Bericht von der IIEX Europe 2023 AI kills the research star

Waren die Marktforschenden 2020 noch im KI-Fieber auf der IIEX in Amsterdam, so scheint die Branche jetzt die KI-Pandemie mit unklarem Ausgang zu erfassen. Außerdem finden erstaunlich viele deutsche Marktforschende den Weg in die Grachtenstadt, um Inspiration abseits der Landesgrenzen zu finden. Eindrücke und Bilder von der IIEX 2023.

Der Versuch mittels der KI-Anwendung Dall-E ein fotorealistisches Bild von Steve Philipps von Zappi mit Kampfflugzeugen zu kombinieren. Leider hat keine der abgebildeten Personen Ähnlichkeit mit dem gemeinten Steve Philipps.

Warum GPT-3 die Marktforschenden umbringen wird

So lautete übersetzt der Titel des Vortrags von Steve Philipps, seines Zeichens, CEO von Zappi, einer automatisierten Plattform, um Marktforschungsstudien durchzuführen. Sein Vortrag formulierte am deutlichsten, welcher Elefant an den zwei Tagen im altehrwürdigen Gebäude Beurs van Berlage in Amsterdam allgegenwärtig war: Die Angst, dass die Entwicklungen im Bereich KI die Marktforschungswelt nachhaltig erschüttern und spürbar verkleinern werden. Seine Botschaft:

KI wird jede einzelne Phase des Forschungsprozess disruptieren. Angefangen vom Schreiben eines Angebots bis hin zu den Umsetzungsempfehlungen. Schon heute würde KI bessere und schnellere Ergebnisse liefern.

Steve Philipps von Zappi sprach am deutlichsten aus, was viele befürchten: GPT-3 wird die Marktforschenden disruptieren. (Foto: Holger Geißler)

Und außerdem würden KI-gesteuerte Kampfjets bereits jeden Elitepiloten der US-Airforce outperformen. Auch auf Auftraggeberseite würde KI die Teams deutlich durcheinander würfeln, weil durch KI deutlich weniger Insights Manager benötigt würden. Eigentlich bräuchte man nur noch Mitarbeitende, die die KI bedienen können. Und diese auch nur noch so lange, bis das die KI nicht selbst erledigt.

Menschliche Eigenschaften wie Kreativität, Empathie, Umsetzungsstärke? Ein positiver Ausblick für die Branche? Fehlanzeige, zumindest nicht in der Präsentation von Steve Philipps, der aber auch in der Vergangenheit schon ähnlich klare und düstere Prognosen für die Marktforschung postuliert hatte. Und ob sich die Kampfjet-Analogie auf die Insights Industry 1:1 übertragen lässt, wurde von Besuchenden ebenfalls in Frage gestellt.

Immerhin kann die KI noch nicht schmecken

Aber auch alteingessene Institute wie beispielsweise Nielsen IQ, mittlerweile kurz NIQ, beschäftigen sich mit KI. NIQ hat eine KI entwickelt, die - ähnlich wie der Ansatz des deutschen Start-ups Aimpower - automatisiert und fast ohne Befragte Stimuli testet. Konkret beschäftigt sich Nielsen mit dem Test von Geschmacksrichtungen. Gemeinsam mit seinem Kunden Mondelez stellte Chris Sinclair, Global Head of Sensor & Product Optimisation von NIQ Bases, einen Pilottest vor, der anhand der KI Geschmacksrichtungen von Süßigkeiten evaluierte, mit Marktdaten abgleicht und Potenziale für neue Süßwaren aufzeigt. Da die KI aber noch nicht schmecken kann, braucht der Test immerhin noch 20 Testpersonen, welche die Testproben anhand ihrer Geschmacksrichtungen klassifizieren. Ab diesem Moment übernimmt die trainierte KI und liefert Ergebnisse für 37 Märkte. Ungefähr ein bis zwei Monate würde sich dadurch der Entwicklungsprozess verkürzen, so Jana Haran von Mondelez. Und die Ergebnisse seien faktisch identisch mit einem traditionellen Vergleichstest, den das Unternehmen parallel durchführen ließ. NIQ bastelt gerade daran, die KI auch für Personal Care, Home Care und sogar den Bereich Duft zu erweitern.

Hoher Drop Out bei Augmented Reality in Fragebögen

Getestet wurde auch an vielen anderen Stellen auf der IIEX: Alexandra Kuzmina von Nova@MMR versuchte sich in einem experimentellen Design für ihren Kunden Heineken daran, zum einem mittels Augmented Reality (AR) und zum anderen mit AI-produzierten Video-Avataren Umfragen menschlicher und motivierender zu gestalten. Am besten kam die Bedingung an, in der eine mittels Augmented Reality eingespielte Interviewerin in die Befragung einführte. Allerdings nur bei denjenigen, die auch bis zum Ende der Umfrage durchhielten. Der Drop out in der AR-Bedingung war mit 93 Prozent extrem hoch, weswegen die Video-Avatare und die bekannte schriftliche Einführung in den Fragebogen am Ende doch praktikabler erschienen.

Teilhabe an Befragungen für alle

Verschiedene Präsentationen gab es auch zum Thema Inklusion von Befragten. Auch Menschen mit Behinderung soll die Teilhabe an Umfragen ermöglicht werden. So führte Florian Preusser, Projekt Manager bei Kantar UK, eine Studie durch, um herauszufinden, welche Skalentypen für Menschen mit Sehbehinderung besonders schwierig und leicht zu beantworten sind.

LaShanda Seaman von Opinium zeigte auf, wie mittels WhatsApp junge Menschen, die häufig in Umfragen unterrepräsentiert sind, einbezogen werden können.

Ein Kessel Buntes

Neben harter empirischer Kost und KI-Panikmache gab es auf der IIEX auch wieder viel Buntes zu sehen. So zum Beispiel ein sehr unterhaltsamer Vortrag von Viket Benzesin, D2C Customer Journey Manager bei Mars Petcare, zu den Ähnlichkeiten zwischen Comedy und Marktforschung. Benzesin ist in ihrer Freizeit Stand-up Comedian und zeigte auf, dass Forschungsarbeit und die Suche nach der besten Pointe auffallend viele Parallelen aufweisen.

Bunt dürften für viele Marktforschenden auch die Ausflüge ins Metaverse oder in die Tiefen von Tiktok gewesen sein, die allerdings größtenteils noch von Marketingagenturen und nicht von Instituten vorgestellt wurden.

Die Deutschen trauen sich wieder über die Grenze

Mit mehr als 700 Besuchenden war die zehnte IIEX deutlich besser besucht als noch im vergangenen Jahr (2022: 400-500 Personen). Auffällig groß diesmal die Besuchergruppe aus Deutschland, die 2022 gefühlt noch in einen Mercedes Vito gepasst hätte. 2023 wäre dagegen ein großer Reisebus randvoll gewesen. Besonders auffällig war, dass viele Führungskräfte kleiner und mittelgroßer deutscher Institute die Reise nach Amsterdam auf sich nahmen, um sich inspirieren zu lassen und mitzubekommen, wohin die Marktforschungsbranche laufen könnte.

Auch zwei Gewinner des Start-up Pitches von marktforschung.de waren mit Beiträgen auf der IIEX vertreten: Aimpower stellte erneut gemeinsam mit Henkel vor, wie das Unternehmen mittels AI die perfekte Shopper Experience generiert. Die Mainzer Horizon präsentierte mit ihrem Kunden Cosnova das Thema "Integrating Real Behavioral Data Into Consumer Insights".

An den zahlreichen Ausstellungskiosken zeigten sich die Merchandisingtrends für 2023: Neben Thermobechern & Notizbüchern konnten sich die Besuchenden mit Socken, T-Shirts, Hoodies und Umhängetaschen diesmal fast komplett einkleiden lassen.

 

Über die Person

Holger Geißler ist Geschäftsführer und Mitgründer des Smart News Fachverlag, der die beiden Branchenportal marktforschung.de und CONSULTING.de betreibt. Er ist außerdem Mitglied in der Geschäftsführung der succeet GmbH, Veranstalter der Leitmesse der Insight Industry.

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