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Interview zum DGOF-Workshop Advanced & Predictive Analytics: Mit der modernen Erfolgsfaktorenforschung auf der Insights-Überholspur?

Philipp Fessler (li.) und Dr. Steffen Schmidt, LINK Institut
marktforschung.de: Am 29. Oktober bieten Sie in den Räumlichkeiten der DGOF einen Workshop an, dessen Thema uns Anlass zum Nachhaken lieferte. Schon im Titel versprechen Sie den Teilnehmern, es "mit der modernen Erfolgsfaktorenforschung auf die Insights-Überholspur" zu bringen. Viele Institute behaupten, den ganz besonders modernen Stein des Weisen gefunden zu haben. Sie sprechen aber in der Ankündigung gleichzeitig vielen Analysemethoden die Befähigung ab, bei komplexen Wirkungsanalysen zu helfen. Warum versagen Ihrer Meinung nach klassische Standardanalysen?
Dr. Steffen Schmidt: Es gibt verschiedene Schwachstellen klassischer Analyseverfahren wie lineare multiple Regressionsanalysen und Korrelationsanalysen, die originär auch nicht für die Erfolgsfaktorenforschung gedacht gewesen sind. Das Grundproblem ist, dass diese keine kausalen mehrschichtigen Strukturen abbilden und schätzen können. Abgesehen davon, dass Korrelationen massenweise auftreten und häufig dem Zufall geschuldet sind, ergo keine Kausalität anzeigen. Auf diesem einfachen analytischen Wege sind keine validen Rückschlüsse über die Erfolgsursachen eines Unternehmens möglich und systematische Entscheidungsfehler vorprogrammiert. Manager agieren in komplexen Systemen mit vielen direkten, aber vor allem indirekten Wirkungseffekten, häufig auch zeitverzögert. Derartige vielschichtige Beziehungsmuster können mit modernen Analyseverfahren wie Partial Least Squares (PLS) und Künstliche Neuronale Netze (KNN) problemlos analysiert und evidenzorientierte Insights generiert werden.
marktforschung.de: Was kann eine bessere Erfolgsfaktorenanalyse mehr, welche Erkenntnisse liefert sie zusätzlich?
Philipp Fessler: Eine geeignete Erfolgsfaktorenanalyse kann neben dem Aufstellen eines komplexen Wirkungsmodells dieses nicht nur erklären, sondern vor allem auch Vorhersagen bezüglich einer Zielgröße treffen, wenn die Erfolgstreiber eine bestimmte Konstellation haben. Dazu wird eine formative Messmodellierung benötigt. Klassische Analyseverfahren basieren aber auf einer reflektiven Schätzung. Darüber hinaus sind vor allem KNN in der Lage, nicht-lineare Effekte und Interaktionseffekte zu identifizieren, ohne dass diese vorab bestimmt werden müssten. Diese Effekte machen häufig 50 Prozent der gesamten Wirkung aus. Werden diese übersehen, kommt es zu einer Überschätzung oder -unterschätzung der Wirkung potentieller Erfolgstreiber, was wiederum zu einem systematischen Entscheidungsfehler führt. Wir reden dann hier davon, die versteckten und erfolgskritischen Wirkungshebel zu identifizieren.
marktforschung.de: Können Sie ein paar Sätze sagen zu neuen Verfahren in der Forschung? Was sind künstliche neuronale Netze, über die Sie im Workshop sprechen werden?
Dr. Steffen Schmidt: Wir stellen Methoden vor, mit denen multikriterielle, kausalanalytische Marketing- und Managemententscheidungsmodelle ganzheitlich und einfach untersucht werden können. Künstliche Neuronale Netze sind dabei besonders leistungsstark, selbst aber nicht wirklich neu. In den letzten 20 Jahren gab es hierzu eine unglaublich positive Weiterentwicklung, was die Leistungsfähigkeit aber auch Praktikabilität angeht. Es ist heutzutage nicht mehr notwendig, ein IT- oder Statistik-Nerd zu sein, um derartige Analysen durchzuführen. Gesunder Managementverstand reicht, den Rest übernehmen einfach zu bedienende Softwarelösungen wie SmartPLS und Neusrel. Letztgenannte Software ermöglicht eine selbstlernende Treiberanalyse, die auf moderne Algorithmen des Machine Learnings aufsetzt.
marktforschung.de: Können Sie uns Beispiele nennen, wo Methoden aus dem Bereich Advanced Analytics Unternehmen ganz neue Erkenntnisse gebracht haben?
Philipp Fessler: Ein erfolgreiches Praxisbeispiel ist der nachhaltige Erfolg von T-Mobile USA, bei dem der Neusrel-Ansatz "versteckte" Customer Insights aufzeigen konnte, die von klassischen Analyseverfahren wie lineare multiple Regressionsanalyse nicht aufgezeigt werden konnten. Bereits im Jahre 2013 hatte T-Mobile USA die Strategie umgestellt und erste positive Ergebnisse stellten sich ein. Der Neusrel-Ansatz zeigte aber auf, dass keiner vorgenommen Produktänderungen direkt den Erfolg verursachte. In erster Linie waren es Änderungen wie das Abschaffen der Vertragsbindung, die einen starken indirekten Effekt hatten. Es war für T-Mobile USA die evidenzorientierte Entscheidungsgrundlage für das neu initiierte Robin-Hood-Image, also der "Befreiung" von ärgerlichen Hindernissen wie beispielsweise Datenbeschränkung und Sondergebühren. Aufbauend auf dieser Erkenntnis entwickelte T-Mobile USA die "Un-carrier"-Marketingstrategie, die eine Verdopplung des Umsatzes in nur vier Jahren zur Folge hatte und mittlerweile T-Mobile USA als unangefochtene Nummer 3 im US-Markt etabliert. Dieses Beispiel zeigt recht eindrucksvoll: Leistungsstärkere Verfahren wie PLS und KNN erklären im Durchschnitt zwei bis dreimal besser, warum Kunden etwas kaufen oder eben nicht. Die Konsequenz: Eine evidenzorientierte Entscheidungsbasis, die wirkungsvollere Managementmaßnahmen ermöglicht.
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