"Blick über den großen Teich" – GreenBook-Blog 4 Tipps: So bleibt der Mensch im Zentrum der Marktforschung

Welches Wort kommt ihnen als erstes in den Sinn, wenn sie an Marktforschung denken? Diese Frage haben wir Marktforschern, Innovatoren und Kundenexperten auf der Insight Innovation Exchange Conference (IleX) in Amsterdam gestellt.
"Daten", rief ein großer Herr in den hinteren Reihen.
"Zahlen!" "Insights!" hallte es durch den Raum.
"Technologie und Innovation" rief ein anderer. Das waren erwartbare Aussagen auf einer der größten und einflussreichsten Konferenzen für Technologie und Innovation in der Marktforschung. Technologie und Innovation waren schließlich die zentralen Themen jedes anderen Vortrags auf der Konferenz.
Aber wie sieht es mit den Menschen aus?
Wenn es bei der Marktforschung darum geht, die Einstellungen, Emotionen, Motivationen und Verhaltensweisen von Menschen besser zu verstehen, wohin ist dann der Fokus auf die Menschen selbst verschwunden? Wo sind wir hingekommen, wenn das Wort "Menschen" nicht einmal mehr unter den häufigsten Assoziationen zum Thema Marktforschung auftaucht?
Das Aufkommen der Automatisierung und des Machine Learning hat die Branche in den letzten 30 Jahren vollständig verändert und neuen, spannenden Methoden wie dem Passive Metering, dem Eye Tracking und sogar Online Communities den Weg geebnet. Wir leben wohl in einer der spannendsten Zeiten, die die Branche je erlebt hat. Aber bringen uns all diese Technologien wirklich näher an die Menschen ran, die wir so begierig sind zu verstehen?
Das Argument pro Technologie und Innovation in der Marktforschung besteht darin, dass sie uns schneller bessere und größere Mengen an Daten liefen können. Es gab Zeiten, da waren Daten teuer und bedurften aufwändiger Methoden, um sie zu erhalten. Nun sind sie billig und so gut wie überall. Aber was stellen wir mit all diesen Daten an? Zum Glück haben sich unsere Analysewerkzeuge gleichzeitig und ähnlich schnell weiterentwickelt. Daher haben wir nun nicht einfach Insights, sondern Unmengen an Insights! Das ist doch großartig, oder? Danke schön, Technologie!
Aber wie aufschlussreich sind all diese Insights, wenn wir uns nicht die Zeit nehmen, die Menschen und ihre Kontexte zu verstehen, die hinter diesen Insights stehen? Sollten sich Marktforscher bei der Planung und Gestaltung ihrer Projekte nicht beständig fragen: Wo bleiben die Menschen in dieser technologiezentrierten Marktforscherwelt?
Aber lassen Sie uns einen Schritt weitergehen. Um tatsächlich einen auf Menschen ausgerichteten Ansatz in der Planung und Gestaltung von Marktforschung zu verfolgen, müssen wir uns eine ganz andere Frage stellen: Wo lassen sich Technologie und Innovation im Alltagsleben der Menschen antreffen?
Anhand dieser einfachen Frage haben wir begonnen, unseren Ansatz in der Marktforschung ganz neu auf den Menschen auszurichten. Und je mehr wir dies taten, desto deutlicher wurde uns, dass uns diese Ausrichtung tatsächlich besser dabei hilft, Menschen zu verstehen – besser jedenfalls als dies technologiezentrierte Ansätze zu leisten im Stande sind.
Hier sind 4 Tipps, wie Sie einen am Menschen ausgerichteten Marktforschungsansatz in ihrem Unternehmen anwenden und nutzen können:
1. Holen Sie Menschen in ihrem bevorzugten Medienumfeld ab.
Einer der größten Nachrichtendienste im Vereinigten Königreich kam auf uns zu, um ihnen dabei zu helfen, ihre Follower bei Snapchat besser zu verstehen. Sie wussten, wie viele Leute ihnen folgten, aber nichts über diese Leute. Da wir wussten, dass es schwierig sein würde, ihre Snapchat-Follower über ein Rekrutierungsforum zu erreichen, haben wir einfach einen Rekrutierungsflyer auf Snapchat Discover gepostet.
Das Ergebnis? Über 300 Leute meldeten sich innerhalb von 36 Stunden. Wir nutzten Snapchat also nicht nur als Rekrutierungstool, sondern wir integrierten es auch in unsere Vorgehensweise. Diese bereits sehr aktive Personengruppe versorgte uns über das gesamte Projekt hinweg mit aufschlussreichen Snaps.
2. Auch wenn Sie mit Menschen virtuell kommunizieren, versuchen Sie sich ein Bild von deren echtem Leben zu machen.
Über sich selbst zu reden ist nicht jedermanns Sache – und seien wir mal ehrlich: "Erzählen Sie mal etwas über sich selbst" fühlt sich mehr nach einem Bewerbungsgespräch als nach einer ehrlichen Erkundigung an, bei der es tatsächlich darauf ankommt, eine engere Beziehung und Verständnis aufzubauen. Die meisten Millenials dürften den Film 50 Erste Dates mit Adam Sandler und Drew Barrymore kennen und genau dieser Film kann uns als Inspiration für die vertrackte Aufgabe des Kennenlernens dienen. Wir bitten Leute, sich vorzustellen, dass sie unter chronischem Gedächtnisverlust leiden und dass der einzige Weg, ein relativ normales Leben zu führen, darin besteht, ein Video von sich hochzuladen, das ihnen darüber Auskunft gibt, wie ihr Leben aussieht, sodass sie es sich jeden Morgen anschauen und sich daran erinnern können, wer sie sind. Diese spielerische Aufgabe bringt selbst die schüchternsten und zurückhaltendsten Menschen dazu, sich zu öffnen und erlaubt uns zu verstehen, wer sie wirklich sind und und wie sie leben.
3. Bringen Sie Technologien zu den Leuten nach Hause für avancierte Face-to-Face Methoden.
Eine globale Biermarke beauftragte uns, kreative Tests für einen neuen Werbespot durchzuführen. Zunächst schlugen sie vor, die Tests entweder mit einer Fokusgruppe oder mit der Online Community zu machen. Aber während sie versuchten, eine etwas ältere Gruppe anzusprechen, wussten wir, dass das nicht notwendigerweise die beste Option war. Wir ließen uns von der englischen Fernsehsendung Googlebox inspirieren. Dabei handelt es sich im Grunde genommen um eine Reality TV-Sendung, deren Prinzip darauf beruht, dass sie Menschen zeigt, die beliebte Fernsehsendungen bei sich zu Hause schauen. In dieser Sendung lachen, kommentieren und interagieren die TV-Zuschauer mit ihren Familien und Freunden ganz natürlich und spontan, während sie verschiedenste Sendungen schauen. Das Ergebnis ist eine überraschend interessante und oftmals urkomische Reality TV-Sendung – und ein noch überraschenderer Beweis für das Interesse eines breiten Publikums an menschlichem Verhalten.
Als Marktforscher wünschten wir uns auch genau solche Reaktionen. Also besuchten wir die Leute zu Hause mit dem Werbespot auf einem Tablet oder einer Videokamera. Wir baten sie, sich vorzustellen, sie seien bei der TV-Sendung Googlebox, den Werbespot mit ihren Freunden und Familien anzuschauen und zu kommentieren. Dabei herausgekommen ist unglaubliches Videomaterial von Leuten, die in ihrer privaten Umgebung auf den Spot reagieren und dabei echte Reaktionen in einem echten Setting lieferten.
4. Versetzen Sie sich zuerst in die Lage der Leute, um den besten Weg zu finden, sie zu erreichen.
Was passiert, wenn sie es mit einer besonders schwierigen und schwer zu erreichenden Gruppe von Leuten zu tun haben? Eine englische Regierungsbehörde kam mit einer kreativen Kampagne auf uns zu, die die gesamte Bevölkerung des Landes ansprechen sollte – inklusive marginalisierter Gruppen wie etwa Behinderte, Analphabeten, spezifische ethnische und religiöse Minderheiten und Flüchtlinge, die seit weniger als zwei Jahren im Land waren. Wo sollten wir demographische Daten über solche Nischengruppen erhalten? Und wie würden wir diese Gruppen am besten erreichen?
Wir fingen damit an, uns in ihre Lage zu versetzen. Mit wem standen sie bereits in Kontakt? Wem vertrauten sie und mit wem pflegten sie bereits engere Beziehungen? Als wir uns in ihre Lage versetzten, wurde uns klar, dass wir ganz und gar nicht die geeigneten Leuten waren, um diese Feldforschung durchzuführen.
Wir wussten, dass sie viel eher mit Religionsvertretern, NGOs, Wohltätigkeits- und Sozialarbeiten in Kontakt treten würden. Also warben wir fünf Gemeindeleiter aus dem ganzen Land an, um Interviews mit Leuten durchzuführen, von denen wir wussten, dass sie unsere Kriterien erfüllten. Die Gemeindeleiter erhielten eine ausführliche Schulung über Skype von uns, bei der wir ihnen beibrachten, wie sie den Interviews zu führen hätten. Sie zeichneten ihre Interviews auf Video auf, sodass wir sie später analysieren konnten.
Sie öffneten sich den Gemeindeleitern viel stärker, als sie dies gegenüber einem Fragensteller aus London je getan hätten. Die Gemeindeleiter ihrerseits gaben uns wertvolle Hintergrundinformationen, als sie uns ihre eigenen Ergebnisse und Eindrücke übermittelten. Auf diese Weise war es uns möglich, ein noch genaueres Verständnis unserer Zielgruppe zu erhalten.
In diesem Falle war Technologie nicht der richtige Weg, um diese spezifische Personengruppe anzusprechen. Allerdings war sie unfassbar hilfreich dabei, unsere Gemeindeleiter zu schulen.
Als wir diese Fallbeispiele auf der IleX Konferenz vorstellten, waren wir ziemlich überrascht, als wie innovativ ein am Menschen ausgerichteten Ansatz in der Marktforscherbranche aufgenommen wurde.
Und sollte das nicht eine grundsätzlichere Neuausrichtung nahelegen?
Auch wenn wir momentan in einer der spannendsten Zeiten für die Branche leben, sollten wir etwas Abstand vom Glanz der neuesten Technologie gewinnen und uns stattdessen fragen: Wo lassen sich Technologie und Innovation im Leben der Menschen antreffen? All die Daten und Insights, die die Welt bereithält, sind doch letztlich bedeutungslos, wenn wir nicht versuchen, den Hintergrund der Menschen zu verstehen, die wir erreichen wollen.
Dieser Artikel erschien auf Englisch im GreenBook-Blog, USA. Die Autorin ist Jessica Long, Forschungsleiterin, LRWTonic. Übersetzt wurde er von Sascha Klein.
In loser Reihe veröffentlichen wir an dieser Stelle interessante Beiträge amerikanischer und internationaler Autoren, die einen Blick auf den größten Marktforschungsmarkt der Welt und die internationale Markforschungsszene ermöglichen.
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