Dierk Rommel Beratung: Eine Mutprobe?

Beratung verlangt nach einer eigenen Beziehungsform zwischen zwei Parteien, die sich von anderen Beziehungen unterscheidet: Sie gleicht weder einer Freundschaft noch einer Lehrer-Schüler oder Vorgesetzten-Mitarbeiter-Beziehung. Weil sie keiner dieser Formen gleicht, passieren Fehler, wenn Muster und Verhaltensweisen anderer Beziehungsformen unverändert auf die Beratungssituation übertragen werden. Ein Berater fühlt mit, aber er leidet nicht mit. Er wahrt zudem einen neutralen Blickpunkt, während in den anderen Situationen eher Solidarität und Loyalität eingefordert werden. Der Berater verhält sich akzeptierend und wertschätzend, um den Auftraggeber bei der Lösung seiner Probleme zu unterstützen – und nicht, weil er vom Auftraggeber gemocht werden möchte. Mit dem Ziel einer Veränderung auf Auftraggeberseite fordert und konfrontiert er, um Herangehensweisen in Einklang mit bestehenden Rahmenbedingungen zu schaffen.
Bis in die 1990er Jahre hinein war es üblich, die in Papier geronnene Beratungsleistung einschließlich Summary beim Kunden abzuliefern - und darüber hinaus nicht weiter in Erscheinung zu treten. Dies ist heute nur noch im Kontext geschlossener Ja/Nein-Entscheidungen vertretbar. Bei komplexeren Fragestellungen wünschen Kunden zunehmend, Berater in die Entscheidung, Implementierung und Umsetzung einzubinden.
Als Berater gilt es einerseits zu respektieren, keinen Einfluss auf die Verwendung von Ergebnissen und Empfehlungen zu haben. Denn das Problem sowie das dazugehörende Budget und Timing liegen allein beim Kunden. Zudem ist Marktforschung nur eine von mehreren Quellen, aus denen Auftraggeber Entscheidungen ableiten.
Andererseits herrscht insbesondere bei "negativen" Gutachten sowie komplexen Themen oft ein "Vakuum" zwischen Ergebnislieferung und Entscheidungsfindung. Aufgrund dieses Bedarfs an Unterstützung werden Berater häufig von Kunden auf ein Glatteis geführt mit der Frage: "Was würden Sie an unserer Stelle tun?". Ein unmoralisches Angebot! Denn Entscheidung, Implementierung und Umsetzung bleibt Aufgabe von Kunden und sollte nicht an Dienstleister delegiert werden. Leider messen viele Auftraggeber die Beratungsqualität am Detaillierungsgrad unterbreiteter Ratschläge. Und sie finden leicht einen Grund, warum genau jene detailliert unterbreiteten Ratschläge nicht funktionieren können. Wenn Kunden an dieser Stelle anfangen zu diskutieren, haben Berater verloren. Denn Beratung ist kein Austausch von Meinungen. Daher sollten Berater auf den "Mut" zu detaillierten Ratschlägen respektvoll verzichten.
Gerade Marktforschung liefert evidenzbasierte Beratung auf Basis unumstößlicher Befunde. Dabei müssen diese belegbaren Auffassungen nicht alle aus der gleichen Studie stammen – weitere gesicherte Erkenntnisse lassen sich auch aus anderen Quellen belegen. Als Berater gilt es, diese Leitplanken zu vertreten, innerhalb derer Kunden weiter ausdifferenzieren. Detailliertere Optionen und Hypothesen sollten so rudimentär formuliert sein, dass sie erst durch die Ausdifferenzierung von Kunden und durch Kunden selbst bewertbar werden. So lassen sich Kunden in die Entscheidung und Implementierung von Ergebnissen einbeziehen, wodurch Kunden voll und ganz hinter den abgeleiteten – und vor allem tragfähigen - Entscheidungen stehen.
Interessanterweise wird Im Englischen der Oberbegriff Consulting (Beraten) unterschieden zwischen Advising (Beraten durch Inhalte) und Counseling (Beraten durch Prozess). In der Verknüpfung von Advising und Counseling lassen sich rollierend vorschlagsorientierte Ergebnisse des Beraters und vorschlagsorientierte Arbeiten des Kunden abwechselnd einbringen. Darüber hinaus gehende Ratschläge verbieten sich. Die Lösung wird eingekreist und am Ende der Beratung liegt kein umstrittener Beratungsbericht auf dem Tisch, sondern durch Einbeziehung aller Beteiligten sind die kooperativ erarbeiteten Lösungen weitgehend unbestritten. Bei komplexeren Themen sind Workshops und Sounding Boards geeignete Plattformen. Es gilt, nicht nur Inhalt und Prozess zu kombinieren, sondern auch Kunden in die Lösungsentwicklung einzubeziehen.
Damit sind Forschungsergebnisse kein Freibrief, detaillierte Ratschläge zu erteilen. Berater sind Sparringspartner zur Reflektion. Sie sind weder verlängerte Werkbank noch Erfüllungsgehilfen von Kunden. Als Sparringspartner schieben und ziehen Berater nicht in eine bestimmte Richtung. Sondern nach dem Motto: "Ich will ihnen kein Fertighaus erstellen, in das sie nicht einziehen wollen. Stattdessen liefere ich Ihnen belastbare Fundamente – was fangen Sie damit an?" schaffen Berater eine erforderliche Reibung bei gleichzeitigem Respekt vor der Autonomie von Kunden.
Vor dem Hintergrund zunehmender Leistungsverkürzung durch Automatisierung sowie DIY-Marktforschung bietet Beratung die Chance, marktforscherische Kompetenz in eine ganzheitliche Erkenntnis für Kunden einzubringen. Beratung als Fokus der Leistungserbringung, um Erkenntnisziele für Kunden in den Mittelpunkt zu rücken.
Zum Autor: Dierk Rommel verfügt über langjährige Marktforschungs- und Führungserfahrung im Konsumgüter-Marketing. Als freiberuflicher Trainer trainiert er Forscher, Dienstleister und Berater in Akquisition, Kundenberatung, Führung und Wissensmanagement.
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