ABC-/CBC-Chinesen – nicht nur für die Marktforschung relevant

Ca. 50 Millionen Auslandschinesen verfügen über erhebliche wirtschaftliche Macht in ihrer neuen Heimat wie auch in der VR China. Zu diskreten Eliten aufgestiegen, ziehen sie an ganz großen Strippen und bestimmen zunehmend nationale wie transnationale Trends bei Konsum und Investitionen. Ihr privates wie institutionelles Wirtschaftsgebaren bleibt genuin chinesisch geprägt.

„Drei Chinesen und ein Kontrabass, saßen auf der Straße und erzählten sich was…“ Vorbei sind solche niedlichen Zeiten. Schon eher spielen sie die ersten Geigen in Forschungslabors, Anwaltskanzleien, Investmentbanken, Vorstandsetagen und Luxusautohäusern ihrer Gastländer.

Je nach Erfassungsmethode sprechen wir von 30-50 Millionen Auslandschinesen in 136 Ländern. Keine andere Nation hat es mengenmäßig und vom Einfluss her zu solcher weltweiten Präsenz gebracht und dabei über Generationen hinweg ihre kulturelle Identität gepflegt.

„Bananen“ werden sie von den eigenen Landsleuten verspottet: Außen gelb, innen angeblich aber inzwischen weiß; das ist gemein und unzutreffend. Chinesische Verhaltensmuster halten sich robust über Generationen, auch in fernen Ländern. Durchaus zum Kummer ihrer neuen Landsleute. Selbst nennen sie sich lieber ABC „American born Chinese“, oder CBC „Canadian born Chinese“. Generisch „OSC“ : Overseas Chinese. Mit Stolz, unter Hinweis auf ihre kulturellen, sprich chinesischen Wurzeln in Verbindung mit westlichem Flair und Wissen; überdurchschnittlich oft gekrönt durch einen Abschluss aus Eliteuniversitäten wie Stanford, Oxford oder UBC (University of British Columbia). Sie wachsen von Kindesbeinen an drei- bis viersprachig auf und lernen Guanxi, Mianzi mit „time is money“ und „a sus órdenes“ situativ adäquat einzusetzen.

Die Volksrepublik China unterhält ein eigens für jene „OSC“ eingerichtetes Büro, das „Overseas Chinese Affairs Office“, das sich um die Beziehungspflege zu den Landsleuten in der Fremde kümmert. Die Taiwan-Regierung betreibt, sagen wir mal im sportlichen Wettbewerb, ebenfalls einen „Overseas Community Affairs Council“. Nicht nur aus romantischer Verbundenheit. Da spielen handfeste ökonomische und politische Interessen mit.

Auf den Philippinen leben ca. 1 Mio. ethnische Chinesen, deren Familien jedoch geschätzt 60% der Privatwirtschaft kontrollieren. In Indonesien machen chinastämmige Einwohner 4-6 % der Bevölkerung aus, die ca. 70% der dortigen Privatinvestitionen in der Hand halten. Tendenziell bestehen ähnliche ökomische Kraftverhältnisse in Malaysia, Thailand und früher in Vietnam. Trotz formeller Integration haben sich ethnisch nur moderat vermischte, untereinander und international vernetzte (siehe „Guanxi“) Chinesenbeziehungsgeflechte von Unternehmern und Händlern ergeben. Ihre abgeschirmten Wirtschaftsnetzwerke in Verbindung mit ökonomischem Erfolg erweisen sich als zweischneidiges Schwert. Neid, Misstrauen und Subversionsgerüchte haben wiederholt antichinesische Pogrome in Indonesien, Malaysia und Philippinen entfacht.

Noch leben die größten Auslandschinesengemeinden in Asien, jeweils in Mio. Thailand: 9,3 ; Indonesien: bis zu 8,0 geschätzt; Malaysien: 6,9. Singapur stellte einen Sonderfall dar, in dem über 70% der Bevölkerung chinesische Wurzeln hat und vom Wertesystem her einen de facto chinesischen Staat bilden, selbst wenn die Regierung die multikulturelle Prägung Singapurs betont.

In den USA leben 3,8 Mio. Chinesen, in Kanada 1,5 Mio., gefolgt von Burma mit 1,5 und Peru 1,3 Mio. An der Westküste Nordamerikas ist ihr wirtschaftlicher Einfluss inzwischen so bedeutsam, dass sich auf Chinesen und andere Asieneinwanderer spezialisierte Marktforschungsfirmen und Marketingstrategien etabliert haben. Mit Schwerpunkten im Bereich Bildung, Finanzanlagen und Luxusgüter von Auto über Immobilien bis zu Weltreisen. Besonders schnell an Zahl und Einfluss auf die lokale Wirtschaft gewinnen Chinesen zudem im fernöstlichen Russland und in den rohstoffreichen Ländern Afrikas.

Mit anderen Worten: Wer die fundamentalen Marktreiber in jenen Regionen studiert, tut gut daran, sich mit den chinesischen Populationen vor Ort zu besonders zu befassen, in ihrer Funktion als langfristige, transnationale Trendsetter. In den Asiatisch-Pazifischen Anrainerstaaten und, besonders aktuell: Afrika.

Doch auch im chinesischen Mutterland wird die Handschrift der multikulturell befähigten Auslandschinesen deutlich. Mit dem Unterschied, dass jene ihr Guanxi-System dort auf die politische Kaste ausdehnen. Nach der zunächst eher experimentellen Öffnung Chinas 1979 durch Deng Xiaopings Reformen, stammten bis 1997 Zweidrittel jener Hunderten Milliarden Dollar, die aus dem Ausland nach China als Investitionen geflossen waren, von Auslandschinesen, einschließlich der Investoren aus Hong Kong und Taiwan. Es sind chinesische Weltbürger mit anderen Pässen, jedoch mit über das rein Kommerzielle hinausgehender Verbundenheit für das Ursprungsland ihrer Vorfahren.

Eine Spezies für sich stellt die jüngste Generation an Auslandschinesen dar, die besonders sichtbar ist: Jene in den letzten drei Jahrzehnten zu Geld gekommen Festlandschinesen, die sich mit ihren Vermögen im Ausland Aufenthaltsgenehmigungen kaufen: Sei es in den USA und Kanada mit sog. „Investorenvisa“, z.B. dem amerikanischen „EB-5 Visa“, oder mittels „goldener Pässe“ wie sie einige europäische Länder zahlungskräftigen Nichteuropäern ausstellen (siehe auch „Chinesische Reisende“). Da die VR China keine Doppelstaatsbürgerschaft kennt - obwohl es diese ganz offensichtlich gibt und toleriert wird - lassen jene neuen „Fast-Auslandschinesen“ es offiziell bei ihrem Heimatpass, und bürgern stattdessen Ehegatten und/oder Kinder aus. Womit sie mehrere Ziele verfolgen: Streuung des Vermögens, Zweit- und Drittwohnsitz im Ausland in sauberer Luft und im Genuss weniger toxisch befrachteter Lebensmittel, Zugang der Kinder zu westlichen Erziehungssystemen und lokalen Wirtschaftskreisen (plus vielleicht auch etwas Steuerflucht?).

Die China Merchants Bank hat zusammen mit Bains & Co im letzten Jahr eine Studie unter Festlandschinesen durchgeführt, die mehr als 1,2 Mio. Euro Barmittel verfügen. Von diesen gaben 60% an, sich mit Auswanderungsgedanken zu tragen. Vermutlich eine weitere Auslandschinesenreisewelle steht bevor - wieder ohne Kontrabass, aber mit Know-how, weitreichenden Geschäftsbeziehungen zu zig- wenn nicht Hunderten anderen Chinesen, und vermutlich stärker chinesisch eingefärbten Verhaltensmustern, als ihnen selbst bewusst ist.

Dafür sind ja sensible Marktforscher und Marktversteher da.

 

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