Alles Marktforschung - Das multifunktionale Rollenbild vieler Betriebsmarktforscher
Betriebsmarktforschung in Großunternehmen umfasst ein breites Spektrum an unterschiedlichen Aufgaben, die auch in Marktforschungsunternehmen anfallen - z. B. Studienleitung, Studienassistenz, Feldleitung, Interviewführung, Datenerfassung, Auswertung usw. - aber auch darüber hinausgehende Tätigkeitsbereiche, die alle miteinander in Kombination ausgeführt werden können: Je nach Problemstellung und aktuellem Bedarf muss der Betriebsmarktforscher vorübergehend in die eine oder andere Rolle schlüpfen und sich oft auch in artverwandten Betätigungen beweisen. Doppel- und Mehrfachfunktionen können aber nicht nur im Rahmen spezifischer Marktforschungsprojekte notwendig werden, sondern auch für das gesamte Jobprofil Geltung besitzen: Der Beruf Marktforscher wird dann neben anderen Tätigkeiten wie z. B. Marketing, Werbung, Controlling, usw. ausgeübt.
Der vorliegende Beitrag möchte - ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben - jene marktforschungsspezifischen oder damit verwandten Aspekte, Rollen und Aufgabenbereiche beleuchten, mit denen "Voll-" oder "Teilzeit-" Marktforscher größerer Firmen konfrontiert sind und sein können. Wenn in diesem Beitrag vom "Marktforscher" geschrieben wird, wird damit natürlich keinerlei Geschlechterdifferenzierung im Sinne einer reinen Spezialisierung auf das männliche Geschlecht vorgenommen, welche für alle folgenden Ausführungen völlig unerheblich ist. Gemeint sind vielmehr überall und an jeder Stelle ohne geringste Betrachtungsunterschiede weibliche und männliche Marktforscherinnen und Marktforscher!
"Wir brauchen eine Umfrage..."
Dieser Satz steht oft am Beginn von Forschungsvorhaben, die in durchstrukturierten Unternehmen mit vielen Mitarbeitern, Abteilungen, Geschäftsbereichen und Verantwortlichkeiten an die interne Marktforschungsabteilung herangetragen werden. Der Betriebsmarktforscher hat hier zunächst die oft gar nicht leichte Aufgabe, den tatsächlichen Forschungsbedarf zu analysieren und auf erforschbare Dimensionen einzugrenzen. Vor allem die exakte Problemdefinition stellt mitunter ein schwieriges Unterfangen dar: Worin besteht das genaue Erkenntnisinteresse? Wer oder was ist Grundgesamtheit? Was ist nicht Gegenstand der Erhebung?
An erster Stelle effizienter Betriebsmarktforschung stehen gutes Know-How über unternehmensinterne Datenbestände und Abfragetools bzw. erfolgreiche Sekundärdatenrecherche: Es liegt durchaus im Bereich des Möglichen, dass letztendlich gar keine Umfrage notwendig ist, weil alle Erkenntnisinteressen bereits mit vorhandenen Daten erschöpfend befriedigt werden können.
Daten(bank)spezialist
In Unternehmen, in denen große Mengen an Kundendaten einerseits und Verkaufs- bzw. "Verkehrs"-Daten andererseits in umfangreichen Datenbanken aus unterschiedlichen Abteilungen oder Bereichen erst verknüpft, zusammengefasst oder mit speziellen Serverlösungen analysiert und ausgewertet werden müssen (Stichwort "Data-Warehouse"), ist ein zumindest grundlegendes Basis-Verständnis von aufwändigen und komplizierten Datenbank-Systemen und Anwendungen für den Betriebsmarktforscher sehr vorteilhaft: Derartiges Basiswissen kann entscheidend dabei mithelfen, durchführbare Datenabfragemöglichkeiten zu identifizieren bzw. für das Forschungsvorhaben sinnvolle Abfragen zu definieren. Der Marktforscher wird hier u. U. zu einem Mitarbeiter oder internem Beauftragten der IT-Abteilung, der maßgeschneiderte Auswertungen "selbst fährt" oder durchführen lässt.
Branchenexperte
Neben dem Check unternehmensinterner Datenbestände stehen am Beginn vieler Marktforschungsvorhaben intensive Internet-Recherche, die Durchforstung von (amtlichen oder betriebsinternen) Statistiken und die Suche nach bereits durchgeführten Studien. Manche Forschungsfragen können vielleicht schon in diesem Stadium beantwortet werden und eine Primäranalyse damit obsolet machen.
Umfangreiches Fach- und Detailwissen über statistisches Datenmaterial und Facharbeiten, Publikationen und Studien oder die Kenntnis spezifischer Links sind von großem Vorteil. Auch persönliche Kontakte in nationalen oder internationalen Branchen-Netzwerken können da weiterhelfen. Hier muss der betriebliche Marktforscher erfolgreicher "Netzwerker" oder Branchenspezialist sein.
Studienleiter
Wird mangels sekundären Datenmaterials letztendlich klar, dass ohne Primärstudie kein Auslangen gefunden werden kann, nimmt der Betriebsmarktforscher die Rolle eines klassischen Studienleiters ein: Gilt es doch, ein möglichst kosten- und zeiteffizientes Studiendesign mit höchstmöglichem Erkenntnisgewinn zu entwickeln: Die Erhebung muss repräsentativ sein - möglichst auch für kleine Teilgruppen der Grundgesamtheit, die umfassenden Ergebnisse sollen möglichst rasch vorliegen und die Kosten dürfen sich nur in vertretbaren Bahnen bewegen. Der einzuschlagende Weg zwischen maximaler Datenqualität, die aber nur unter immensem Zeit- und Kostenaufwand erreichbar wäre und noch immer repräsentativen Ergebnissen, die in absehbarer Zeit und mit bestmöglicher Ausschöpfung vorhandener Budgets erzielt werden können, ist oft kein leichter.
Vermittler
Wird die intendierte Studie mit Unterstützung eines Instituts durchgeführt, hat der Betriebsmarktforscher meist die Aufgabe, die Studie auszuschreiben bzw. mehrere Offerte unterschiedlicher Institute einzuholen. Hier ist ganz besonders die Notwendigkeit gegeben, den zur Angebotslegung eingeladenen Firmen im Briefing klar und deutlich, kurz und prägnant die inhaltlichen Aspekte zu erklären – "rüberzubringen, worum's geht". Dabei geht es vor allem um das oft gar nicht leichte Unterfangen, firmeninterne Sprachcodes, Denkweisen und Ergebniserwartungen in die Terminologie der Marktforschung zu übersetzen und zu übertragen.
Verhandler
Nach erfolgter Ausschreibung und dem Einlangen aller Firmenofferte muss ein Betriebsmarktforscher die Designvorschläge, die an ihn herangetragen werden, auf deren Qualität, Nutzen und die konkrete Machbarkeit überprüfen. Er hat das nötige firmeninterne und Branchenwissen und kann z. B. beurteilen: Ist ein vorgeschlagenes Design inhaltlich sinnvoll bzw. firmenintern durchsetzbar? Erlaubt die Marktpenetration eine bestimmte Methode (Stichworte „Inzidenz“, „Anzahl der Interviewpartner")? Ist für ein spezielles Design genug Zeit und Budget vorhanden? Muss die Optimalvariante „abgespeckt" werden? usw.. Nach inhaltlicher Optimierungsdiskussion und budgetären Verhandlungsrunden wird letztendlich jene Firma den Zuschlag erhalten, die für die Fragestellung das optimale Design bzw. beste Preis-/Leistungsverhältnis anbietet.
Unternehmensberater
Unterschiedliche, vielleicht sogar gegenläufige Interessenlagen spielen in großen Unternehmen im Hinblick auf die Einstellung einer Studie gegenüber mitunter eine bedeutende Rolle - oft hängen ja vom Ergebnis einer Studie wichtige firmeninterne Entscheidungen ab - und machen es für den Marktforscher unerlässlich, das von ihm gewählte Design argumentativ abzusichern und zu begründen. Die Erklärungen müssen für die Vertreter aller involvierten Fachbereiche und Hierarchieebenen schlüssig und nachvollziehbar aufbereitet werden.
„Lehrender“
„Warum ist Design A der Vorzug vor B zu geben?“ „Sind die zu erwartenden Ergebnisse auch wirklich repräsentativ?“ „Sind Schwankungsbreiten vorhanden?“ „Warum kann man das so nicht fragen?“ „Warum ist unsere große Stichprobe nicht automatisch repräsentativ?“ „Warum gibt es in allen repräsentativen Stichproben von der kleinen Vertriebsregion immer nur eine Handvoll Befragte?“ usw. - all das sind Beispiele für Fragen, die vom Betriebsmarktforscher allgemeinverständlich beantwortet bzw. geklärt werden müssen. Hier kann es auch notwendig werden, die Terminologie der Marktforschung wieder in die firmeninterne Sprachverwendung rückzuübersetzen.
Partner
In den meisten Fällen ergänzen sich Instituts- und Betriebsmarktforscher gegenseitig - jeder profitiert vom anderen - , es entsteht eine Art partnerschaftliche Beziehung: Der Betriebsmarktforscher versorgt den Auftragnehmer mit firmeninternem Wissen und kann ihn durch oftmaliges Feedback in allen Projektphasen dabei unterstützen, durch effiziente und ergebnisorientierte Arbeit die Erwartungshaltungen, die das Unternehmen an den beauftragten Dienstleister richtet, bestmöglich zu erfüllen, damit eine angesehene Position zu erreichen und weitere Aufträge zu erhalten.
Demgegenüber stellt der Institutsmarktforscher für seinen Kollegen im Betrieb eine kompetente Servicestelle dar, die ihn mit Design-Ideen unterstützt, ihn berät, ihm schnell benötigte neue Daten erhebt oder über Auswertungen aus bereits durchgeführten Analysen zur Verfügung stellt. Darüber hinaus untermauert und bestätigt der Institutsexperte als externer Sachverständiger die Arbeit des Betriebsmarktforschers und hilft ihm dabei, seine Position im Unternehmen auszubauen und zu festigen.
Feldabteilungsleiter
Trotzdem wird es in Unternehmen mit gut ausgebauten Marktforschungsabteilungen und kompetent agierenden Personen immer wieder Studien- und Analysedesigns geben, die die Firma selbst, ohne fremde Hilfe durch ein Institut durchführen kann. Vor allem in Betrieben, die am Markt persönliche Kundenbeziehungen pflegen, gibt es Mitarbeiter mit direktem persönlichen oder telefonischen Kundenkontakt. Da lässt sich schon einmal eine Kundenbefragung in Eigenregie, ohne Mithilfe eines Instituts durchführen. Bei der dabei unerlässlichen Schulung der internen Interviewer wird der Betriebsmarktforscher kurzfristig auch die Rolle eines Interviewer-Chefs einnehmen müssen.
(Web-)Designer
Werden Fragebögen in Eigenregie erstellt, müssen sie je nach Verwendungszweck auch mehr oder weniger ansprechend gestaltet und vervielfältigt werden. So stellt eine schriftliche Befragung natürlich weit höhere Anforderungen an das Fragebogenlayout als dies bei Telefoninterviews der Fall ist.
Findet die Kundenbefragung (oder auch eine Mitarbeiterbefragung) über Onlinemethoden im Inter- oder Intranet statt, muss dafür ein Fragebogenformular online gestellt werden. Passiert dies nur selten, entscheidet die Firma wahrscheinlich gegen eine handelsübliche Softwarelösung und entwickelt selbst ein Befragungsformular. Wenn der Betriebforscher zumindest ansatzweise Kenntnisse in der Erstellung von HTML-Code- und Webseiten besitzt, gereicht ihm das in derartigen Fällen sicher nicht zum Nachteil.
Vorhersager
Auch die in Zusammenhang mit Marktforschung nicht ganz ernst klingende Rolle eines Vorhersagers kann einem Betriebsmarktforscher im übertragenen Sinn zufallen: Oft werden Studieninhalte von Fachabteilungen nur unzureichend oder im unmittelbaren Ausmaß einer aktuellen Fragestellung definiert. Ein Firmenmarktforscher verfügt bald über Erfahrungswerte, ob und welche zusätzlichen Fragestellungen an späterer Stelle, nach Abschluss der Untersuchung, bei der Datenauswertung bzw. Interpretation zutage treten könnten, an die aber ursprünglich niemand gedacht hat. Oft geht es hier nur um einen zusätzlichen Absatz im Fragebogen, der es erlaubt, die Daten effizienter zu klassifizieren oder zusätzliche wertvolle Informationen über Interessenlagen oder Verhalten von Kunden zu generieren. Ein erfahrener Betriebsmarktforscher wird nach Möglichkeit immer einen gewissen „thematischen Polster" an aktuell nicht unmittelbar verlangten, jedoch immer wiederkehrenden und unternehmensüblichen Fragestellungen miteinplanen: Somit ist er für zukünftige Anfragen besser gewappnet.
Planer
Nicht selten kommt es vor, dass ganz spezielle und eindimensionale Fragestellungen an den Betriebsmarktforscher herangetragen werden, die in einem Fragebogen mit einer oder wenigen Fragen einer klärenden Antwort zugeführt werden könnten. Aus einem derart geringfügigen Titel heraus eine eigene Studie anzustreben wäre unwirtschaftlich und ressourcenverschwendend.
Demgegenüber führt das betreffende Unternehmen vielleicht in periodischen Intervallen Kundenzufriedenheitsmessungen durch oder plant, im Rahmen eines Großprojekts umfangreiche Studien zu beauftragen. Hier wird es Aufgabe des Betriebsmarktforschers sein, „Mini-Projekte" in Evidenz zu halten und zum richtigen Zeitpunkt in eine Standarderhebung oder Großstudie als Beiwerk in methodisch korrekter Art und Weise einzuflechten. Auch der Einkauf in eine kostengünstige periodische Standard-Mehrthemenerhebung eines Instituts kann hier zum Ziel führen.
Datenanalyst
Erhält die Marktforschungsabteilung die Ergebnisse der beauftragten Studie, geht es an das Analysieren der Daten: Wie können die Ergebnisse möglichst zielgerichtet, prägnant und verständlich analysiert, kommentiert, interpretiert und aufbereitet werden, dass die durch die Studie zu klärenden Fragen möglichst gut beantwortet werden? Je nachdem, wie der Auftragsumfang des Marktforschungsunternehmens aussieht, fallen dem Betriebsmarktforscher hier mehr oder weniger selbst auszuführende umfangreiche Tätigkeiten zu (Präsentationen gestalten, Charts zeichnen, Summaries verfassen). In jedem Fall muss er aber einem beauftragten Institut gegenüber den Umfang und die Art und Gestaltung der Datenpräsentation innerhalb seines Unternehmens festlegen. Diese Tätigkeiten sind die wichtigsten eines Betriebsmarktforschers überhaupt, wird er doch vor allem am Output seiner Tätigkeit gemessen.
Handelt es sich bei der Studie um eine in Eigenregie durchgeführte Erhebung, wird die Betriebsmarktforschung zuvor auch Datenerfassung und (technische) Auswertung regeln müssen.
Betreiber eines Forschungsarchivs
Firmen leisten sich Marktforschungsabteilungen als Datenlieferanten, um Entscheidungsgrundlagen zu besitzen oder als Unterstützung für kommunikative Zwecke. Bei vielen Fragen in Zusammenhang mit Produktentwicklungen oder anlässlich medialer Veröffentlichungen wird der Ruf nach Zahlen, Daten & Fakten laut: „Haben wir Daten über ...?", „Liegt unsere Neuentwicklung im Trend?“, „Wohin bewegt sich der Markt?“, „Wo steht der Mitbewerb?“ - all das sind oft gestellte Fragen, die zumindest gelegentlich auch an die Unternehmensmarktforscher gerichtet werden. Jede Marktforschungsabteilung wird deshalb danach trachten, ein Daten- und Studienarchiv einzurichten, dessen Qualität sich erheblich daran misst, rasch und effizient zu finden, was man sucht.
Kommunikator
Zum Tätigkeitsspektrum eines Betriebsmarktforschers zählt auch die Daten-Aufbereitung bzw. -Analyse für publizistische Zwecke: In vielen Fällen wird einer Kommunikationsabteilung oder Pressestelle eine Untermauerung von Aussendungen jeglicher Art durch Zahlenmaterial der Marktforschung deutlich weiterhelfen. Dabei besteht die oft sehr schwierige Tätigkeit des Marktforschers in einer mediengerechten Daten-Extraktion und -Weitergabe: Es hat wenig Sinn, wenn ein hunderte Seiten umfassender Tabellenbericht das Basismaterial für Medienarbeit darstellt. Diesbezügliche Ergebnisoutputs müssen veröffentlichbar, kommunizierbar, „griffig" und leicht verständlich sein.
Data-Miner
Immer mehr Unternehmen geben sich nicht allein damit zufrieden, Studien zu archivieren und bei der Produktentwicklung nur auf Befragungen zu setzen. Sind im Unternehmen umfangreiche Datenbestände vorhanden, liegt es auf der Hand, bei der Entwicklung neuer Produkte auf Data Mining zu setzen und auch diese Rolle an den Firmenmarktforscher zu vergeben.
In allen Fällen aber, wo die Marktforschungsabteilung nicht unmittelbar und rasch Daten bereitstellen kann, taucht wieder der Ruf nach einer Umfrage auf - und hier schließt sich der gedankliche Kreis dieses Beitrags: „Wir brauchen eine Umfrage ..."
Zum Autor:

Mag. Dr. Claus Braunecker
ÖBB-Personenverkehr AG, Leiter Marktforschung
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