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Andrea Wolf (Forschungsgruppe Wahlen) und Holger Geißler (YouGovPsychonomics) zur Zukunft der Wahlforschung
In der marktfoschung.depesche 3/2009 haben wir in dem Artikel "Wahlprognosen: Online statt klassisch?" die Diskussion um die richtige Methode für die Wahlforschung eröffnet. Thorsten Faas, Experte für Wahlforschung, hat darin kritisch angemerkt, dass den Onlineforschen zwar das theoretische Gerüst für ihre Methode fehle, mit Online-Befragungen aber dennoch bei verschiedenen Wahlprognosen zuverlässige Voraussagen des tatsächlichen Ergebnisses gelungen seien.
Heute kommen zwei Forscher aus Instituten zu Wort, die sich jeweils einer der beiden Methoden verpflichtet fühlen. Andrea Wolf von der Forschungsgruppe Wahlen betont, dass nur Zufallsstichproben die methodischen Voraussetzungen für repräsentative Untersuchungen liefen. Online-Umfragen sagt sie mittelfristig "nur eine sehr begrenzte Bedeutung für die Wahlforschung" voraus.
Anders argumentiert Holger Geißler (YouGovPsychonomics AG) als Vertreter der Online-Methode. Für ihn liegt ein Problem der klassischen Telefonbefragung in der mangelnden Antwortbereitschaft vieler Befragter, das in seinen Augen mit Online-Panels gelöst werden kann. Er sieht "die Zukunft nicht in der telefonischen Wahlforschung sondern in der Online-Befragung".
Andrea Wolf (Vorstand Forschungsgruppe Wahlen): "Für die Wahlforschung sind repräsentative Umfragen von zentraler Bedeutung"
marktforschung.de: Wie ziehen Sie die Stichprobe für Ihre Wahlprognosen?
Andrea Wolf: Ich vermute, Sie meinen mit "Wahlprognose" nicht die Prognose am Wahltag um 18.00 Uhr, sondern die von uns als Projektion bezeichneten Umfrageergebnisse, die im Vorfeld der Wahl veröffentlicht werden. Diese können auch immer nur die politische Stimmung zum Zeitpunkt der Umfrage wiedergeben.
Wir arbeiten bei allen unseren Umfragen mit Zufallsstichproben, nur diese liefern die methodischen Voraussetzung dafür, dass aus dem Ergebnis der Stichprobe auf die Verteilung in der Grundgesamtheit geschlossen werden kann, also dafür, dass die Ergebnisse als repräsentativ bezeichnet werden können.
Bei unseren selbsterstellten zweistufigen Zufallsstichproben werden zunächst die Telefonnummern aus der Gesamtheit der amtlichen Telefonbucheinträge zufällig ausgewählt. Die so gewonnenen Nummern werden nach dem RLD-Verfahren verändert, d.h. jede gezogene Nummer wird in der letzten Ziffer durch eine Zufallsziffer ersetzt, um dadurch auch die Anschlüsse gleichberechtigt einbeziehen zu können, die nicht im Telefonbuch eingetragen sind. Danach wird in einem Kontaktgespräch mittels eines Zufallsschlüssels (Geburtstagsschlüssel) ermittelt, wer innerhalb des Haushalts befragt wird.
marktforschung.de: Welche Befragungsmethode nutzen Sie?
Andrea Wolf: Mit Ausnahme der Wählerbefragung am Wahltag (face-to-face), führen wir unsere repräsentativen Umfragen telefonisch durch und haben dazu in Mannheim ein Telefonstudio mit 140 CATI-Plätzen.
marktforschung.de: Wie erklären Sie sich die Treffgenauigkeit der Wahlprognose aufgrund einer Online-Befragung?
Andrea Wolf: Der Anteil der Deutschen, die das Internet nutzen, liegt derzeit bei 66% (Forschungsgruppe Wahlen: Internet-Strukturdaten, IV. Quartal 2008). Dabei gibt es deutliche alters- und bildungsspezifische Unterschiede im Umgang mit dem Internet. Allein daraus resultiert schon eine unterschiedliche Parteipräferenz der Internet-Nutzer und Nicht-Nutzer. In der Regel profitieren davon die kleineren Parteien, vor allem die Grünen und die FDP. Das kann natürlich im Fall der Landtagswahl in Hessen der Treffgenauigkeit der Online-Umfrage entgegengekommen sein. In der Regel würde man aber bei Online-Umfragen hier Abweichungen erwarten. Ob ein Instrument zuverlässig arbeitet, kann zudem nicht aus einem einmaligen Funktionieren abgeleitet werden. Und darüber hinaus müsste geklärt werden, ob die Ergebnisse der Befragung als solche oder durch nachgelagerte Gewichtungsprozeduren zu der Prognose geführt haben.
marktforschung.de: Liegt die Zukunft der Wahlforschung in der Online-Befragung?
Andrea Wolf: Für die Wahlforschung sind repräsentative Umfragen von zentraler Bedeutung. Diese sind solange im Internet nicht möglich, solange wir eine so unterschiedliche Nutzungsstruktur in den sozialen Gruppen haben. Darüber hinaus sind aber auch andere Problematiken ungelöst, zum Beispiel der fehlende Auswahlrahmen für die Stichprobenziehung. Mittelfristig werden Online-Umfragen deshalb nur eine sehr begrenzte Bedeutung für die Wahlforschung haben.
Holger Geißler (Vorstand YouGovPsychonomics AG): "Die Zukunft liegt nicht in der telefonischen Wahlforschung, sondern in der Online-Befragung"
marktforschung.de: Wie ziehen Sie die Stichprobe für Ihre Wahlprognosen?
Holger Geißler: Wir ziehen die Stichprobe zufällig aus dem YouGov Panel Deutschland.
marktforschung.de: Welche Befragungsmethode nutzen Sie?
Holger Geißler: Für Wahlprognosen Online-Befragungen.
marktforschung.de: Wie erklären Sie sich die Treffgenauigkeit der Wahlprognose aufgrund einer Online-Befragung?
Holger Geißler: Die Treffgenauigkeit liegt in verschiedenen Faktoren begründet. Als methoden-immanenter Grund ist die Schnelligkeit der Methode zu nennen, die eine kurzfristige Befragung vor der Wahl ermöglicht. Der Befragte kann außerdem selbst entscheiden, wann er an der Befragung teilnimmt und wird nicht bei irgendeiner Tätigkeit unterbrochen. Dies wirkt sich positiv auf die Datenqualität aus. Ein Vorteil ist, dass kein Interviewer persönlich anwesend ist und die Antworten daher in der Regel ehrlicher sind. Die Befragten stellen sich weniger sozial erwünscht dar, sie wollen keinem Interviewer durch ihre Antworten gefallen.
Als weiteres Merkmal ist die hohe Ausschöpfung der Stichprobe in einem Online-Access-Panel zu nennen. Zusätzlich zu den Befragungsdaten liegen viele Merkmale aus den Stammdaten und von vorangegangenen Befragungen vor, die zur Analyse, Korrektur und Prognose herangezogen werden können.
marktforschung.de: Liegt die Zukunft der Wahlforschung in der Online-Befragung?
Holger Geißler: Angesichts der immer stärker zu tage tretenden Ausschöpfungsprobleme bei repräsentativen telefonischen Umfragen, die aus einer immer kritischeren Haltung der breiten Bevölkerung gegenüber telefonischer Kontaktierung resultiert, muss man mittlerweile davon ausgehen, dass die Zukunft nicht in der telefonischen Wahlforschung sondern in der Online-Befragung liegt.
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