Analytic Hierarchy Process (AHP) in der Marktforschung

Der Artikel gibt einen kurzen Einblick in die Basis des Analytic Hierarchy Process (AHP). Das etablierte Verfahren wird durch Internettechnologien nun auch flächendeckend der Marktforschung zugänglich. Die wichtigsten Grundkenntnisse über die Funktionsweise werden nachfolgend in aller Kürze dargestellt.

I. Analytic-Hierarchy-Process (AHP)

Der Analytic-Hierarchy-Process (AHP) wurde von Thomas L. Saaty seit den 70er Jahren an der Wharton School of Business entwickelt und wird seitdem in verschiedensten Entscheidungssituationen zum Einsatz gebracht (vgl. Forman/Selly 2002: 43 ff.). Der AHP kann als eine Lösungsmethodik verstanden werden, welche ein komplexes Entscheidungsproblem in seine Bestandteile zerlegt und anschließend hierarchisch strukturiert modelliert. Mit Hilfe vollständiger Paarvergleiche werden alle Elemente der Hierarchie in Beziehung gesetzt und unter Anwendung von eigenen AHP-Algorithmen in Vektoren umgewandelt (vgl. Gussek 1991: 161). Das Entscheidungsproblem wird dadurch in seiner Gesamtheit erfasst und in den Einzelbestandteilen bewertet.

Das AHP-Verfahren zählt damit zum Kreis der Decision Support Systeme, welche auf eine komplexe Fragestellung eine eindeutige Entscheidungsunterstützung liefern kann.

Der AHP charakterisiert sich durch die drei Hauptbestandteile seines Namens (Sommerhäuser 2000: 44; vgl. auch Forman/Selly 2002: 14 f.):

Es handelt sich um ein:

  • analytisches Verahren,
  • welches durch die hierarchische Darstellung in der Lage ist, komplexe Zielsysteme durch Dekomposition in Einzelziele zu zerlegen und
  • prozessorientiert einzusetzen ist.

Gussek/Tomczak sehen den AHP in zwei Funktionen (vgl. Gussek/Tomczak 1988: 3 f.):

1. AHP als Analyseinstrument
2. AHP als Ehebungsinstrument

Der Aufbau der dabei zum Einsatz gelangenden Hierarchien folgt dabei regelmäßig einem Grundgerüst, welches besteht aus

  •  einem Ziel (Focus),
  •  einer Krieterienebene
  •  einer Anzahl von Subkriterienebenen und
  •  einer definierten Anzahl von Alternativen

Die Umsetzung der Problemstellung wird mit Hilfe des klassi-schen Analytic-Hierarchy-Process nach Saaty realisiert. Hier-bei werden Ziele, Attribute und Alternativen in Beziehung betrachtet (vgl. Poschmann 1999: 6):

Ziele

Ziele sind die Formulierung angestrebter Zustände, die durch Handlungen erreicht werden können. Ziele leiten einen Entscheidungsprozeß und stellen die Grundlage für die Bewertung von Alternativen dar. Ausgehend von der Fragestellung der Untersuchung wird die Entscheidung über die geeignetste Form der Datenerhebung aus Sicht des Marktforschers als Oberziel definiert.

Attribute

Attribute werden synonym mit den Begriffen Merkmale, Kriterien, Ziel- und Entscheidungskriterien verwandt. Während Ziele in der AHP-Hierarchie allgemeine Aussagen formulieren, stellen Attribute operationalisierte Indikatoren für die Zielerreichung dar. Über die Attribute wird das zerlegte Problem in eine Struktur gebracht.

Alternativen

Alternativen, Aktionen oder Optionen stellen Auswahlmöglichkeiten des Entscheidungsträgers dar. Als Alternative bezeichnet man Objekte oder Handlungen, zwischen denen ein Entscheidungsträger eine Auswahl zu treffen hat. Eine Alternative wird ausgewählt, um bestimmte Ziele zu erreichen. Als Alternativen kommen konkrete Wahlmöglichkeiten in Frage bspw. konkrete Produkte.

II. Anwendungsbeispiel: Entscheidungsbaum Mobiltelefon

Nachfolgendes Beispiel zeigt die Zerlegung der Problemstellung bei der Auswahlentscheidung für ein Mobiltelefon. Verschiedene Kriterien werden auf unterschiedlichen Ebenen miteinander in Beziehung gesetzt. Als Alternativen stehen 3 konkrete Produkte zur Verfügung, die in Bezug auf die jeweiligen Kriterien bewertet werden. Als Ergebnis wird die individuelle Entscheidung für eine der zur Verfügung stehenden Alternativen berechnet.

Abbildung 1: Auswahlentscheidung für ein Mobiltelefon
Abbildung 1: Auswahlentscheidung für ein Mobiltelefon

Eine Vielzahl von beispielhaften Hierarchien für unterschiedlichste Entscheidungssituationen finden sich bei Saaty und Zahedi (Saaty 1990b: 37 ff.; Zahedi 1986).

Ein AHP versetzt einen Entscheider in die Lage, ein komplexes Problem auf Basis seiner Einzelbestandteile zu lösen. Der Zweck eines AHP besteht auch darin, nicht exakt messbare Sachverhalte mit einer Bewertung zu erfassen (Haedrich/Tomczak 1996: 185). So werden mit Hilfe des AHP subjektive und objektive Elemente gleichzeitig bewertbar (Forman/Selly 2002: 44 f.). Es handelt sich um nicht tangible Kriterien, die durch die AHP-Methode einer Bewertung zugänglich gemacht werden (vgl. Ishizaka/Lusti 2002). Dies ist bei der untersuchten Fragestellung exakt der Fall, weil es sich bei allen Einschätzungen um Annahmen und persönliche Bewertungen der Marktforscher handelt, die einer direkten Betrachtung nicht zugänglich sind.

Der AHP kann auch in Mischformen mit quantitativen Elementen eingesetzt werden, wobei eine aus Paarvergleichen generierte persönliche Einschätzung in Kombination mit quantitativen Daten in ein Modell einfließen kann (vgl. Meixner/Haas 2002: 158 ff.). Ergebnis eines AHP-Modells ist ein daraus entstehender Vektor, der aufzeigt, welche Bedeutung die einzelnen Komponenten für das Erreichen des Gesamtziels haben. Ziel der Bewertung über alle Hierarchieebenen ist das Auffinden dieses Ergebnisvektors, der die quantifizierte Bedeutung der Handlungsalternativen auf der untersten Hierarchie­ebene in Bezug auf das oberste Hierarchieziel angibt (Tscheulin 1999: 582).

III. AHP in der Anwendung

Die Anwendung eines AHP setzt sich klassischerweise aus fünf Komponenten zusammen, die in einer Abfolge zu bearbeiten sind (vgl. Gussek/Tomczak 1988; Haedrich et al. 1986: 125; Olavarria 2001: 245 f.; sowie die ausführliche Abhandlung bei Gussek/Tomczak 1988: 13 ff. und Gussek 1991: 400 ff.). Diese klassische Abfolge wird durch eine Sensitivitätsanalyse und die Aggregation der Einzelentscheidung zu einer Gruppenentscheidung ergänzt. Abbildung 1 stellt diese sieben Stufen dar.

Abbildung 2: Ablauf bei Anwendung eines AHP
Abbildung 2: Ablauf bei Anwendung eines AHP

Es empfiehlt sich, die Aufstellung der Hierarchie(n) in rekursiven Prozessen zu überprüfen (Stufen 2 bis 4), bevor damit externe Gruppen konfrontiert werden.

IV. Praktische Anwendung des AHP in der Praxis der Marktforschung

Das hervorragend erforschte Theoriegebäude des Analytic Hierarchy Process hat bereits in den 1980er Jahren zum umfangreichen Einsatz in der Marktforschung geführt. Die vergleichsweise aufwändige Mathematik macht es jedoch erforderlich, die Erhebung computergestützt durchzuführen. Nach umfangreichen Studien, in denen in einer persönlichen Interviewsituation mit Laptops gearbeitet wurde, hat sich das Anwendungsfeld durch das Internet erheblich erweitert. Inzwischen existieren verschiedene Online-Anwendungen, welche die kompelxe Mathematik bereits während der Erhebung berechnen können. Der Anwendung des AHP in der Marktforschung stehen damit alle Türen offen.

Folgende Marktforschungsfragen konnten bereits in Online-Studien unter Integration des Analytic Hierarchy Process beantwortet werden.

  • Verpackungstests, Designstudien
  • Preisschwellenuntersuchungen
  • Neuproduktkonfigurationen
  • Operative Entscheidungsunterstützung bei der Auswahl von Mitarbeitern, Standorten, Geschäftsberichten etc.
  • Eruierung von Kaufentscheidungskomponenten
  • Gewichtungen von Markenwertkomponenten
  • Unterstützung bei der Gewichtung der Balanced Scorecard
  • Gruppenentscheidungen zu komplexen Expertenfragestellungen

Die Anwendung über das Internet hebt insbesondere die bisherigen räumlichen Grenzen der Methode auf. Im Januar 2008 wurde eine Intraneterhebung bei einem Deutschen Grosskonzern auf AHP-Basis durchgeführt, die in insgesamt 120 Ländern stattfand. Diese Grössenordnungen waren in bisherigen AHP-Anwendungen nicht vorstellbar. Entscheidungen werden damit auf globale Fundamente gestellt.

Weitere Forschung ist erforderlich, um die neuen Erhebungsmöglichkeiten in allen Facetten auszuleuchten.

V.          Literatur

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Gussek, F. (1991): Erfolg in der strategischen Markenführung, Wiesbaden.

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Zur Person Dr. Holger Lütters

Dr. Holger Lütters, Jahrgang 1969

Nach seinem Studium der Betriebswirtschaftslehre in Berlin und des Technologischen Management an der Ecole Supérieure de Commerce in Grenoble, Frankreich, war Holger Lütters als Consultant in einer internationalen Management-Beratung in Frankfurt a.M. tätig.

Für seine erste Forschungsarbeit zum Konsumentenverhalten in interaktiven elektronischen Systemen wurde er mit dem Förderpreis des Bundesverbandes deutscher Markt- und Sozialforscher (BVM) sowie dem Deutschen Studienpreis ausgezeichnet. Nach einigen Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Marketing der Freien Universität Berlin bei Prof. Dr. Alfred Kuss und Prof. Dr. Günther Haedrich mit Tätigkeiten in Lehre und Forschung promovierte er mit dem Thema Online Marktforschung im Jahr 2004. Von September 2004 bis Februar 2007 leitete er das strategische Geschäftsfeld relegy – strategy engineering der FDM&M Corporate Marketing in St. Gallen, Schweiz. Holger Lütters ist seit März 2007 Kompetenzbereichsleiter Informations- und Projektmanagement der Kalaidos Fachhochschule in Zürich. Das ehemals universitäre Projekt webAHP ist inzwischen in eine professionellen Anwendung der Online-Marktforschung integriert worden (www.questfox.com)

 

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