Automobilmarktforschung 2013: Von Up- und Downsizing

Thomas Rodenhausen (Harris Interactive)

Von Dr. Thomas Rodenhausen, Vorstandssprecher der Harris Interactive AG

Klein, schnell – virtuell?

Sozialer Austausch und neue Erfahrungen: Kaum ein Europäer würde diese Begriffe heute gedanklich mit dem Auto verbinden. Und doch, bedenkt man, wie schwierig es noch vor hundert Jahren war, das gewohnte Umfeld zu verlassen, Verwandte oder Freunde zu besuchen, die nicht im Nachbardorf lebten, so muss man dem Automobil einen großen Anteil an der individuellen Befreiung aus räumlicher und sozialer Enge zuschreiben. Aber das hat auch seinen Preis – Ressourcen- und Landschaftsverbrauch, Lärm- und Schadstoffemissionen - mit der Massenmotorisierung wurden die Kosten in Europa und den USA immer präsenter, während der Nutzen bald selbstverständlich wurde. Und Selbstverständliches wird nicht mehr als erstrebenswert wahrgenommen, denn nur im Verlust zeigt sich sein Wert wieder. In aufstrebenden Ländern wird der Nutzen des Autos demzufolge auch ganz anders bewertet und vielleicht hat deshalb das Auto seine größte Zukunft sogar noch vor sich. Die Automobilindustrie, zumal die deutsche, hat sich als äußerst wandlungsfähig und innovativ gezeigt, unterstützt von Marktforschern, die bei Neuproduktentwicklung, Kundensegmentierung, Markenpositionierung, Markteintrittsentscheidungen und der Kommunikation neuer Nutzenfacetten geholfen haben, die richtigen Weichen zu stellen und riskante Fehlentscheidungen zu vermeiden. Die aktuellen Herausforderungen sind vielfältig: 

  • Innovationen kosten nicht nur die Hersteller, sondern auch die Kunden viel Geld, während ihr wirtschaftlicher Nutzen häufig unsicher ist. Dies gilt besonders, wenn sich externe Bedingungen wie Treibstoffpreise, Steuern, Umweltschutzregularien oder die Wirtschaftskonjunktur rasch und stark ändern.
  • Eine stark segmentierte Nachfrage und die daraus folgende Modellvielfalt kostet, nicht nur in der Entwicklung und Herstellung, sondern auch im Service und der Ersatzteilbereitstellung.
  • Die Modellvielfalt führt auch dazu, dass ein Kaufinteressierter sein Traumauto in der gewünschten Ausstattung nur noch selten real beim Händler erleben kann.
  • Immer bessere Online-Car-Konfiguratoren machen die Modell- und Ausstattungsvielfalt zwar virtuell erlebbar, schaffen damit Involvement beim Neuwagenkauf und erhöhen die Markenbindung, wirken aber wiederum dem stationären Handel entgegen.
  • Internetvergleichsportale ermöglichen jederzeit, den Rabattspielraum beim Neuwagenkauf zu recherchieren und schaffen damit weiteren Margendruck.
  • Die zunehmende technische Komplexität des gesamten Antriebsstrangs, der Sicherheitssysteme und der Komfortausstattung erhöht zwar einerseits die Bindung an den authorisierten Service und damit das Autohaus vor Ort, andererseits wird diese durch den Gesetzgeber (Gruppenfreistellungsverordnung) auch wieder gelockert.
  • Die technische Entwicklung bei Komfort und Sicherheit hat dazu geführt, dass die Autos immer schwerer wurden. Eine Fortsetzung der erheblichen Verbrauchsfortschritte, die in den letzten Jahren durch Hersteller und Zulieferer erzielt wurden, kann damit nur unter Einsatz teuren Leichtbaus und immer aufwändiger werdender Antriebs- und Steuerungskomponenten erzielt werden.
  • Dies führt bei den Kunden nicht nur zu steigenden Anschaffungs- und Servicekosten, sondern auch zum wahrgenommenen Risiko, teure Komponenten austauschen zu müssen. Die Gegenbewegung zeigt sich in der Youngtimer-Bewegung und im Erfolg neuer No-Frills-Marken wie Dacia.

Zu all diesen Themen hat Harris Interactive aktuelle Studien durchgeführt. Aus der Fülle der gewonnenen Befunde kann hier nur wenig Ausgewähltes dargestellt werden. So wird in unserer aktuellen „Antriebskonzepte“-Studie deutlich, dass die Kunden auch dem Dieselantrieb noch große Chancen einräumen. Niedriger Verbrauch bedeutet hohe Reichweite – damit wird er zum Gegenspieler, als Zweitwagen vielleicht aber auch zur idealen Ergänzung des reinen Elektroantriebs. Schließlich steht seine geringe Reichweite einer Verwendung im universell zu nutzenden Familienwagen entgegen. Moderne, aufgeladene Dieselantriebe stehen in Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit dem Benzinmotor nicht mehr nach, trotzdem wird der Dieselmotor bei der Fahrfreude immer noch schwächer eingeschätzt. Wesentlicher Grund ist der Motorklang, der beim Diesel konzeptbedingt rauer und unharmonischer ist. Einzelne Hersteller haben das erkannt und beheben das mit speziellen Klanggeneratoren, die diesen Makel übertünchen. Der Preisnachteil des Dieselantriebs gegenüber dem Benzinmotor schwindet zusehends, da die meisten Hersteller mittlerweile auf kleinvolumige aufgeladene Benzinmotoren schon in der Basisvariante setzen. Diese minimieren zwar den CO2-Ausstoß, der zusätzliche Aufwand für Turbo- oder Kompressoraggregate und die entsprechenden Steuerungssysteme treibt jedoch die Preise – oder senkt die ohnehin schon niedrigen Margen bei Massenmodellen weiter.

Abseits von der kurzfristigen monetären Betrachtung dürfen die Image- und Reputationseffekte eines Engagements in alternative Antriebstechnologien nicht unterschätzt werden, denn die Kunden erwarten von einer Marke, die in ihr Relevant Set kommen will, hier besondere Anstrengungen. Beim Benzin-Vollhybrid führt Toyota nicht nur das wahrgenommene Angebot, sondern auch die zugeschriebene Entwicklungskompetenz mit Abstand an. Gut für die deutschen Premiumhersteller und VW ist, dass ihnen eine hohe Entwicklungskompetenz zugeschrieben wird, obwohl das Angebot noch überschaubar ist. Für Renault hingegen zahlen sich die erfolgreichen Bemühungen beim rein elektrischen Antrieb aus. Renaults wahrgenommenes Fahrzeugangebot führt den Wettbewerb an, bei der zugeschriebenen Entwicklungskompetenz hat der französische Hersteller zu Audi, BMW, der Daimler AG und Toyota aufgeschlossen. Für die Daimler AG hat sich der erhebliche Entwicklungsaufwand in die Brennstoffzellentechnologie noch nicht in vergleichbarem Maße ausgezahlt; zu still ist es um dieses Antriebskonzept geworden.

Der Twizy von Renault könnte für eine kluge Strategie stehen – nämlich die Vorteile des rein elektrischen Antriebs für einen kleinen, leichten und leicht zu parkenden Stadtwagen zu nutzen, mit dem man das ökologische Bewusstsein einer urbanen Avantgarde imagewirksam zur Schau stellen kann, ohne für die konzeptbedingten Nachteile einer geringen Reichweite und einer langen Ladezeit büßen zu müssen. Auch die Preissetzung für die Batteriemiete passt, denn die über 5.000 international Befragten fanden den Preispunkt von 50 € monatlicher Batteriemiete im Schnitt akzeptabel, wie wir in entsprechenden Conjointanalysen belegen können.

Eine gemietete Batterie mit einer Mobilitätsgarantie ist schließlich auch eine neue Serviceleistung. Zweifellos bieten sich hier erhebliche Potenziale für die Wertschöpfung, aber auch für die brüchiger werdende Bindung des Kunden zu seinem Autohaus. In unserer „Service-Innovationen“-Studie fanden wir jedoch, dass schon existierende Serviceneuheiten den Kunden mangels ausreichender kommunikativer Stützung gar nicht bekannt sind. Das Autohaus wird zwar für das sinnliche Erleben eines neuen Wagens in der Ausstellung und bei der Probefahrt genutzt, eine moralische Verpflichtung, den Aufwand durch einen Kauf bei diesem Händler zu honorieren, empfinden drei Viertel der von uns befragten Neuwagenkäufer jedoch nicht – gekauft wird anschließend da, wo der Preis stimmt. Vor diesem Hintergrund können wir Herstellern und Händlern nur raten, neue (Direkt-)Vertriebsmodelle zu entwickeln und zu testen, um Kunden nicht an markenungebundene Neuwagenvermittler zu verlieren.

 

Weitere Informationen zum Unternehmen auf marktforschung.de:

EXKLUSIV

Harris Interactive AG

Hamburg

Harris Interactive AG

1500 gruppenweit

Harris Interactive ist ein Full-Service-Marktforschungsinstitut, das komplexe Entscheidungsprozesse durch zielgerichtete Beratung…

Diskutieren Sie mit!     

Noch keine Kommentare zu diesem Artikel. Machen Sie gerne den Anfang!

Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.

Anmelden

Weitere Highlights auf marktforschung.de