Interview zum WdM Web-Seminar von GIM Automobilindustrie: Ingenieurskunst allein wird nicht mehr ausreichen

"UX in digitalen Welten: Die User der Zukunft verstehen!“ lautet der Titel Ihres WdM Web-Seminars am 05.10. Wie sieht die UX-Zukunft denn für Sie aus?
Johanna Ullsperger: Die UX-Zukunft wird sehr spannend, aber leider oft noch vernachlässigt, wenn es um bedarfsorientierte Produkt- und Serviceentwicklung geht. Einerseits besteht beispielsweise der Bedarf, Benutzungsroutinen nicht für jedes Produkt/jeden Service neu zu erlernen, andererseits besteht die Erwartung an eine spezifische Experience, die sich unterscheidet und perfekt auf das Produkt, den Service, die Absendermarke abgestimmt ist. Durch die vermehrte Digitalisierung all unserer Lebenswelten wird mehr Erfahrung gesammelt, welche zu höheren und teilweise anderen Erwartungen führt. Hier wird es besonders spannend, wie dies zukünftig in der Entwicklung vereint werden kann bzw. ob dies ausreichend berücksichtigt wird. Oft besteht hier noch die Haltung: Ich bin selbst ein Nutzer und weiß daher, was andere Nutzer brauchen oder wollen.
Davon sollte man Abstand nehmen, da die User-Experience zukünftig noch stärker in die Kauf- bzw. Nutzungsentscheidung einfließen wird.
Alle kennen die Einstellungen und Werte der Vergangenheit und Gegenwart. Aber: was ist den Menschen in Zukunft wichtig?
Dr. Hannes Fernow: In der aktuellen Phase der Transformation sind individuelle Grundwerte stabiler als viele meinen, es kommen nicht plötzlich neue Werte hinzu. Aber die Bedeutung einzelner Werte ist im Wandel begriffen, z.B. was Erfolg und Prestige ausmacht: Materielle Abrüstung und der Beweis, dass man ressourceneffizient mit der Umwelt umgeht, werden wichtiger. Die Werte und Einstellungen der Konsumenten und Konsumentinnen müssen also neu betrachtet werden, um schon jetzt Unternehmensstrategie und Markenführung zu justieren und so den Erfolg der Zukunft zu sichern.
Warum ist das Thema User Experience (UX) gerade für Automobilkonzerne heutzutage von so großer Relevanz?
Dr. Hannes Fernow: Die Automobilindustrie – wie viele andere Branchen auch – steht vor der großen Herausforderung, dass eine ihrer Kernkompetenzen der Vergangenheit zukünftig nicht mehr als Alleinstellungsmerkmal ausreichen werden. Bei Automobilkonzernen ist hier beispielsweise die Ingenieurskunst zu nennen. Durch den notwendigen Wandel der Mobilität und alternative Antriebsformen wird das Aushängeschild Ingenieurskunst nicht mehr alleine dazu ausreichen, sich dauerhaft gegen neuere, software-orientierte Player auf dem Markt durchsetzen zu können.
Auch die Erwartungshaltung, dass das Fahrzeug Teil der eigenen digitalen DNA, der eigenen digitalen Lebensform der Nutzenden wird, wird immer relevanter.
Auch ist völlig klar, dass digitale Produkte/Services/Integrationen zukünftig die höchste Marge generieren. Um dieses lukrative Feld nicht nur den Technikanbietern zu überlassen, ist das Thema (digitale) User Experience von so großer Relevanz.
Was begeistert Sie an der Thematik?
Johanna Ullsperger: Das sind mehrere Punkte: Ich bin davon überzeugt, dass eine gelungene User-Experience das A und O für ein erfolgreiches Produkt, einen erfolgreichen Service ist. Hier zu beobachten, wie sich der Markt aber auch die Nutzenden entwickeln ist wohl das, was mich am meisten fasziniert. Man könnte sagen, dass diese Entwicklung auch in anderen Bereichen begeistert. Allerdings findet bei der User-Experience die erlebbarste Auseinandersetzung statt und auch das aus meiner Sicht größte Frustrationspotential.
Man hört immer wieder, die Anforderungen der Kunden würden immer widersprüchlicher, inwiefern?
Johanna Ullsperger: Beispielsweise besteht die Erwartung, gewohnte Bedienlogik anwenden zu können, dennoch darf nicht alles gleich sein – ob im Fahrzeug, im Smart-Home Kontext oder beim (Online-)Shopping. Weiterhin ist User nicht User, das zeigt sich insbesondere im digitalen Kontext. Es muss zukünftig gelingen, Useranforderungen von technisch sehr affinen Usergruppen genauso zu bedienen wie die derer, die einen minimalen Grad an Digitalität nutzen wollen und können.
Welche fünf Features dürfen Ihrer Erfahrung nach hinsichtlich der Automotive UX nicht fehlen?
Johanna Ullsperger: Ich glaube, wenn es so einfach auf fünf Features runtergebrochen werden kann, hat man die ultimative Lösung gefunden, die es leider nicht geben wird. Was sich aber aus meiner Sicht sagen lässt, ist, dass ein gelungenes Plattformmanagement und eine Balance in der Integration von Drittanbietern im digitalen Bereich viele unterschiedliche Bedürfnisse der Nutzenden abholen kann. Nichtsdestotrotz muss gleichzeitig ein fahrzeugspezifisches Erleben beibehalten werden, eine Experience, die nur das Fahrzeug abdecken kann
Autonomes Fahren, elektrifizierte Antriebe, Sharing Economics und damit auch neue Nutzergruppen mit spezifischeren Erwartungen – wie wird man Herr dieser Lage?
Dr. Hannes Fernow: Es wird noch herausfordernder werden, hier Herr oder Frau der Lage zu sein, damit man nicht an Lösungen arbeitet, für die es gar keine Probleme gibt bzw. echte Needs und Pain Points unbeantwortet lässt. Um dies zu meistern, muss man seine eigenen und potentiellen Kunden verstehen. Nur dieses Verständnis der unterschiedlichen Anforderungen und Bedürfniswelten kann dazu führen, den Mobilitätswandel erfolgreich zu bestreiten. Und diese Anforderungen sind nicht statisch. Es bedarf hier regelmäßiger User-Befragungen und das Denken in alternativen Zukunftsszenarien.
Frau Ullsperger, Sie sind seit 2018 bei GIM. Was hat sich seither in der UX-Automotive-Research getan? Inwiefern haben sich die Erwartungen der Nutzenden verändert?
Johanna Ullsperger: UX-Automotive Research wandelt sich immer stärker hin zu einer Digitalen UX-Research. Klassische User-Experience Dimensionen bleiben weiterhin relevant, z.B. Lenkgefühl, Sitzkomfort, Klang oder Geruch. Aber gerade im Hinblick auf vollelektrische Fahrzeuge oder gar autonomes Fahren muss die digitale Welt im Fahrzeug zukünftig noch erlebbarer gemacht werden, ohne dabei auf die bisher relevanten UX-Dimensionen gänzlich zu verzichten.
Wer darf Ihr Web-Seminar keinesfalls verpassen? An welche Zielgruppe richten Sie sich?
Johanna Ullsperger: Das Web-Seminar richtet sich an alle, denen bewusst ist, dass eine gute User-Experience für Ihre Nutzenden von hoher Relevanz ist und zukünftig immer relevanter werden wird.
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