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Line Kerrad, Strategir „Beim Thema Nachhaltigkeit sind Informationen das A und O“

Vor dem Hintergrund des Klimawandels ändern die Verbraucher kontinuierlich ihre Konsumgewohnheiten, und Nachhaltigkeit ist ein wichtiger Bestandteil der Brand Performance geworden. Im Vorfeld ihres Webinars gibt Line Kerrad von Strategir Tipps, was Verbraucher für einen nachhaltigen Konsum berücksichtigen sollten.

Line Kerrad von Strategir im Interview

Line Kerrad, Geschäftsführerin bei Strategier Deutschland (Bild: Strategir)

Worauf müssen Konsumenten achten, um zwischen nachhaltigen und nicht nachhaltigen Produkten zu unterscheiden?

Line Kerrad: Diese Frage ist nicht so einfach zu beantworten, weil Nachhaltigkeit vielfältig ist. Laut der modernen Auffassung von Nachhaltigkeit tragen soziale, ökonomische und ökologische Ziele zu einer nachhaltigen Entwicklung bei. Sie deckt drei wichtige Bereiche ab: Gesundheit (gegen Lebensmittelkrisen, schlechte Inhaltsstoffe, Pestizidrückstände und so weiter), Umwelt (gegen Plastikverschmutzung, intensive Landwirtschaft, CO2-Fußabdruck, et cetera) und Ethik (für faire Arbeitsbedingungen von Mitarbeitern und Lieferanten sowie Tierschutz und Tierwohl).

Immer mehr Verbraucher sind heute sensibler für soziale Belange und werden in der Zukunft noch mehr auf verantwortungsvolle und ethische Produkte achten. Um nachhaltig konsumieren zu können, brauchen sie allerdings erstmal Informationen über den ganzen Produktionsprozess eines Produktes (Inhaltsstoffe, Verfahren, wo und unter welchen Bedingungen, welche Transportwege, et cetera). Bei manchen Produkten ist das gut nachvollziehbar, bei anderen weniger. Ein gutes Beispiel sind saisonale Produkte, die unter Umständen durch einen erhöhten Energieverbrauch für die Gewächs- oder Kühlhäuser eine schlechtere CO2 Bilanz aufweisen können als Produkte, die am anderen Ende der Welt produziert werden. Bei manchen Produkten helfen Gütesiegel und Zertifikate nur bedingt, weil sie teilweise nicht bekannt oder nicht transparent genug sind (Stichwort Greenwashing). Die Konsumenten müssen sich also mit diesem Thema selbst auseinandersetzen, sich informieren, ihr Konsumverhalten hinterfragen und auf diese Art nachhaltiger konsumieren.

Beim Thema Nachhaltigkeit sind Informationen das A und O. Und hier sind auch Wirtschaft und Politik gefragt, den Zugang zu diesen Informationen zu gewährleisten.

Die Europäische Kommission hat unter anderem den Green Deal verabschiedet, mit dem Ziel, die Klimaneutralität bis 2050 samt Auflagen für Unternehmen erreicht zu haben.

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Wie können Verbraucher in dem Dschungel an Nachhaltigkeitszertifikaten und -siegeln einen Überblick darüber bekommen, welche Siegel auch vertrauenswürdig sind?

Line Kerrad: Im Bereich der Konsumgüter spielt die Verpackung eine entscheidende Rolle in der Kommunikation der Marken über ihr Engagement zur Nachhaltigkeit. Deshalb sehen wir immer mehr Labels oder sogenannte Green Claims auf Produkten. Das gilt zunehmend für auch andere Sektoren wie die Textilindustrie oder Dienstleistungen. Sie decken oft ökologische und soziale Themen in Bezug auf Herstellung, Nutzung oder auch Wiederverwertung ab. Es werden aber auch Aspekte wie Klimaneutralität oder ökologischer Fußabdruck aufgegriffen.

Laut der Europäischen Kommission gibt es in der EU mehr als 200 Umweltzeichen und weltweit sogar mehr als 450. Allein für CO2-Emissionen gibt es mehr als 80 weit verbreitete Berichterstattungsinitiativen und -methoden. Welche sind vertrauenswürdig? Welche nicht? Wer will da noch den Überblick behalten? Für viele Experten sind es viel zu viele Siegel und Umweltzeichen. Die Verbraucher sind „lost in Translation“. Mangelnde Transparenz und fehlende Regulierung werden beklagt. Das soll sich mit der sogenannten Green Claims Richtlinie im Rahmen der Green Deal Verordnung der EU ab Ende März ändern. Ziel ist die Regulierung von Marketingmaßnahmen mit Aussagen zu Nachhaltigkeit, um Greenwashing zu bekämpfen. Demnächst werden Firmen, die Green Claims (grüne Werbeversprechen wie zum Beispiel Klimaneutralität) verwenden, deren Fundiertheit wissenschaftlich nachweisen müssen. Bei Nichteinhaltung werden empfindliche Geldstrafen verhängt.

CO2-freier Konsum ist nur abstrakt zu verstehen. Was genau ist mit CO2-freiem Konsum gemeint? Auf was bezieht sich das alles?

Line Kerrad: Die aktuellen klimatischen Herausforderungen drängen uns kollektiv zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft durch eine unerlässliche Transformation, die alle Phasen der Wertschöpfungskette und des Produktlebenszyklus einbezieht.

Unser CO2-Fußabdruck als Mensch, Unternehmen oder Organisation wird mittels einer sogenannten CO2-Bilanz ermittelt. Er berücksichtigt alle Treibhausgase, die durch eine Aktivität, eine Handlung oder ein Produktionsverfahren freigesetzt werden und wird oft in sogenannten CO2-Äquivalenten (CO2e) angegeben (neben Kohlenstoffdioxid werden auch die Emissionen von fünf anderen Treibhausgasen berücksichtigt). Laut des Bundesministeriums für Umwelt und Naturschutz lag im Jahr 2022 der durchschnittliche CO2e-Fußabdruck pro Kopf in Deutschland bei 10,8t. Davon sind 31 Prozent (3,4 t CO2e) auf sonstigen Konsum (Kleidung, Elektrogeräte, Freizeit, etc.), weitere 20 Prozent (2,2t CO2e) auf jeweils die Mobilität (Auto gefolgt von Flugzeug) und das Wohnen sowie 16 Prozent (1,7 t CO2e) auf die Ernährung (insbesondere Fleisch) zurückzuführen.

Unser Konsumverhalten hat also zwangläufig einen Einfluss auf die Umwelt. Das Klimaziel sieht einen Fußabdruck unter 1t CO2e pro Kopf in Deutschland vor.

Jeder von uns hat die Möglichkeit, sein Konsumverhalten zu hinterfragen und kann zumindest versuchen, seinen CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Allerdings ist ein CO2-freier Konsum schwierig umsetzbar, so erstrebenswert er sein mag.

Die einfachsten Beispiele: weniger fliegen (0,6t CO2e entspricht einem Hin- und Rückflug Hamburg-Mallorca) oder weniger tierische Produkte essen, denn die verursachen viele Emissionen (eine fleischlastige Ernährung macht 1,7t CO2e aus).

Es müssen aber ebenfalls nachhaltige und finanzierbare Alternativen (etwa mehr öffentliche Verkehrsmittel bei Verzicht auf das Auto) angeboten werden, um nachhaltig konsumieren/handeln zu können. Die Situation jedes Einzelnen in Bezug auf Mobilität, Erwerbstätigkeit, Wohnsituation, et cetera ist für einen nachhaltigen Lebensstil entscheidend. Das Klimaziel ins Auge zu fassen und danach zu leben, hat einen – zum Teil hohen – Preis. Den eigenen CO2-Fußabdruck zu reduzieren, bleibt ein Spagat zwischen erstrebenswerter Sparsamkeit und nachhaltigen und finanzierbaren Handlungsoptionen.

Wie hilft Ihre Einschätzung nach das Verhalten der Verbraucher dabei, Unternehmen klimafreundlicher werden zu lassen?

Line Kerrad:

Für Unternehmen reicht es schon lange nicht mehr aus, sich auf dem guten Ruf einer Marke auszuruhen, der auf Produktqualität, Markenhistorie und Innovationen basiert. Ihre soziale und ökologische Verantwortung gilt bei den Verbrauchern in zunehmendem Maße als differenzierender Faktor bei der Kaufentscheidung.

Nachhaltigkeit ist dadurch ein Teil der (Marken)Performance geworden. Die Verbraucher fordern, dass die Unternehmen mit der Umwelt umsichtig umgehen, zur Natürlichkeit zurückkehren und recycelbares Material in ihren Packungen einsetzen.

Sie sollten auch das Vertrauen der Verbraucher gewinnen, indem sie Schritte unternehmen, um die Welt, in der wir alle leben, besser zu machen. Viele Unternehmen haben sich der Nachhaltigkeit verpflichtet und entwickeln entsprechende Strategien. Es gibt kein Entrinnen mehr. Im Gegenteil kann sich eine gut umgesetzte Nachhaltigkeitsstrategie als Wachstumschance erweisen.

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Was ist Ihre Prognose? Werden Verbraucher in Zukunft nachhaltiger, oder werden sie aufgrund von Inflation und anderen Problemen in alte Verhaltensmuster zurückkehren?

Line Kerrad: Auch in Bezug auf Nachhaltigkeit bleibt das Verhalten der Verbraucher sehr kontextabhängig. Wir haben zum Beispiel beobachtet, dass sich das Verhalten der Verbraucher in Bezug auf die Nachhaltigkeit zum Teil auch als Auswirkung der Corona-Pandemie verändert hat. Es findet Ausdruck in einer Dissonanz zwischen dem, was die Konsumenten gerne machen möchten (ethische, gesunde und nachhaltige Produkte kaufen) und was sie in unsicheren wirtschaftlichen Zeiten tatsächlich tun. In einer groß angelegten Studie, die über vier Kontinenten und für mehrere Kategorien durchgeführt wurde, haben wir festgestellt, dass die große Mehrheit der Verbraucher nicht ausreichend motiviert war, nachhaltige Produktalternativen von internationalen Marken zu kaufen.

Letztendlich hat Nachhaltigkeit einen Preis, den die Verbraucher nicht immer bereit sind, zu zahlen. Insbesondere in unsicheren und inflationären Zeiten wie zurzeit. Die explosionsartige Steigerung der Energie- und Lebensmittelpreise haben bei vielen Verbrauchern dazu geführt, ihren Konsum in bestimmten Sparten zu drosseln und auf günstige Discounter- oder Handelsmarken und weniger auf nachhaltige Produkte umzuschwenken. Bio-Händler haben zum ersten Mal in den letzten 20 Jahren massiv gelitten. In solchen Zeiten bleibt die Kaufkraft im Fokus, weniger die Nachhaltigkeit.

Nichtdestotrotz ist Nachhaltigkeit nicht nur für Unternehmen, sondern auch für alle Menschen schon lange keine bloße Option mehr. Wir müssen alle daran arbeiten, die Klimaziele zu erreichen, die wir uns gesetzt haben. Mal mehr, mal weniger…

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Über die Person

Line Kerrad ist seit 2004 Geschäftsführerin der deutschen Tochtergesellschaft von der Gruppe Strategir. Sie verfügt über eine langjährige Erfahrung in der FMCG-Innovationsforschung und insbesondere in der Verpackungsforschung in ganz Europa. Sie ist Mitglied des Deutschen Verpackungsinstitut.

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