Interview zu H/T/P-Studie "Unter der Leichtigkeit des Alltags sitzt ein neuer Ernst"

Wie wirkt sich die Pandemie auf die Beziehung zwischen Mensch und Marke aus? H/T/P hat dazu geforscht. Über die Ergebnisse haben wir mit Edward Appleton gesprochen.

Edward Appleton, Director Global Marketing & Sales bei Happy Thinking People

Edward Appleton, Director Global Marketing & Sales bei H/T/P

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sie haben untersucht, ob und inwiefern sich die Pandemie auf die Beziehung zwischen Menschen und Marken auswirkt. Gibt es ein "New Normal" in der Marke-Mensch-Beziehung? Also verändert Covid-19 grundlegend die Art und Weise wie wir Beziehung zu Marken denken und leben oder geht es primär um veränderte Reaktionen auf Markenkommunikation? Muss ich also als Marke "Beziehung" gänzlich neu denken oder muss ich "nur" darauf achten, dass bspw. Darstellungen menschlicher Nähe derzeit nicht mehr als etwas Positives wahrgenommen werden?

Edward Appleton: Wir haben es mit einer grundlegend anderen Sensibilität zu tun, auch wenn alles an der Oberfläche "back to normal" erscheinen mag. Das betrifft sicherlich das Verhältnis zu Marken auf vielen Ebenen, und ja, vor allem in der Kommunikation.

Unsere Studie befasste sich mit einem imaginären Zustand nach dem Lockdown, wo alles wieder bestens ist - wie wir später detaillierter erklären werden. Teilnehmer haben uns über den Weg zurück zur Normalität berichtet - die Höhen und Tiefen, samt Hürden und Helfer.

Bemerkenswert dabei war das Fehlen von Beispielen von Marken oder Firmen, Händler wie Hersteller, die durch Positives hervorgetreten sind. Nichts wurde erwähnt.

Vielmehr beobachteten wir eine weit verbreitete Skepsis und gar nicht seltene Kritik gegenüber der werblichen Markenwelt und deren Kommunikationsansätze.

Firmen, die eine werbliche Strategie des "business as usual" praktizierten, also einfach weiter mit vorher verabschiedeten Kampagnen machten, wurden der mangelnden Sensibilität beschuldigt; andere, die einen positiven Beitrag leisten wollten, sei es durch eine Spende oder Justierung von Produktionsprozessen, um in der Gesundheitswelt eine Rolle zu spielen, wurden kritisch beäugt, kapitalistischer Motive beschuldigt. Diejenigen, die einfach aufgehört haben zu kommunizieren, wurden logischerweise gar nicht erwähnt - wohl die allererste Phase des Vergessenwerdens.

Wie lange das andauern wird, steht offen. Viele Markenwerte müssen sehr wohl auf den Prüfstand kommen - ob die zugrunde liegenden Annahmen noch stimmen, ist zweifelhaft. In der Exekution gilt es sicherlich, besonders sensibel vorzugehen: Die richtige Tonalität zu finden ist entscheidend.

Dass beispielsweise aber eine unbekümmerte Partyszene mit vielen Umarmungen in der Werbung in den kommenden Monaten in Pre-Tests gut abschneidet, ist zu bezweifeln.

Das Thema Beziehung ist hochemotional, Emotionen zu verbalisieren höchstpersönlich, in diesem Umfeld zu forschen herausfordernd. Wie sind Sie da drangegangen? Wieso haben Sie Anleihen aus der Dramaturgie gewählt?

Edward Appleton: Uns war es klar, wie schwierig es wäre, für viele Menschen in einem noch nie gekannten Zustand der Isolation das auszudrücken, was sie selbst kaum mental sortiert haben. Zudem war die Dynamik der Corona-Monate sehr hoch, jede Woche war anders, je nach Verlauf der Neu-Infektionskurve.

Wir haben uns für eine Storytelling Methode entschieden, die uns erlaubt, relativ einfach unter die Haut zu gehen. In Video-Gesprächen haben uns Menschen in aller Welt erstmals ausführlich über ihre derzeitige Situation berichtet, dann haben wir sie aufgefordert, sich in ein imaginäres Post-Lockdown-Szenario hineinzuversetzen, sich vorzustellen, alles wäre wieder gut. Dann sollten sie uns erzählen, wie der Weg für sie dorthin war, die Höhen und Tiefen, die Hürden und Helfer.

So gelangen wir auf natürliche Art und Weise zu "Tiefe" - und zwar mit vielen kontextbezogenen Details. Das "wie - wo - wann" wird sehr plastisch erzählt, Emotionen sind auch in Video-Calls deutlich, Frust wie Freude. 

Damit arbeiten wir seit vielen Jahren bei H/T/P - gerne als Alternative zum bekannten Laddering und wiederholten "Warum"-Nachfragen, die zum Teil zu eher generischen Tiefeneinsichten führen können.

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Edward Appleton: Überraschend für uns war der Widerspruch zwischen einer erhofften besseren post-corona Welt - weniger Fliegen, Autos, Lärm, mehr bewusstes Einkaufen - und einer mangelnden Bereitschaft, sich persönlich dafür einzusetzen. 

"Man" sollte weniger fliegen, aber selber wolle man unbedingt noch in den Urlaub.

Diese Reaktionsart ist in der qualitativen Forschung sicherlich nicht neu, dem begegnen wir sogar sehr oft in Studien - selber etwas falsch machen ist ja schwer zuzugeben, um das ein wenig salopp auszudrücken.

Was weniger überrascht hat? Wohl der verstärkte Wunsch nach Lokalem in digitaler Form.

Wir haben seit einigen Jahren den Trend zu regionalen Produkten beobachtet, vor allem im Bereich Lebensmittel. Die Vorteile sind zwingend: man unterstützt die Nachbarschaft, optimiert den eigenen Öko-Footprint, hat wohl frischere Produkte, geht mehr mit den Rhythmen der Natur und der Jahreszeiten. Auch wenn sich noch nicht alles im Verhalten manifestiert - wegen mangelnder Verfügbarkeit oder zu hohen Preisen - ist diese Einstellung immer prägnanter.

Nach Covid-19 wünscht man das Alles, nur noch bequemer, maßgeschneideter, und ja digitaler, gerne per App - und am liebsten von einem lokalen Anbieter. Was dagegen global daherkommt, gilt verstärkt als fremd, intransparent, im schlimmsten Fall suspekt.

Die Implikationen, die Ihre Ergebnisse für die Markenführung haben, beinhalten auch die (eventuelle) Notwendigkeit zu einem überarbeiteten "Kommunikationslexikon" für Marken. Was muss jetzt unbedingt Einzug in meine Marken-Kommunikationsschemata halten?

Edward Appleton: Ohne zu pauschal zu werden: ich würde sagen das Wort "Empathie" ist ausschlaggebend. Ansätze, die auf Performance und Leistung zielen, wie der berühmte Nike Satz "Just Do It", laufen Gefahr, unsensibel zu wirken, tone deaf wie es so schön auf Englisch heißt. Das hat die Firma wohl selbst erkannt (zwar im anderen Zusammenhang), wie in dem kürzlich geposteten Kurzspot auf Youtube zu sehen: For Once, Just Don't Do it.

Bei vielen der Gespräche haben wir auch eine Rückbesinnung auf die wichtigen Dinge im Leben beobachtet: Familien, Freunde allen voran, ein verstärkter Fokus auf das Essentielle.

Wir haben beispielsweise in Projektarbeit für Duft und Körperpflege in den letzten Wochen festgestellt, dass Konzepte gut abschneiden, die weniger auf die soziale Wirkung abzielen, sondern vielmehr eine Self-Appreciation ausdrücken, also eine Art Fokus auf Innerlichkeit.

Das heißt natürlich nicht, dass Fröhlichkeit und Frohsinn out sind - aber die Freude muss wohl eine andere sein, nicht mehr so ganz robust und unbekümmert.

Wer es genau für seine Marke wissen will, muss natürlich Marktforschung betreiben, mit Menschen sprechen.

Haben Sie eine Prognose, wie lange die Coronavirus-Situation das Marketing begleiten wird?

Edward Appleton: Prognosen sind nicht unser Metier.

Allerdings glauben wir, dass der Einschnitt der letzten Monate in unser aller Leben nicht ohne Spuren bleiben wird, auch wenn dies Änderung nicht immer und sofort sichtbar ist.

Sicherlich wollen wir unseren Strandurlaub im Sommer genießen, unbekümmert feiern....gleichzeitig hat die Coronavirus unser Sinn fürs Existentielle gestärkt, für Dinge die wichtiger sind als der Alltagstrott. Die Sensibilität für Bewegungen wie #fridaysforfuture oder Black Lives Matter ist wohl erhöht.

Unter der Leichtigkeit des Alltags sitzt ein neuer Ernst - eine interessante Balance, die wohl in der künftigen Markenkommunikation in der einen oder anderen Form zu finden sein wird.

 

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