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Interview zur SIM-Studie, ELBE19 Group Alnatura, Hess Natur und Edeka sind die stärksten Nachhaltigkeitsverfechter im SIM

Lenard Goedeke & Ute Hunsicker, ELBE19 Group
Lenard Goedeke: Wir wollten dem Anspruch gerecht werden eine möglichst ganzheitliche Verbrauchersicht wiedergeben zu können. Das Thema Nachhaltigkeit ist sehr vielfältig und umfangreich, so dass immer neue interessante Aspekte in der Entwicklungsphase des Testinstruments hinzukamen. Statt nur eine Branche zu beleuchten, betrachten wir das Thema Kategorie übergreifend. Wir verbinden Einstellungen mit Reflexionsfragen des eigenen nachhaltigen Verhaltens, Zahlungsbereitschaften und vielem mehr. Durch unsere Nachhaltigkeits-Typologie helfen wir unausgeschöpfte Potenziale zu erkennen und schaffen eine wesentliche Informationsgrundlage für die Ausgestaltung kommunikativer, produktpolitischer und vertrieblicher Maßnahmen im Rahmen einer konsequent nachhaltig ausgerichteten Unternehmensführung. Der SIM gibt eine wesentliche Orientierung für die Nachhaltigkeits-Anmutung der abgefragten Marken und schafft eine Outside-in Perspektive zum Thema Nachhaltigkeit.
Ute Hunsicker: Die beschriebenen branchenübergreifenden Abfragen, ermöglichen eine deutlich differenziertere Analyse z.B. der Zahlungsbereitschaften, da diese in den Kontext gestellt werden. Das Ergebnis zeigt in welchen Lebensbereichen die Verbraucher am ehesten bereit sind für nachhaltige Produkte ein Preispremium zu zahlen.
Der SIM-Score ist ein weiterer Mehrwert des Sustainability Insight Monitors. Er stellt eine Verortung der Marken sowohl in der eigenen als auch in branchenfremden Kategorien aus Verbrauchersicht dar. In Verbindung mit weiteren Insights werden so wertvolle Erkenntnisse für die nachhaltige Markenführung bereitgestellt. Durch das laufende, jährliche Monitoring kann die Effektivität ergriffener Maßnahmen im Zeitverlauf überprüft werden.
Was sind die zentralen Aussagen der Studie? Wie nachhaltig sind wir Deutschen mittlerweile?
Lenard Goedeke: Wir bekommen im Monitor den Beleg für unsere Annahme, dass die Deutschen auf einem guten Weg sind, ohne schon am Ziel zu sein. Nachhaltigkeit ist für sehr viele Verbraucher bereits (sehr) wichtig. Dabei stellt Klimaschutz für neun von zehn Personen den größten Treiber für nachhaltiges Verhalten dar, gefolgt vom guten Gewissen und der Vorbildfunktion für künftige Generationen. Die Orientierung am sozialen Umfeld oder deren Erwartungen gibt hingegen nur jeder zweite Befragte als Grund für gesteigertes nachhaltiges Verhalten an.
Neben zu hohen Preisen hält vor allem fehlendes Vertrauen in die Deklarierung von nachhaltigen Produkten und eine zu geringe Produktverfügbarkeit, sowie zu wenig Auswahl die Menschen davon ab mehr nachhaltige Produkte zu erwerben.
Gut die Hälfte der Befragten hat nach eigenen Angaben sowohl den Willen als auch die finanziellen Mittel, um mehr Geld für nachhaltige Lebensmittel auszugeben. Bei langfristigen Anschaffungen, wie Waschmaschine oder Elektronik ist es noch knapp die Hälfte. Vier von zehn Verbraucher würden für nachhaltige Kleidung, ein Drittel für nachhaltige Autos mehr bezahlen. Bei Finanzdienstleistungen sind es immerhin noch 29 Prozent.
Spannend wird es, wenn man noch etwas genauer hinschaut: Betrachtet man die Ergebnisse dabei im Kontext verschiedener Lebensbereiche, so ergibt sich eine andere Sicht. Werden Verbraucher, die grundsätzlich bereit sind ein Preispremium für Nachhaltigkeit zu zahlen gefragt, ob sie sich z.B. eher für eine nachhaltige Geldanlage mit einer Verzinsung von ein Prozent (statt zwei Prozent für eine nicht nachhaltige Geldanlage) oder für den Kauf vom nachhaltig produzierten Pullover für 80 Euro (statt 40 Euro für den nicht nachhaltig produzierten Pullover) entscheiden würden, brechen über 40 Prozent der Zahlungsbereiten weg und sind weder bereit das eine noch das andere zu wählen.
Ute Hunsicker: Die Verbraucher in Deutschland sind auf einer sich entwickelnden Sustainability Journey - die aktive Auseinandersetzung scheint zu steigen. Betrachtet man die durchschnittliche Entwicklung der letzten drei Jahre, so fällt diese positiv im Sinne der Nachhaltigkeit aus. Insbesondere das Vermeiden von Plastiktüten beim Einkaufen, plastikfrei leben, das aktive Informieren und bewusstes und reduziertes Konsumieren wurden merklich gesteigert. Am Beispiel der Plastiktüten kann man besonders deutlich den Einfluss erkennen, den Vereinbarungen zwischen der Bundesregierung und der Wirtschaft auf das Verbraucherverhalten haben. Das Niveau war bereits vor 3 Jahren schon recht hoch und erfuhr durch die Vereinbarung noch einmal einen sehr deutlichen Schub.

Ausgewählte Ergebnisse des SIM 2020 (Bild: ELBE19 Group).
Welche Erwartungen haben Verbraucher an Regeln und Grundsätze nachhaltiger Unternehmen? Interessiert das nicht nur eine sehr kleine Gruppe von Verbrauchern überhaupt?
Lenard Goedeke: Die Erwartungen der Verbraucher an die Unternehmen sind ein bunter Strauß vieler verschiedener Aspekte. Zu den Top-Antworten zählt der generelle Anspruch, dass Unternehmen sich sowohl umweltverträglich und -schützend verhalten als auch Ressourcen und Materialien sparen und nachwachsende Rohstoffe verwenden. Weiterhin sind die Themen faire Löhne und geschlechterunabhängige Bezahlung, aber auch faire Arbeitsbedingungen und respektvolle Behandlung der Mitarbeiter und Lieferanten in den Köpfen der Menschen verankert. Ein klarer Beleg, dass Unternehmen mit einer einzelnen Maßnahme bei den Verbrauchern nicht punkten können werden. Eine vollumfängliche Integration einer Nachhaltigkeitsstrategie in die Unternehmensstrategie ist die Voraussetzung für erfolgreiches Wirksamwerden einzelner Aktionen in der Produktentwicklung, der Kommunikation und auch in der Vertriebsarbeit. So muss Nachhaltigkeit auch eine feste Größe im Touchpoint Management auf allen Ebenen werden, um Kundenerlebnisse entsprechend dieser Erwartungen gestalten zu können.
Ute Hunsicker: Das Involvement ist bei der breiten Mehrheit vorhanden. Die Empirie zeigt, dass das Thema Nachhaltigkeit für acht von zehn Befragten sehr/eher wichtig ist. Sogar mehr als ein Drittel der Befragten tauscht sich zur Nachhaltigkeit mindestens häufig im sozialen Umfeld aus. Unternehmen die aus Nachhaltigkeitsgesichtspunkten versagen, stehen unmittelbar im Fokus des öffentlichen Interesses. Diese negativen Aspekte beeinflussen die Erwartungen an Marken, das Markenbild und die -attraktivität und somit schlussendlich auch das Kaufverhalten.
Von den Konzeptentwicklung bis zum Go-Live lag gerade einmal ein Monat. Ist der Sustainability Insight Monitor wirklich schon ausgereift genug?
Lenard Goedeke: Wie bei einer Geburt üblich, geht dieser einiges an Entwicklung voran. Im April 2020 fiel der Startschuss für die qualitative Phase des SIM. Im Herbst 2019 entstand die Idee eines dynamischen Instruments, welches einerseits laufend den Entwicklungen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft Rechnung trägt und andererseits für Anregungen von Kunden oder Ergänzungen von individuellen Kundenanfragen offen ist. Hierzu zählt nicht nur die angedachte Erweiterung um 60 Marken, sondern auch die geplante Internationalisierung in 2021.
Ihre zugrundeliegende Definition von "Nachhaltigkeit" behilft sich der ESG-Kriterien (Environment, Social und Governance) aus der nachhaltigen Finanzanlage. Können die Befragten damit etwas anfangen? Oder wird nicht eher nur danach bewertet, ob man eine Marke mag oder nicht?
Ute Hunsicker: Unsere Definition beruht auf dem Drei-Säulen-Modell der nachhaltigen Entwicklung welches sich nicht nur national, sondern auch international bewährt hat. Um ein gleiches Verständnis bei allen Befragten zu erreichen, haben wir unsere Definition mit praktischen Beispielen hinsichtlich ökologischer, ökonomischer und sozialer Kriterien angereichert.
Lenard Goedeke: Eine Marke zu mögen beeinflusst viele Attribute bei der Einschätzung derselben. Auch ein Nachhaltigkeitsurteil wird davon in Teilen mitgeprägt. Empirisch belegt ist, dass Nachhaltigkeitsthemen in der Presse häufig vertreten sind, entsprechenden Einfluss auf die Meinungsbildung haben und damit sowohl direkt als auch indirekt den Sympathiewert als Teil des Markenbildes mitbeeinflussen. Aber eben nur in Teilen.
Was sind die zentralen Kernaussagen des aktuellen SIM-Scores? Wie interpretieren Sie das Ranking?
Ute Hunsicker: Der SIM-Score gibt die Differenz der Nachhaltigkeits-Verfechter und der -Ablehner wieder. Damit stellt der Score für das Ranking der ausgewählten fast 60 Marken eine Kenngröße dar, wie nachhaltig sie von den deutschen Verbrauchern eingeschätzt werden. Die Spannweite der Ergebnisse zeigt, dass die Verbraucher über ein gutes Differenzierungsvermögen verfügen.

Vergleich zwischen Marken (Bild: ELBE19 Group).
Wie ist ein Vergleich zwischen "Konsumgüter-Marken" und "Dienstleister-Marken" überhaupt möglich? Ist ein Vergleich beispielsweise zwischen Alnatura und Lufthansa nicht überflüssig?
Ute Hunsicker: Beide Betrachtungsweisen, sowohl der Vergleich innerhalb einer Kategorie als auch Kategorie übergreifend, sind aus unserer Sicht wertvoll. Von einem Luftfahrtunternehmen wird sicher nicht ein Wert, wie von einem Bio-Lebensmittelhersteller erwartet, trotz allem können Marken im Sinne der Best Practice voneinander lernen. Die entsprechende Entwicklung kann im Zeitverlauf verfolgt und die Maßnahmeneffektivität im Controlling überprüft werden.
Warum werden Supermärkte wie EDEKA und REWE berücksichtigt, Discounter, wie Lidl und Netto aber außen vorgelassen? Warum werden keine Bio-Eigenmarken von Supermärkten beleuchtet?
Lenard Goedeke: Wie erwähnt ist eine Erweiterung um 60 Marken geplant. Die Abfrage von Bio-Eigenmarken würde hingegen den Rahmen sprengen. Dies könnten wir uns eher als Zusatzmodul vorstellen, dass wir gerne z.B. für einen Arbeitskreis an Kunden integrieren.
Wie hat sich die Sicht der Befragten auf Nachhaltigkeit durch Corona verändert?
Ute Hunsicker: Vor Corona war jeder Dritte der Meinung, dass das Thema Nachhaltigkeit präsent genug ist. Ein Fünftel attestiert dem Thema sogar eine Überrepräsentation in Medien, Politik und Gesellschaft. An der Frage, ob die Berichterstattung in letzter Zeit mehr oder weniger geworden ist, scheiden sich die Geister. Jedoch ist mehr als die Hälfte der Befragten der Meinung, dass die Corona-Pandemie, das Nachhaltigkeitsthema politisch und gesellschaftlich verdrängt.
Eine zentrale Frage aus Verbrauchersicht ist, ob man sich die Nachhaltigkeit noch leisten können wird. Der These, dass Privatpersonen aufgrund der Corona-Krise keine finanziellen Mittel mehr für nachhaltigen Konsum und Anschaffungen haben, stimmt über die Hälfte zu. Für Unternehmen stellen 45 Prozent fest, dass für ein nachhaltiges Wirtschaften aktuell die finanziellen Mittel fehlen.
Jeder zweite Befragte glaubt, dass viele Menschen lernen werden, sparsamer und bewusster zu konsumieren. Ähnlich viele glauben jedoch auch, dass aufgrund der Nutzung von Einmalprodukten die Umweltverschmutzung zunehmen wird.
An eine dauerhafte Senkung der CO2-Emissionen durch die Corona-Krise glauben 28 Prozent nicht. Beinahe ein Viertel ist außerdem überzeugt, dass die Klimaziele nicht schneller erreicht werden.
Wenn es um die strategische Ausrichtung und die Umsetzung operativer Maßnahmenbündel geht, ist es für Unternehmen essentiell eine Abstimmung und Verzahnung der beiden bedeutenden Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu erreichen, die in Teilen voneinander abhängig sind.
Was lernen Unternehmen Neues durch Ihre Studie?
Lenard Goedeke: Ihnen wird eine ganzheitliche Sicht auf die Verbraucher zu nachhaltigen Fragestellungen verschiedener Lebensbereiche bzw. Branchen, Produkte und Dienstleistungen eröffnet und dies perspektivisch im Zeitverlauf. Im Gegensatz zum Hereinzoomen in eine Kategorie zeigen wir damit eine Sustainable Journey, indem wir Einstellungen, Haltungen, Markenbewertungen, Zahlungsbereitschaften sowie die Erwartungen der Verbraucher an Staat und Unternehmen beleuchten. Unternehmen finden somit wertvolle Hinweise für die Wahl und Ausgestaltung ihrer Instrumente und Maßnahmen, um eine erfolgreiche Fortsetzung der nachhaltig kundenzentrierten Transformation der Unternehmensentwicklung zu realisieren.

First learnings (Bild: ELBE19 Group).
Das Interview führten Saskia Heller und Holger Geißler
Zu den Personen:


Methodik des SIM (Sustainability Insight Monitor) von ELBE19 Group
Erhebungsmethode | Online-Befragung |
Stichprobengröße | n=1.097 |
Stichprobenziehung | Quotenstichprobe der 18-69-Jährigen, repräsentativ für Geschlecht, Alter, Bundesland; zusätzlich n=75 Fälle in der Altersgruppe 70-79 Jahre |
Erhebungszeitraum 1. Welle | Mai/Juni 2020 |
Land | Deutschland |
mvw
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