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Ansgar Hölscher: "Marktforschungsinstitute müssen globaler werden sowie globale Standards und überall verlässliche Methoden anbieten."
Hamburg / Köln - Ansgar Hölscher, Corporate Director für Consumer & Market Intelligence bei Beiersdorf und Jurymitglied für den Preis der deutschen Marktforscher, stand marktforschung.de im Rahmen des diesjährigen BVM-Kongress in Hamburg zum Videointerview zur Verfügung. Die Fragen für marktforschung.de stellte Sabrina Verenice Gollers.
Auszüge (in 2 Teilen) aus diesem Interview finden Sie auch als Videopodcast in unserer Rubrik "Video".
Sabrina Gollers für marktforschung.de: Herr Hölscher, was erwarten Sie vom diesjährigen BVM-Kongress?
Ansgar Hölscher: Neben dem guten Wetter vor allen Dingen viele Leute zu treffen, Netzwerke aufzubauen und neue Informationen zu bekommen, um bessere Marktforschung zu machen.
SG: Eines der Kernthemen des Kongresses ist ja die Attention Society. Wie kann man denn Ihre Aufmerksamkeit gewinnen?
AH: Meine Aufmerksamkeit kann man erreichen durch Neuigkeiten, durch wirkliche Neuigkeiten und nicht durch Dinge, wo alter Wein in neuen Schläuchen kommt. Wenn Dinge ganz neu sind, wenn sie innovativ sind, dann werde ich hellhörig.
SG: Was wäre Ihr Traummarktforschungsprojekt?
AH: Ich würde gerne die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland segmentieren, in Gruppen einteilen und deren Konsumentenverhalten und deren Kaufverhalten analysieren.
SG: Wie sind Sie denn zur Marktforschung gekommen?
AH: Ja, das ist eine etwas ungewöhnliche Geschichte. Ich habe BWL studiert und im Studium seltsamerweise eine besondere Neigung zur Statistik entwickelt. Ich war damals politisch interessiert und habe dann ein Praktikum gemacht, wo ich beides miteinander vereinen wollte und habe politische Meinungsforschung gemacht. Was dann geblieben ist, ist das Interesse an den Methoden, was nicht geblieben ist, ist das Interesse and der Politik, so dass ich dann aber in der Marktforschung geblieben bin.
SG: Können Sie gut zwischen Job und Freizeit trennen, oder machen Sie auch gerne mal in Ihrer privaten Umgebung eine Umfrage?
AH: Ich identifiziere mich sehr stark mit meinem Job und mein Job ist zum Großteil auch Freizeit, aber was ich definitiv in der Freizeit mache, ist Leute zu beobachten, wie sie kaufen, wie sie konsumieren und wie sie mit Marken umgehen. Das kann man nicht ganz voneinander trennen.
SG: Was reizt Sie an der Marktforschung besonders?
AH: Das bessere Verständnis von Konsumenten, wie sie mit Marken umgehen, wie sie auf Marketingmaßnahmen reagieren. Das Ganze kann man vielleicht auch ein bisschen zusammenfassen als Interesse an der Psychologie und an den menschlichen Verhaltensweisen.
SG: Was war der schönste Marktforschungsmoment Ihres Lebens?
AH: Da gibt es keinen spezifischen Moment, aber was es definitiv gibt, sind Momente – in der Mehrzahl – nämlich immer dann, wenn man Richtungsentscheidungen getroffen hat, wenn man ein Unternehmen in eine ganz andere Richtung gelenkt hat, entweder weil man vorgefertigte Meinungen in Frage gestellt hat und das Unternehmen dann anders entschieden hat, oder wenn man sieht, dass ganze Produktlinien entstehen, die auf Konsumentenbedürfnissen und auf Konsumentenwünschen basieren. Und wenn man dann als Marktforscher dazu beigetragen hat, dass man in den Regalen das wiedersieht, was man selber mal erforscht hat und seinen Beitrag geleistet hat, das sind schöne Momente.
SG: Gab es denn auch ein paar nicht so schöne Marktforschungsmomente?
AH: Ja, unschöne Marktforschungsmomente gibt es häufiger. Dann wenn die Datenqualität nicht stimmt, dann wenn die Entscheidungen nicht umgesetzt werden, wenn nicht auf der Basis von Fakten, sondern auf der Basis von reinem Bauchgefühl oder sogar gegen die Fakten entschieden wird. Das sind die Momente, die ich nicht so gerne mag.
SG: Was macht Ihrer Meinung nach einen guten Marktforscher aus?
AH: Ein guter Marktforscher muss neugierig sein, und er muss vor allem auch multi-talentiert sein. Warum neugierig? Ein guter Marktforscher ist der, der mit offenen Augen durch die Gegend geht, der Leute beobachtet, der Spaß daran hat zu sehen, was es an Trends gibt, was es an neuen Möglichkeiten gibt und wie er das für sich und das Produkt, was er beforscht oder erforscht, umsetzen kann. Multi-talentiert, weil er mehrere Funktionen im Unternehmen bedienen muss. Häufig wird Marktforschung ja missverstanden als Servicefunktion für das Marketing. Das ist aber falsch. Damit tut man der Marktforschung Unrecht. Marktforschung sollte viel stärker in die Unternehmensstrategie, in die Produktentwicklung eingebunden werden oder auch in den Vertrieb. Der Marktforscher muss all diese Funktionen verstehen können – deswegen multi-talentiert, interessiert und neugierig.
SG: Wie würden Sie die aktuelle Situation der Marktforschungsbranche beschreiben?
AH: Wir sind im Moment in einer Umbruchphase. Es gibt, wie wir alle wissen, jede Menge Unternehmenskonzentrationen, neue Medien finden immer stärker Eingang in die Datensammlung, Kooperationen finden statt. Da passiert im Moment eine ganze Menge. Ich würde das aber nicht als ungewöhnlich bezeichnen, weil die Marktforschung dem folgt, was andere Unternehmen schon vorgemacht haben. Unternehmen werden globaler, Marken werden globaler, also müssen auch die Marktforschungsinstitute globaler werden, globale Standards anbieten und überall verlässliche Methoden anbieten. Das ist das eine, was wir sehen, und das andere sind ganz besonders deutlich die neuen Medien und wie wir sie in Zukunft nutzen können. Da spreche ich nicht nur über das Internet, sondern über Themen wie das Telefon, SMS, PDAs, Blackberrys. In dieser mobilen Welt müssen wir diese neuen Medien einfach verstehen - für Marketingmaßnahmen, aber auch für die Datenerhebung. Da passiert eine ganze Menge.
SG: Glauben Sie, dass durch die mobile Marktforschung neue Berufsfelder erschaffen werden?
AH: Ja, das glaube ich sehr wohl, weil so viel Bewegung und Innovation in diesem Bereich ist, wo sich auch Marktforschungsinstitute vorsehen müssen, dass ihnen nicht die Butter vom Brot genommen wird, weil neue Player aus den neuen Medien in den Markt kommen, oder auch, weil vieles eigenrealisiert wird über Loyalitätsprogramme, Kundenkarten, eigene Verbraucherpanels usw. Ich kann mir gut vorstellen, dass da noch revolutionäre Dinge stattfinden und dass wir über neue Arten und Weisen nachdenken müssen, wie wir Marktforschung machen. Dadurch entstehen garantiert auch neue Berufsbilder.
SG: Stichwort "Neue Medien" – was halten Sie von Online-Umfragen?
AH: Online-Umfragen sind unverzichtbar und wahrscheinlich das Erhebungsinstrument der Zukunft. Das liegt nicht unbedingt an den Vorteilen von Online, sondern an den Nachteilen der klassischen Erhebungsmethoden. Mit Telefonbefragungen erreicht man nicht mehr die Stichprobenqualität wie in der Vergangenheit, man macht auch nicht mehr die Tür auf, um eine Face-to-face-Befragung durchzuführen, so dass der Qualitätsunterschied zwischen klassischen Erhebungsmethoden und der Online-Erhebungsmethode immer geringer wird. Darüber hinaus bietet Online einfach viel mehr Möglichkeiten, um Dinge wie co-creation zu machen, also den Konsumenten direkt an der Produktentwicklung und an der Gestaltung der Werbung teilhaben zu lassen.
SG: Wie beurteilen Sie denn die Möglichkeiten mit, im oder auch für das Web 2.0 zu forschen?
AH: Wenn wir jetzt von Web 2.0 sprechen, dann muss man ja unterteilen zwischen dem, was man Second Life und ähnliches nennt, also virtuelle Welten. Da sehe ich die Aussichten etwas überzogen. Es wird viel darüber gesprochen, aber tatsächlich verhält sich ein Konsument im Netz anders, als im realen Leben, und nur im realen Leben gibt er das Geld aus. Wenn wir aber vom sogennanten Mitmach-Internet sprechen, von Blogs, von Meinungsforen, Facebook und so weiter, dann glaube ich, dass uns da noch einige Dinge ins Haus stehen, die wir extrem gut nutzen können für Datensammlung aber auch - irgendwann vielleicht - für den Test von Marketingideen, aber insbesondere für die Ideengenerierung.
SG: Sie haben schon die Globalisierung angesprochen. Wie stark setzen Sie denn auf internationale Vernetzung?
AH: Wir müssen bei Beiersdorf definitiv auf die globale Vernetzung setzen. Wir sind ein globales Unternehmen. Wir haben globale Produkte, wir haben eine globale Marke und wir möchten auch international einheitlich forschen, das heißt mit den gleichen Tests, mit standardisierten Methoden, und wir erwarten auch von den Marktforschungspartnern eine gleiche Servicequalität. Deswegen sehen wir diese Konzentrationstendenzen und die Globalisierung der Marktforschung eigentlich eher mit positivem Auge.
SG: Woran liegt es denn, dass betriebliche Marktforscher wie Sie immer mehr Studien in-house selbst realisieren?
AH: Das liegt zum einen am Zeit- und Kostendruck. Innovationszyklen werden kürzer. Marktforschung dauert lange und wenn wir klassische Marktforschung durchführen müssen, reicht das häufig nicht mehr aus, um schneller als der Wettbewerb am Markt zu sein. Also muss man sich entweder mit minderwertigen oder geringerwertigen Daten auseinandersetzen und die Entscheidung treffen, oder man macht das Ganze selber, indem man Verbraucherpanels hat. Oder aber - und das setzen wir bei Beiersdorf besonders stark ein - ein eigenes Informationsmanagementsystem zu etablieren, wo generalisierende, generelle Aussagen und Informationen schon da sind, nur abgerufen werden müssen. In dieses Informationsmanagementsystem werden alle Informationen über Produkte, Verbraucher, Kanäle und Preise eingepflegt, so dass wir heute nicht mehr alles neu erforschen müssen, sondern vieles an Wissen schon da ist.
SG: Was erwarten Sie als Kunde von Marktforschungsinstituten?
AH: Dass sie globale, einheitliche Standards anbieten. Dass sie darüber hinaus global die gleiche Servicequalität anbieten und dass sie auch auf die Unternehmen, die Nachfrager von Marktforschungsdaten, zugehen, um zu kooperieren, um vielleicht in ein Netzwerk einzusteigen, um sich stärker in die eigenen Prozesse zu integrieren und gegebenenfalls kann man so weit kooperieren, dass man zusammen mit den Instituten die Qualitätssicherungsmaßnahmen bei der Datenerhebung erhöht.
SG: Welche Auswirkungen haben die Fusionen großer Marktforschungsinstitute auf die betriebliche Marktforschung?
AH: Ja, man wird natürlich als Kunde etwas weniger bedeutend, wenn man mit dem gleichen Umsatz in einem größeren Unternehmen Nachfrager wird. Das ist derzeit noch nicht abzuschätzen, wie sich das in der Qualität der Zusammenarbeit auswirkt, aber auf jeden Fall ist das ein Aspekt, über den wir nachdenken. Grundsätzlich, wie schon gesagt, beurteile ich das positiv, weil wir in vielen Ländern aktiv sind, und wir möchten in vielen Ländern die gleiche Servicequalität haben und deswegen sind die Globalisierungstendenzen in der Marktforschung grundsätzlich positiv zu sehen.
SG: Welche großen Marktforschungstrends sehen Sie für die Zukunft?
AH: Wie eben schon angesprochen das Thema "Neue Medien". Das Thema co-creation, den Verbraucher viel stärker partizipieren zu lassen an dem, was passiert. Wahrscheinlich werden wir im Bereich der klassischen Umfrageforschung etwas weniger Bewegung sehen und dafür mehr Bewegung in der Ideengenerierung. Also das, was man Exploration nennt, damit der Marktforscher dem Produktentwickler und nicht nur dem Marketing die entscheidenden Impulse gibt, um ein neues, innovatives, hochwertiges Produkt zu erlangen.
SG: Sie haben eben von co-creation, von Partizipation des Konsumenten gesprochen. Was kann man denn tun, um die Bevölkerung nachhaltig davon zu überzeugen, weiterhin an Marktforschungsprojekten mitzuwirken?
AH: Die Auswirkungen, die wir da sehen, sind vielfältig. Ich glaube, dass man auch als Nachfrager von Marktforschungsdienstleistungen stärker mit den Marktforschungsinstituten kooperieren muss, um Datenschutzbestimmungen noch konsequenter als bisher einzuhalten, das Standesrecht so ernst zu nehmen, wie es ist, und keinerlei Ausnahmen zuzulassen. Wir müssen, glaube ich, auch als Marktforschungsbranche für uns selber werben, unseren Impact, also unserern Einfluss auf Unternehmensentscheidungen, unsere Wichtigkeit im Unternehmen dokumentieren. Dann wird man vielleicht bereit sein, für Marktforschung noch mehr Geld auszugeben, was uns dann dazu führt, dass wir auch bessere Panels, bessere Datenqualität haben und dass wir die ganzen Bestimmungen, die notwendig und wichtig sind, auch einhalten können.
SG: Wer ist Ihrer Meinung nach der größte Feind der Marktforschung?
AH: Zum einen sehe ich den enormen Zeit- und Kostendruck, der in dem Innovationsprozess stattfindet, der es häufig nicht erlaubt, Marktforschung zu machen. Zum anderen sehe ich Direktmarketingagenturen, die unter dem Deckmantel der Marktforschung Kunden zum Handeln bewegen. Das könnte als Marktforschung missverstanden werden und insofern die ganze Branche in ein schlechtes Licht rücken. Zum Dritten sehe ich, dass wir bei mangelnder Qualitätsorientierung Gefahr laufen, falsche Informationen zu bekommen, deswegen falsche Prognosen zu machen und den Stellenwert der Marktforschung insgesamt in Frage stellen und gefährden. Insofern ist das hier ein klares Credo für Qualitätsorientierung in der Marktforschung.
SG: Vielen Dank, Herr Hoelscher, für dieses interessante Interview, hier in Hamburg - Ihrer Heimatstadt und auch dem Standort Ihres Arbeitgebers Beiersdorf. Haben Sie Ihren Arbeitgeber etwa nach der Stadt ausgewählt, bei dem schönen Wetter.
AH: Also ganz unwichtig ist das nicht, das gebe ich zu. Beiersdorf ist mitten in der Stadt und der Fußweg zur Arbeit ist ein gewisser Standortvorteil, das muss man sagen. Aber auch die morgenlichen Runden um die Alster sind toll und insofern bin ich ein klarer Verfechter dieser Stadt.
SG: Was haben Sie denn noch für einen Insider-Tip, für die Kongressteilnehmer, die nicht aus Hamburg kommen?
AH: Zunächst einmal würde ich sagen – häufiger kommen! Man sieht ja, wie schön das Wetter ist. Und Hamburg ist so vielfältig und vielseitig, da reicht ein Besuch definitiv nicht aus. Aber der Hafen hat definitiv seine Reize.
SG: Vielen Dank.
AH: Bitte sehr.
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