Nachhaltigkeit - Besser erstmal die Welt retten

dossier.PLUS-Logo

Wie kann die Welt durch Marktforschung, CX und UX nachhaltiger werden? Wie können die Institute selbst nachhaltiger werden? Wie kann Nachhaltigkeit nachhaltig erforscht werden?

Editorial

Nachhaltigkeit – Besser erstmal die Welt retten

In den kommenden Wochen wird es in unserem Dossier.PLUS um folgende drei Fragen gehen:

  • Wie kann die Welt durch Marktforschung, CX und UX nachhaltiger werden?
  • Wie kann Nachhaltigkeit nachhaltig erforscht werden?
  • Wie können die Institute selbst nachhaltiger werden?

Aber zunächst eine kurze Einführung in die Bedeutung des Themas für die Marktforschungsbranche.

Was ist Nachhaltigkeit eigentlich?

Nachhaltigkeit ist aktuell in aller Munde. Das Konzept der Nachhaltigkeit ist bewusst breit angelegt und umfasst eine Vielzahl von Dimensionen. Im Kern steht die langfristige Erhaltung der globalen Ressourcen, das heißt, unseren Planeten auch für zukünftige Generationen lebenswert zu erhalten.

Nachhaltigkeit oder nachhaltige Entwicklung bedeutet, die Bedürfnisse der Gegenwart so zu befriedigen, dass die Möglichkeiten zukünftiger Generationen nicht eingeschränkt werden. Dabei ist es wichtig, die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – wirtschaftlich effizient, sozial gerecht, ökologisch tragfähig – gleichberechtigt zu betrachten. Um die globalen Ressourcen langfristig zu erhalten, sollte Nachhaltigkeit die Grundlage aller politischen Entscheidungen sein.

(Definition zitiert nach dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung)

Die Vereinten Nationen haben 17 Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) mit über 160 Unterzielen festgelegt. Die Agenda 2030 ist ein globaler Plan zur Förderung nachhaltigen Friedens und Wohlstands und zum Schutz des Planeten. Seit 2016 arbeiten alle Länder daran, diese gemeinsame Vision zur Bekämpfung der Armut und Reduzierung von Ungleichheiten in nationale Entwicklungspläne zu überführen.

Wie kann die Welt durch Marktforschung nachhaltiger werden?

Marktforschung als Teilgebiet des Marketings versteht sich als die systematische Sammlung und Analyse von Märkten und die Interpretation von Daten zum Zweck der Marktbeeinflussung. Dadurch wird auch deutlich, dass Marktforschung in der Regel der Optimierung des wirtschaftlichen Schaffens dient. Mittels Erkenntnissen aus Marktforschungsstudien verbessern Unternehmen Produkte, Dienstleistungen und Werbekampagnen, so, dass Gewinn und Absatz erhöht werden. ADM-Vorstand Sebastian Götte bringt das in folgendem Zitat aus dem Jahresbericht des ADM auf den Punkt:

„Nicht zuletzt die Marktforschung hat dabei geholfen, bei den Menschen in unserem Land immer mehr Bedürfnisse zu wecken, die von den Anbietern im Dienste eines stetig wachsenden Umsatzes befriedigt werden können.“

Daraus ergeben sich folgende Implikationen: Auch wenn Marktforschung im Unterschied zu anderen Branchen - wie zum Beispiel der Industrie, der Energie- oder Gebäudewirtschaft sehr viel weniger Emissionen verursacht, so hat die Marktforschung durchaus ihren Anteil an der ressourcenausbeutenden Konsumgesellschaft, in der wir heute leben.

Die Verführung von Konsumenten schreibt man zwar normalerweise der Werbung zu, diese nutzt aber wiederum Erkenntnisse aus der Marktforschung, um die verführerischsten Anzeigen und Verpackungsdesign zu kreieren und zu testen. Wenn nun aber Marktforschende dabei mithelfen können, Menschen zu mehr Konsum zu verführen, müsste es im Umkehrschluss auch möglich sein, Menschen zu nachhaltigerem Verhalten zu bewegen.

Welche Rolle könnte die Marktforschung in der Erforschung von Nachhaltigkeit spielen?

Allerdings ist die Psychologie der Nachhaltigkeit deutlich weniger erforscht als die Werbe-, Verkaufs- oder Konsumentenpsychologie.

In der Diskussion um nachhaltiges Verhalten taucht öfter das Phänomen des sogenannten „Say-Do-Gap“ auf, dass den Unterschied zwischen dem Wunsch nachhaltig zu leben und der tatsächlichen Umsetzung erklären soll. Psychologisch betrachtet ist der Unterschied zwischen Einstellung und Verhalten ein alter Hut. Und auch in der Marktforschung weiß man, dass nicht alle Menschen, die angeben, sich in den nächsten sechs Monaten einen Smart-TV anzuschaffen, dies auch so umsetzen werden. Es ist gut erforscht, welche weiteren Faktoren neben der Einstellung das Verhalten beeinflussen. In der „Theory of planned behaviour“ nennt Ajzen neben der Einstellung auch soziale Normen (also die Erwartung, wie das Umfeld, das geplante Verhalten bewerten wird) und die Erwartung, wie leicht oder schwierig die Ausführung des geplanten Verhaltens sein wird.

Ein Beispiel: Die Abschaffung des eigenen Pkw

Nehmen wir an, Sie wollen in Ihrem Haushalt den Emissionstreiber Nummer 1, den privaten PKW, abschaffen, weil sie nachhaltiger leben möchten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würden die meisten Menschen in ihrem Umfeld (vielleicht mit Ausnahme ihrer Kinder, die gerne chauffiert werden), sie dazu ermutigen. Ob der Verzicht tatsächlich ausgeübt wird, hängt nun entscheidend davon ab, welche Mobilitätsalternativen zur Verfügung stehen. Wenn sie auf dem Land leben, wo nur dreimal am Tag ein Bus vorbeikommt, dürften Alternativen fehlen. In einer Großstadt wie Köln gibt es dagegen einen gut ausgebauten ÖPNV und Carsharing-Angebote, sodass der Verzicht auf ein Auto realisierbar ist.

Was könnte die Marktforschung in diesem Fall beitragen?

Erkenntnisse aus der Marktforschung könnten zum Beispiel dabei helfen, die grundlegende Einstellung zum Autobesitz zu verändern, in dem sie die richtigen Argumente identifiziert, mit denen öffentliche Kampagnen für die Abschaffung eigener Pkws werben. Methoden aus der Marktforschung können dazu angewendet werden, Alternativen wie Carsharing zu etablieren und die erfolgreichsten Preis- und Abo-modelle zu erforschen. UX hilft bei der Entwicklung von Carsharing-Apps und sorgt dafür, dass Nutzer sich schnell in für sie ungewohnten Autos zurechtfinden. Die Liste könnte noch erweitert werden, andere Beispiele ergänzt.

Fazit: An den Methoden aus Marktforschung, CX und UX wird es nicht scheitern, um die Welt nachhaltiger zu machen.

Aber bereits an diesem einfachen Beispiel wird deutlich, dass die Marktforschungsbranche am kürzeren Hebel sitzt. Zwar kann sie Unternehmen dabei unterstützen, Menschen zu nachhaltigem Verhalten zu verführen, aber sie braucht einen Auftrag dazu.

Es ist erfreulich, dass es von Marktforschungsinstituten weltweit bereits eine ganze Reihe von Pro-Bono Studien gibt, in denen erforscht wurde, wie Konsumenten zu mehr Nachhaltigkeit bewegt werden könnten.

Tenor bislang: Verzicht allein genügt nicht, es braucht einen Zusatznutzen.

Der kann zum Beispiel darin bestehen, dass Alternativen günstiger sind, mehr Spaß oder Lust machen, gesünder sind oder besser aussehen. Alles wiederum Themen, wo Erkenntnisse aus Marktforschung, CX und UX unterstützen können.

Wie können Institute selbst nachhaltiger werden?

Kein Institut braucht einen Auftrag, um vor der eigenen Tür zu kehren. Und da gibt es bei den meisten Häusern noch genug zu tun. Jedes Institut kann etwas dazu beitragen, damit die Welt nachhaltiger wird. Erste Ansatzpunkte sind zum Beispiel die Reduktion von Emissionen durch Umstellung auf Ökostrom, der Verzicht auf Inlandflüge und Dienstwagen, die Vermeidung von Abfall, die Gleichbehandlung von Geschlechtern.

Der Zusatznutzen, das eigene Institut nachhaltiger zu machen, liegt auf der Hand: die Attraktivität als Arbeitgeber steigt, häufig können Kosten gespart werden und bei immer mehr Ausschreibungen und Pitches müssen Institute ohnehin ihre Nachhaltigkeit nachweisen. Und das Institut trägt dazu bei, dass die Welt besser wird.

Von daher ist es erstaunlich, dass die Verbände der Marktforschung bislang nicht stärker auf die Tube drücken, um ihre Mitglieder an die Nachhaltigkeitskandare zu nehmen. Verbindliche Regeln und Vorgaben sind nichts Neues für Mitgliedsinstitute der vier Marktforschungsverbände ADM, BVM, DGOF und ASI. Es wäre so einfach und naheliegend, die Welt besser zu machen, zumindest den Teil, den die Marktforschungsbranche beeinflussen kann.

Freuen Sie sich auf Wissen, Meinungen und Beiträge von Nordlight Research, sd vybrant, Strategir,  ADM, GfK, Innofact, Ipsos, MSR Consulting, Point Blank, Rothmund Insights, Skopos Nova, SKIM und vielen anderen mehr.

Über Holger Geißler

Holger Geißler ist Geschäftsführer und Mitgründer des Smart News Fachverlag, der die beiden Branchenportal marktforschung.de und CONSULTING.de betreibt. Er ist außerdem Mitglied in der Geschäftsführung der succeet GmbH, Veranstalter der Leitmesse der Insight Industry. Er war selbst viele Jahre als Führungskraft in der Insights Industry tätig, zum Beispiel als Vorstand von YouGov Deutschland und als Geschäftsführer von Dcore. Er war von 2004 bis 2011 Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Online-Forschung (DGOF) und von 2016 bis 2020 Präsident des Marketing-Club Köln/Bonn.

Vielen Dank an die Sponsoren

Artikel dieser Ausgabe

alle anzeigen

Weitere Highlights auf marktforschung.de