen Daten und Kontakten schneller als bisher im (Groß-)Handel gelistet zu werden.)
Die Idee, die uns dabei treibt: Wir wollen die Marktforschung relevanter machen und in die nachgelagerten Prozesse verlängern.
Das ist ein wesentlicher Teil unseres Selbstverständnisses. Weitermachen, da wo wir früher aufgehört haben. Mich hat das immer angetrieben. Und dabei nicht den Wert der Marktforschung zu verwässern. Auch nicht methodisch.
Nun hat aber der BVM Vorstand in Berlin entschieden, dass diese Veranstaltung so nicht stattfinden kann. Und uns wieder ausgeladen. Der Grund: Wir verstoßen gegen das Trennungsgebot.
Häh?
Nein, tun wir nicht! Selbst wenn es so wäre. Das haben bereits andere Institute getan, die ständig bei den BVM Veranstaltungen präsentieren und ihren neusten Software-Pakete und Plattformen vorstellen, die mit nicht-anonymen Daten individualisierte Marketing-Kampagnen unterstützen. Und auch das ist ein Teil der neuen Realität und eine richtige Verlängerung unserer marktforscherischen Leistung.
Viel Schlimmer aber ist, dass der BVM eine Debatte über unsere Zukunft im Keim erstickt.
Die Reaktionen auf Thomas Kochs Kolumne zeigen: Es gibt viele unter uns Marktforschenden, die eigentlich keine Veränderung wollen. Auch die aktuellen Kommentare, Veröffentlichungen und Positionspapiere zu DIY-Forschungsansätzen (u.a. hier auf marktforschung.de) zeigen, dass die Verbände die Diskussion scheuen und am liebsten „unter den Teppich“ kehren wollen. Vielleicht in der Hoffnung, dass das Thema sich von selbst erledigt. Das wird es aber nicht!
Die Angebote von Civey, Appino & Co haben und werden sich am Markt durchsetzen.
Hier arbeiten auch Experten, die ihr Handwerk verstehen. Viele kommen aus den großen Instituten, haben universitäre Karrieren und sind gut ausgebildet. Gemein ist ihnen, dass sie verstanden haben, wie Demokratisierung (und kürzere Fragebogenformulierungen, die man auch über einen mobilen Fragebogen noch verstehen und lesen kann) geht.
Ganz sicher, sind sie nicht die einzige Blaupause für das, was zukünftig Marktforschung sein kann. Da geht noch mehr. Und dafür braucht es Experimente, frisches agiles Denken und Engagement in der Sache.
Das ist nicht immer einfach. Zumal wir als uns Branche selbst regulieren dürfen – das ist ein hohes Gut. Es darf aber nicht das Argument für Stillstand sein. Ansonsten haben wir ein echtes Problem.
Über Jens Krüger

/jre
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