Interview mit der österreichischen Familienministerin Sophie Karmasin Aus der Marktforschung auf den Ministersessel

Sophie Karmasin, österreichische Familien- und Jugendministerin, war vor ihrem Wechsel in die Politik lange in der Meinungsforschung tätig. (Bild: ©ChristianJungwirth.com)
marktforschung.de: Frau Ministerin, der Weg aus der Leitung eines Meinungsforschungsinstituts auf den Ministersessel kann sicherlich als ungewöhnlich bezeichnet werden. Wie kam es in Ihrem Falle dazu?
Sophie Karmasin: Ich war viele Jahre in der politischen Meinungsforschung tätig und habe sehr oft bei Projekten für Auftraggeber aus dem öffentlichen/politischen Bereich erstmals den qualitativen Methodenzugang bei Projekten einbringen können. Daher kommt auch jetzt in meiner Funktion als Bundesministerin der Zugang zu "evidence based policy". Natürlich hatte ich auch Beratungsaufträge für politische Verantwortungsträger und politiknahe Institutionen. Zudem war ich als politische Kommentatorin für den Österreichischen Rundfunk tätig. Wenn man es so sagen will, war ich also schon in meiner früheren Funktion sehr nah dran an den politischen Entscheidungsprozessen in Österreich.
"Evidence based policy"- Ansatz als Klammer zur empirischen Sozialforschung
marktforschung.de: Was hat Sie bewogen, diesen Schritt zu gehen? Und: war viel Überzeugungsarbeit nötig?
Sophie Karmasin: Nein, denn es ist eine großartige Chance etwas für mein Heimatland verändern und gestalten zu können. Ich will vom "besser wissen" zum "besser machen" kommen und meine Erfahrungen über die Bedürfnisse von Familien und Wählerinnen und Wählern in die Politik einbringen, die ich in unzähligen Fokusgruppen und Studien sammeln konnte. Als Klammer zur empirischen Sozialforschung ist es eben der "evidence based policy"-Ansatz den ich in die Arbeit der Bundesregierung einbringe und der auf sehr positive Resonanz stößt.
marktforschung.de: Wie wirkt sich Ihr Hintergrund als Unternehmensleiterin und Marktforscherin auf Ihre politische Arbeit aus?
Sophie Karmasin: Jedes Projekt oder Gesetz meines Ressorts wird umfangreich mit Studien unterlegt. Wir beziehen die Erkenntnisse der Verhaltenswissenschaften in unseren Meinungsbildungsprozess ein. Man muss nicht alles per Gesetz regulieren. Allein das ist für viele Politiker und Bürokraten eine neue Erkenntnis. Oft erreicht man das gewünschte Ziel – wie eine Verhaltensänderung der Bürgerinnen und Bürger - besser mit Anreizen oder besseren Kommunikationsmethoden. Ich denke etwa an die Gestaltung von Briefen die wir an Wiedereinsteigerinnen nach der Karenz schicken. Hier kommt es ganz wesentlich auf die Formulierungen und die Gestaltung an, wie man das Verhalten – in diesem Fall den früheren und gelungenen Wiedereinstieg in den Job – aktiv steuern kann. Mir geht es in meiner täglichen Arbeit als Regierungsmitglied auch um pragmatische, sparsame und praxisrelevante Entscheidungen, wie ich es aus der Privatwirtschaft kenne.
"Richtig gesetzte Motivationsanreize wirken in bestimmten Bereichen besser als Gesetze."
marktforschung.de: Auf der Internetseite Ihres Ministeriums heißt es: "Grundlage für den neuen Politikansatz der Familienministerin sind wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomie und Psychologie." Was muss man sich genau darunter vorstellen? Was kann die Politik von den Verhaltenswissenschaften lernen?
Sophie Karmasin: Die Verhaltensökonomie liefert wichtige Impulse um politische Ideen nachhaltig und effizient umzusetzen und Entscheidungen zu verbessern sowie politische Maßnahmen zu überprüfen. Effiziente Politik braucht die Erkenntnisse der Verhaltenswissenschaften, um nahe an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger zu sein. Im Zentrum steht dabei das Motivieren, nicht das Regulieren, denn richtig gesetzte Motivationsanreize wirken in bestimmten Bereichen besser als Gesetze. Jedenfalls müssen verhaltenswissenschaftliche Erkenntnisse und Evaluierungsverfahren neben gesetzlichen Bestimmungen Teil des politischen Handelns auf allen Ebenen werden.
marktforschung.de: Ihnen wurde die Markt- und Meinungsforschung ja sprichwörtlich in die Wiege gelegt. War die Tätigkeit Ihrer Eltern in Ihrer Kindheit ein Thema? Wann haben Sie angefangen, sich dafür zu interessieren?
Sophie Karmasin: Als Kind bekommt man eher die unternehmerische Ader und Herangehensweise mit. Später habe ich mich dann auch aus persönlichem Interesse heraus stark mit den Themenfeldern Werbung, Marken und Politik beschäftigt. Bei uns zu Hause sind immer alle zusammengelaufen als Werbung im Fernsehen kam und nicht, wie in anderen Familien, alle aufgestanden. Meine Eltern haben uns sehr früh in Fragen der Marktforschung einbezogen. Ich habe schon mit zwölf Jahren diverse Praktika in Familienunternehmen freiwillig gemacht. Nach dem Studium wollte ich bewusst nicht gleich in die Marktforschung gehen, sondern zuerst andere Bereiche kennenlernen. Deswegen habe ich mich für die Marketingabteilung des Henkel-Konzerns in Wien und Brüssel entschieden. Später habe ich mich dann aber wiederum sehr bewusst fürs Familienunternehmen entschieden und die Entscheidung nicht bereut.
"Institute dürfen sich nicht im Spiel der politischen Mächte und Medien instrumentalisieren lassen."
marktforschung.de: Erhebungen zur Popularität von Politikern und vor allem auch Wahlprognosen bergen ja immer einen gewissen Sprengstoff. Sie kennen beide Seiten – wie gehen Sie als Politikerin mit Umfragewerten um?
Sophie Karmasin: Ich sehe mir die Umfragen sehr genau an und analysiere sie. Dabei achte ich bei der Aussagekraft sehr genau auf Methodik, Untersuchungszeitraum, Stichprobe und Fragestellung sowie das Fragebogendesign. Aus der enttäuschenden Erfahrung der letzten Wahlprognosen zur Wien-Wahl schlussfolgere ich, dass die politische Forschung stärker mit indirekten und projektiven Verfahren arbeiten muss bzw. Institute sich nicht im Spiel der politischen Mächte und Medien instrumentalisieren lassen dürfen.
marktforschung.de: Frau Ministerin, herzlichen Dank für das Interview!
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