"Bei uns steht die Forschung im Dienste der Innovation" - Interview zum "Local Innovation Panel" der Deutschen Telekom
Mitja Wogatzky (Telekom Innovation Laboratories), Dr. Henning Breuer (Telekom Innovation Laboratories), Dr. Julia Sauermann (FactWorks) und Dr. Fee Steinhoff (Telekom Innovation Laboratories)
Mit dem "Local Innovation Panel" hat die Deutsche Telekom auf der diesjährigen GOR den Best Practice Award gewonnen. Was es mit dem Panel auf sich hat, erläutern Mitja Wogatzky (Telekom Innovation Laboratories), Dr. Henning Breuer (Telekom Innovation Laboratories), Dr. Julia Sauermann (FactWorks) und Dr. Fee Steinhoff (Telekom Innovation Laboratories) im Interview mit marktforschung.de.
marktforschung.de: Mit dem Beitrag "Turning fiction into the road ahead: the Local Innovation Panel of Deutsche Telekom" haben Sie auf der diesjährigen GOR den Best Practice Award gewonnen. Was genau verbirgt sich hinter dem "Local Innovation Panel"?
M.W., H.B., J.S., F.S.: Unser "Local Innovation Panel", genannt "Innovationsforum", sind Berliner, die als Tester anhand unterschiedlicher Methoden der Nutzerforschung in alle Stufen des Innovationsprozesses der Telekom Innovation Laboratories (T-Labs) einbezogen werden.
Das Innovationsforum zählt mehr als 1.000 Teilnehmer mit unterschiedlichen Eigenschaften, Fähigkeiten und Lebensstilen. Es umfasst Beschäftigte und Selbstständige aus über 30 Branchen, Internet-Nutzer vom Anfänger bis zum erfahrenen Blogger, Gamer und Programmierer oder Menschen mit sehr unterschiedlichem Kommunikationsverhalten, vom reinen Festnetz-Nutzer bis hin zu Personen, die vorwiegend über soziale Netzwerke oder Microblogs kommunizieren. Daneben beinhaltet es verschiedene Untergruppen, wie beispielsweise besonders fortschrittliche Nutzer, für Datenschutzthemen sensitive, oder herausragend kreative Personen. Diese Vielfalt erlaubt uns, projekt- und zielgruppenspezifisch genau die Testpersonen für unterschiedliche Face-to-Face-Studien zu rekrutieren, die wir im jeweiligen Projekt benötigen. Auf der anderen Seite können wir mit Hilfe von Online-Fragebögen beispielsweise die Akzeptanz neuer Konzepte abschätzen und Anforderungen für deren Umsetzung ableiten. Durch die intensive und passgenaue Beteiligung unterschiedlicher Nutzers sollen neue Marktpotentiale entdeckt und das Risiko für Fehlinvestitionen reduziert werden.
marktforschung.de: Was ist die marktforscherische "Innovation", mit der Sie die Jury der GOR überzeugen konnten?
M.W., H.B., J.S., F.S.: Der Jury hat insbesondere die Mischung aus Online- und Offline-Forschung gefallen. Die T-Labs als zentrale Forschungs- und Entwicklungsabteilung der Deutschen Telekom mit Sitz in Berlin hat unterschiedlichste nutzerbezogene Fragestellungen. Dies verlangt nach einem flexiblen Werkzeug, das den Einsatz unterschiedlichster Online- als auch Offline-Methoden ermöglicht. Das Innovationsforum erlaubt uns, diese Methodenvielfalt anzubieten, verschiedene Formate zu kombinieren und somit letztendlich auch Daten zu triangulieren. So können wir beispielsweise zum einen vor Ort in Co-Creation-Sessions gemeinsam mit Nutzern Konzepte entwickeln, die wir anschließend in einer quantitativen Online-Studie auf Akzeptanz evaluieren. Oder wir können in Online-Studien identifizierte Themen, wie beispielsweise Adoptionsbarrieren, in einem Workshop qualitativ beleuchten.
Der andere Aspekt, der positiv aufgenommen wurde, ist der integrative Ansatz, Nutzer über alle Phasen des Innovationsprozesses hinweg einzubinden. Auf diese Weise wird der Nutzerorientierung in einer sehr technischen Einheit wie den T-Labs ein relativ großer Stellenwert eingeräumt.
marktforschung.de: Stichprobengröße bzw. Teilnehmerzahl, Internationalität – im Zeitalter des World Wide Web kommt einem der "lokale" Aspekt Ihres Panels zunächst sehr ungewöhnlich vor. Was waren die Gründe dafür, das Panel ausschließlich mit Berlinern aufzubauen?
M.W., H.B., J.S., F.S.: Ein Großteil der Studien, die wir durchführen, sind regelmäßig Live-Formate, für die wir unkompliziert und schnell projektspezifisch Testpersonen benötigen, was uns im Wesentlichen dazu veranlasste, ein lokales Panel zu gründen. Unser Ziel war es, insbesondere Personen mit Early-Adopter-Eigenschaften im Innovationsforum zu führen, da wir davon ausgehen, dass diese besser in der Lage sind, potentielle Innovationen zu beurteilen, als ein "durchschnittlicher" Nutzer. Berlin bietet mit seiner ausgeprägten Forschungslandschaft und seiner starken Kreativbranche hierfür eine ideale Basis.
Ein wichtiger Aspekt ist außerdem die Face-to-Face Interaktion im Rahmen von Studien. Diese erlaubt uns, die Teilnehmer des Innovationsforums besser kennen zu lernen, als es über die Online-Stammdatenerhebung im Rahmen der Anmeldung möglich ist. Ein Beispiel: Ein Student wurde - basierend auf seinen online erhobenen Daten - als Smartphone-Nutzer in einen Workshop mit dem Thema "Updates auf Mobiltelefonen" eingeladen. Im Workshop zeigte er sich außerordentlich engagiert, interessiert an einer Vielfalt technologischer Themen und zudem sehr kommunikativ und aufgeschlossen. Dies qualifizierte ihn als Top-Kandidaten sowohl für eine ethnographische Studie zum Thema "Voice Innovation" als auch für einen Kreativ-Workshop zum Thema "Personal Communication".
Die Nähe zu den Nutzern, die Einladungen in unsere Labore zum Austausch mit unseren Forschern und Entwicklern erlaubt, führt letztendlich auch zu einem hohen Involvement, was sich nicht zuletzt in sehr guten Teilnahmequoten bei Online-Studien zeigt.
marktforschung.de: Ihre Abteilung bei der Telekom heißt "Telekom Innovation Laboratories" – wie groß ist der Anteil "Innovation" an Ihrer täglichen Arbeit und wie viel macht "Research" aus?
M.W., H.B., J.S., F.S.: Grundsätzlich steht bei uns die Forschung im Dienste der Innovation, das heißt, die Erkundung des Unbekannten soll letztlich zu neuen Lösungen für Kunden und zu neuem Geschäft für den Konzern führen. Das geschieht dann auf unterschiedlichen Wegen. In jüngster Zeit sind vor allem neue "Ventures" bedeutsam geworden, also die Möglichkeit, eigenständige Unternehmen oder Geschäftseinheiten aus den Laboratories heraus zu gründen. Damit können wir zukunftsweisende Ideen und neue Technologien mit einem eigenen Geschäftsmodell an den Markt bringen.
Andere Forschungsergebnisse münden in Vor-Produkten oder Weiterentwicklungen für Konzerneinheiten, die sich etwa mit mobilen Kommunikationsdiensten, der Weiterentwicklung des Produkts "Entertain", oder der kosten- und energieeffizienten Erneuerung der Kommunikationsinfrastruktur beschäftigen. Auch Standardisierung spielt hier eine Rolle. Bei allen diesen Themen muss Forschung einen Freiraum bewahren, der auch den eigenen Zielsystemen der Wissenschaft und der Forscher Rechnung trägt. Nur so bleiben wir international wettbewerbsfähig und unabhängig und behalten die Möglichkeit, auch eigenständig neue Themen vorschlagen und entwickeln zu können. All das wird durch eine "Public-Private-Partnership" mit der technischen Universität Berlin und den dort beheimateten sechs Lehrstühlen gewährleistet. An ihnen arbeiten so renommierte Wissenschaftler wie die Leibniz-Preisträgerin Professor Anja Feldmann.
Auch wir als "Kundenversteher" arbeiten in diesem Spannungsfeld mit Doktoranden, die eigenständige Forschungsthemen bearbeiten und dazu publizieren, vor allem aber wie alle anderen auch ihre Expertise nach Bedarf in die Vorhaben einbringen, die für unsere zukünftigen Kunden und letztlich die Gesellschaft langfristig einen Unterschied machen.
marktforschung.de: Was glauben Sie, wie sich die Rolle der Marktforschungsabteilungen in den Unternehmen in nächster Zeit entwickelt?
M.W., H.B., J.S., F.S.: Für den Innovations-Bereich gehen wir davon aus, dass die Marktforschung eine immer stärkere Rolle einnimmt. Aufgrund des steigenden Wettbewerbs und immer kürzerer Produkt-Lebenszyklen steigt der Innovationsdruck auf die Unternehmen zunehmend. Gleichzeitig ermöglichen immer neue Geschäftsmodelle weitere Möglichkeiten. In diesem dynamischen Kontext spielt das schnelle Erkennen und richtige Deuten von Kundenbedürfnissen eine tragende Rolle. Die besondere Herausforderung für Unternehmen sehen wir darin, die richtige Mischung von Push und Pull im Sinne von Technologie und Bedürfnis getriebener Innovationen zu finden. Gibt es für jede spannende neue Technologie tragfähige Anwendungsszenarien, und wie können identifizierte Bedürfnisse mit den Kapazitäten eines Unternehmens angesprochen werden?
Gerade im Telekommunikations- und IT-Bereich mit der ständigen Zunahme neuer Apps und webgestützter Dienste lässt sich aus unserer Sicht zudem eine rein quantitative Steigerung der betrieblichen Marktforschungsaktivitäten beobachten. Unterschiedliche Ideen zu neuen Anwendungen müssen priorisiert, ausdefiniert und immer neu entstandene Nutzungsoberflächen evaluiert werden. Letztendlich fordert die Umstellung auf agile Entwicklungsmethoden wie beispielsweise "Scrum" ein methodisches Umdenken von der betrieblichen Marktforschung. Bewährte Methoden müssen agilen Entwicklungsprozessen angepasst werden.
marktforschung.de: Wo sehen Sie die derzeit wichtigsten Trends in der Marktforschung?
M.W., H.B., J.S., F.S.: Einerseits entwickelt sich unseres Erachtens die Forschung vom "Markt" stärker zum einzelnen Kunden und damit auch von späteren Phasen der Bewertung neuer Produkte und Dienste hin zum Anfang von Innovationsprojekten. Andererseits nutzen alle immer mehr die Technologien, an deren Entwicklung auch wir in den Innovation Laboratories teilnehmen. Damit teilen Kunden heutzutage ihre Bedürfnisse und Einstellungen, aber auch positive und negative Erfahrungen mit Produkten oder Dienstleistungen über verschiedenste Kanäle mit. Gleichzeitig liegen in Unternehmen im Zuge der Digitalisierung immer mehr kundenbezogene Daten vor. Unternehmen jeder Größe stehen daher heute vor der Herausforderung, dem Kunden zuzuhören, sein Wissen und seinen Erfahrungsschatz als Produktnutzer in die Entwicklung neuer Produkte einzubringen, aber auch bereits vorhandene Kundendaten zu nutzen, um bessere Marketingentscheidungen zu treffen. Die großen Trends in der Marktforschung sind daher Customer Communities, Text Analytics sowie Data Mining und Data Synthesis.
marktforschung.de: Die Auszeichnung auf der GOR haben Sie gemeinsam mit FactWorks erhalten. Wie groß ist die Bedeutung externer Marktforschungs-Dienstleister für Ihre tägliche Arbeit?
M.W., H.B., J.S., F.S.: Entsprechend dem offenen Innovationsansatz der Telekom Innovation Laboratories machen wir gezielt Erfahrungen mit unterschiedlichen Formen der Innovationspartnerschaft. Wir erarbeiten viel intern, gerade im Bereich Workshops, Usability-Studien und Feldtests. Nichts desto trotz sind für uns externe Marktforschungsdienstleister sehr wichtig. Zum einen sind wir ein eher kleines Team innerhalb der T-Labs und können mit internen Ressourcen nicht alle Anfragen beantworten. Hier müssen wir auf externe Hilfe zurückgreifen.
Zum anderen sind Anfragen, die wir erhalten, oft sehr unterschiedlich, und es ist häufig nötig, neue Methoden zu entwickeln und auszuprobieren. Hierbei hilft uns die regelmäßige Zusammenarbeit mit externen Marktforschungsdienstleistern für den methodischen und fachlichen Austausch. Schließlich ist eine hohe Methodenkompetenz wichtig für die interne Akzeptanz unserer Arbeit.
marktforschung.de: Was zeichnet ein Marktforschungsunternehmen aus Ihrer Sicht heutzutage aus?
M.W., H.B., J.S., F.S.: Für uns sind neben dem methodischen Know-How Flexibilität, starke Projektmanagement-Skills und kreative Lösungsfindung wichtig. Gerade in dynamischen Entwicklungsprojekten, bei denen sich kurzfristig Prioritäten ändern oder sich die Fertigstellung eines Prototypen mal verzögern kann, ist es wichtig, schnell umdisponieren und pragmatisch handeln zu können.
marktforschung.de: Gerade vor dem Hintergrund der sich rasant verändernden Medienlandschaft und damit einhergehend der Kommunikations- und Rezeptionsgewohnheiten von Menschen besetzen immer mehr "Fremdanbieter" – also nicht originäre Marktforschungsunternehmen - klassische Research-Themen. Besteht die Gefahr, dass die Marktforschungsbranche hier den Anschluss verliert? Und was wäre nötig, um dies zu verhindern?
M.W., H.B., J.S., F.S.: Wir gehen davon aus, dass Impulse aus verschiedenen Disziplinen prinzipiell positiv zu bewerten sind. Neuere Strömungen in der Marktforschung wie Ethnologie, Design Thinking oder genannte Open Innovation Ansätze erlauben neue Methoden und damit auch potentiell neue Erkenntnisse. Wie jede andere Branche muss sich auch die Marktforschungsbranche dem gesellschaftlichen Wandel und den damit sich verändernden Marktbedingungen und -anforderungen stellen. Für die Marktforschung ist es daher wichtig, nicht nur gegenüber neuen Technologien offen zu sein, sondern diese auch für sich nutzen. Gerade vor dem Hintergrund der rasanten Marktentwicklung ist es entscheidend, schnell und flexibel zu agieren. Aber man muss auch bedenken, dass nicht jeder Fremdanbieter substituierende Produkte oder Dienstleistungen anbietet, sondern diese teilweise auch als Ergänzung zum Marktforschungsportfolio gesehen werden können.
Letztendlich gewinnt das Thema "Innovation" immer mehr an Bedeutung. Gleichzeitig ist es schwer, latente oder gar zukünftige Bedürfnisse zu identifizieren oder innovative Konzepte in einem klassischen Fragebogen verlässlich bewerten zu lassen. Gerade der Innovationsbereich bietet aus unserer Sicht noch viele Anknüpfungspunkte und Raum, neue Methoden auszuprobieren und sich als Marktforschungsunternehmen zu positionieren.
marktforschung.de: Herr Wogatzky, Herr Dr. Breuer, Frau Dr. Sauermann, Frau Dr. Steinhoff - wir danken Ihnen für dieses Gespräch!
Weitere Informationen zum Innovationsforum sind auf der Internetseite www.innovationsforum.org abrufbar.
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