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Interview mit Anna Fordkort & Antje Gollnick "Alle Ergebnisse da, der Launch vorbereitet, die Pressekonferenz geplant und dann kam Corona"

Sie haben 24.000 Menschen in zwei Wellen zum Thema menschliche Berührung befragt. Wie kommt man auf die Idee?
Frau Fordkort: Bei Beiersdorf haben wir das Thema "Care" in unserem Herzen und in unserer DNS. Caring for People ist ein wichtiges Thema für uns. Wir haben schon vor der Pandemie beobachtet, dass es in der heutigen, schnelllebigen Zeit – Stichwort Digitalisierung, Instagram, Facebook, WhatsApp und Co. – einen Trend gibt: Die Leute haben tatsächlich weniger direkten Kontakt miteinander, eben weniger "Human Touch". Dies ist eine Beobachtung, die wir auch durch Marktforschung global verifizieren konnten. Wir haben einige qualitative Studien und Interviews durchgeführt, um Erkenntnisse zu erlangen: Was treibt Menschen an? Was bewegt sie? Wie empfinden sie aktuell und auch schon vor Corona?
Wir hatten nicht geplant, zwei Umfrage-Wellen durchzuführen. Die erste Welle war Ende 2019 abgeschlossen und wir konnten "Human Touch" als weltweit relevantes Thema verifizieren. Dann kam die Pandemie und hat unser aller Leben auf den Kopf gestellt. Die zweite Welle wurde während Corona lanciert, um zu sehen, ob die Pandemie die Einstellung der Menschen zu diesem Thema verändert hat. Hier hat sich jedoch ein weiteres Mal bewahrheitet, sogar verstärkt bestätigt, dass "Hu-man Touch" – die menschliche Berührung relevanter ist als je zuvor. Fast jede*r Zweite sagt, sich noch nie so einsam im Leben gefühlt zu haben wie während der Pandemie. Indessen konnten wir weitreichende Erkenntnisse zu den positiven Effekten von menschlicher Berührung erlangen, sie hat einen enormen Einfluss auf die Gesundheit, Psyche & Physis und das Glücklichsein.

Sie haben schon gesagt, dass die Corona-Pandemie dazwischenkam. Ich vermute, dass es auch vor der Frage, ob eine zweite Welle durchgeführt wird, intensive Diskussionen gab. Vielleicht erzählen Sie einmal über diese Diskussion.
Frau Gollnick: Es war ursprünglich geplant, nur eine Untersuchung durchzuführen. Beiersdorf wollte das Thema menschliche Berührung verstehen und sehen, wie relevant es ist, aber auch welche Barrieren es gibt. Besteht ein Spannungsfeld zwischen dem, was die Menschen erleben und dem, was sie sich wünschen?
Ende des Jahres waren alle Ergebnisse da, der Launch vorbereitet, die Pressekon-ferenz geplant und dann kam Corona. Folgerichtig wurde erst einmal alles gestoppt.
Aber die Pandemie hat auch neue Fragen aufgeworfen: Wie wichtig ist uns menschliche Berührung in Zeiten von Corona? Wann soll und wann darf man dar-über reden, die Menschen zu mehr Berührung zu motivieren? Das war der Startpunkt der zweiten Studie.
Jetzt ist der Impfstoff da und es ist absehbar, dass diese Pandemie hoffentlich bald ein Ende nehmen wird. Dementsprechend erscheint jetzt für uns alle der richtige Zeitpunkt, mit dem Thema an die Öffentlichkeit zu treten.
Frau Fordkort: Natürlich haben wir es intern intensiv diskutiert. Wir hatten die Ergebnisse aus der ersten Welle vor der Pandemie analysiert und gesehen, dass das Thema 'Human Touch' global relevant ist und an Wichtigkeit gewinnt, was für die globale Marke Nivea ein wichtiger Faktor ist.
Jedoch waren die Verläufe der Corona Pandemie in den Ländern sehr unterschiedlich. Während China allen Anschein nach schon durch das Schlimmste durch war, erreichte die Lage in Deutschland ihren Peak. In Brasilien sah es noch einmal ganz anders aus. Das heißt, dass wir uns auch angeschaut haben, wo das jeweilige Land und die Konsument*innen standen, welche Einschränkungen galten und vieles mehr. Das Tracking hat bestätigt, dass "Human Touch" für die Konsument*innen immer wichtiger wurde. Die Ergebnisse haben deutlich gezeigt, dass das Thema Einsamkeit insbesondere in der Pandemie ein noch größeres Thema geworden ist. Die "menschliche Berührung" ist für alle wichtig – vor allem während Corona. Die zweite Welle hat gezeigt, dass "Human Touch" eines der Top-Needs der Menschen weltweit ist und auch in der Pandemie noch relevanter geworden ist. Die Ergebnisse haben uns bestärkt, dass 'Human Touch' als Purpose für Nivea sehr gut passt.
Was uns als marktforschung.de besonders interessiert, ist die Bedeutung der Marktforschungsstudie in diesem Kontext. Das Thema kann man ja auch ohne Marktforschungsstudie spielen. Ging es nur darum, mit den Studienergebnissen in die Presse zu kommen?
Frau Fordkort: Wir nennen uns selbst eine Consumer-Company, das heißt für uns stehen die Konsument*innen an allererster Stelle. Nivea ist das Herz von Beiersdorf, somit hat der Purpose, also das, wofür Nivea steht und warum es die Marke gibt, einen sehr hohen Stellenwert für uns.
Das ist zum einen der Purpose und zum anderen möchte Beiersdorf als großes Unternehmen etwas an die Gesellschaft zurückgeben. Bis 2025 investieren wir 20 Millionen Euro in Projekte, die "Skin-to-skin Care Programme" fördern. Wir haben durch unsere Studien gesehen, dass die gesundheitlichen Vorteile menschlicher Berührung sehr stark sind. Deswegen haben wir auch den Dokumentarfilm zum Thema Frühgeborene gedreht – wir wollen uns diesbezüglich engagieren. Wir wissen, dass Frühchen besser beziehungsweise gesund aufwachsen durch direkte Hautberührung. Bei Demenzkranken und Sehbehinderten ist der positive Effekt von menschlicher Berührung ebenfalls nachgewiesen, daher möchten wir uns hier auch engagieren und etwas zurückgeben.
Sie haben gesagt, die Pandemie war in unterschiedlichen Ländern in unterschiedlichen Stadien. Was mich interessieren würde: Welche grundlegenden Unterschiede haben Sie zwischen den Ländern gefunden? Unabhängig von der Pandemie. Beim Thema "Human Touch" waren wir Deutsche in der Vergangenheit nicht immer ganz vorne dabei. Wobei ich das Gefühl hatte, wir kamen da gerade so auf ein Niveau, wo man sagte, wir sind schon fast südländisch. Wie unterscheiden sich die Länder, welche Muster lassen sich erkennen?
Frau Gollnick: Wie zu erwarten, gibt es sehr große Unterschiede in dem Grad der erlebten menschlichen Berührung. Wir haben mit Hilfe eines "Touch-Diaries" die Menschen gefragt: "Was hast du am Tag vor dem Interview an "persönlichen" Begegnungen erlebt?" Angefangen bei "Ich habe eine Text-Message bekommen" über "Ich habe Hände geschüttelt" bis hin zu "Ich bin lange in den Arm genommen worden". Das Ergebnis: Italien und Brasilien bilden die Spitze als sehr berührungs-affine Kulturen. Während es in anderen Ländern, neben asiatischen auch zum Beispiel die Commonwealth-Länder wie die UK, eher distanziert zugeht. Dort ist es nicht normal, sich mal einfach in den Arm zu nehmen, vor allem jenseits der Kernfamilie. Deutschland war im globalen Kontext unterdurchschnittlich berührungs-affin, aber immer noch stärker als zum Beispiel England.
Wenn es aber um die Wünsche geht, sind sich alle Länder und alle Zielgruppen sehr einig: "Ja, ich wünsche mir mehr." Selbst in Brasilien und Italien wünschen sich viele noch mehr menschliche Berührung – Ältere genauso wie Jüngere, Frauen wie Männer. Viele Frauen nehmen sich häufig und regelmäßig in den Arm. Aber wie sieht es mit den Männern aus? Tatsächlich erfahren Frauen mehr Berührung als Männer, aber der Wunsch nach mehr "Human Touch" ist bei allen gleich stark ausgeprägt.

Jetzt gehen wir davon aus, dass wir uns ab dem Herbst wieder begegnen können: Was für Effekte erwarten Sie? Herzen wir dann viel mehr, kommen wir auf das alte Niveau zurück oder haben sich Dinge verfremdet? Zum Beispiel Händeschütteln: Ich vermute, dass das nie wieder so sein wird wie vor der Pandemie.
Frau Gollnick: Auch das war ein Thema unserer zweiten Studie. Wir erwarten tat-sächlich, dass wir uns in der Pandemie die Berührung zu einem Stück weit abtrai-niert haben.
Es gibt klare Signale in den Daten, dass vor allem die Berührungen im sogenannten Outer-Circle, also außerhalb des engen Familienkreises, dauerhaft zurückgehen wird.
Im Inner-Circle dagegen, hat uns der erzwungene Verzicht bewusst gemacht, wie wichtig menschliche Berührung ist.
Und daraus ergibt sich ein wichtiger Watch-out, der die gesellschaftliche Relevanz des Themas ausmacht: Wenn wir alle in großen Haushalten mit vier oder mehr Personen leben würden, wäre diese Entwicklung nicht so schlimm. Hier würden in der Regel alle ihren Anteil an menschlicher Berührung bekommen, den sie brauchen.
Aber was ist mit den Singles, egal ob jung oder alt? Oder den Alleinerziehenden. In diesen Gruppen sehen wir sehr deutlich, dass eine starke Vereinsamung während der Pandemie stattgefunden hat, da kein gemeinschaftliches Erwachsenenleben mehr stattfindet. Und dem gilt es nach der Pandemie entgegenzuwirken.

In dem Bericht hieß es, dass mehr digitale, virtuelle Möglichkeiten miteinander in Kontakt zu treten zu weniger Empathie führen soll. Zumindest sehen das 80 Prozent der Befragten. Für mich war das überraschend, weil ich das eine mit dem anderen tatsächlich nicht in Verbindung gebracht hätte. Können Sie das auflösen? Gibt es da was aus der qualitativen Phase dazu? Ich habe das Gefühl, dass das Virtuelle im Moment wahnsinnig dabei hilft, die Lockdown-Vereinsamung zu überbrücken, auch im privaten Umfeld mit Freunden, Bekannten, Alleinerziehenden oder Singles.
Frau Gollnick: Ja, Sie haben vollkommen Recht. Während der Pandemie sind virtuelle Begegnungen hilfreich. Das Ergebnis stammt aber aus der ersten Studie, vor der Pandemie. Viele Menschen haben die Erfahrung gemacht, dass persönliche Treffen durch Textnachrichten ersetzt werden. Und so geht verloren, dass man wirklich spürt, wie es dem anderen geht. Im Sinne von: Ich schau dir in die Augen und erkenne, dass es dir nicht gut geht, auch wenn du mir etwas anderes sagst. Diese Bild-Ton-Scheren zu erkennen und darauf adäquat zu reagieren, verlernen wir in Zeiten von rein virtuellen Begegnungen.
Frau Fordkort: Der virtuelle Weg ist derzeit die einzige Möglichkeit, in Kontakt zu bleiben. Aber es ist einfach eine andere Art von Kontakt – Körpersprache, Gestik, und die Kommunikation an sich sind verändert. Ich gehe mehr auf mein Gegenüber ein, wenn wir im direkten Kontakt und Austausch stehen. Daher büßt die Empathie durch die Digitalisierung ein. Das ist, glaube ich, ein natürliches Phänomen, was durch die Pandemie verstärkt wurde.
Sie haben mit Mindline ein Institut für eine weltweite Studie beauftragt, das weltweit kaum bekannt ist. Es hätte ja auch globale Player wie Gallup, Ipsos etc. gegeben. Vielleicht können Sie einmal erklären, warum die Wahl auf Mindline gefallen ist?
Frau Fordkort: Wir arbeiten mit großen und kleinen, bekannten und unbekannteren Instituten zusammen. Was für uns zählt, ist die Qualität, die Partnerschaftlichkeit und die Zusammenarbeit. Und natürlich, dass das Institut ein globales Mindset hat. Das erfüllt Mindline. Mindline ist für uns schon jahrelang eine starke Unterstützung bei vielen Themen, die eine Menge Know-how im Consulting mitbringt. Es geht nicht nur um Marktforschung, sondern auch um Beratung, was uns bei diesem Projekt außerordentlich wichtig war.


/pj
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