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dossier.PLUS: DIY & T / Automatisierung

Herzlich Willkommen zum neuen Dossier.PLUS: DIY&T / Automatisierung! Sein Sie dabei wenn wir im Zeitraum von September bis Oktober 2023 in die Do-it-yourself Welt eintauchen, um fesselnde Erkenntnisse und wegweisende Trends im umfassenden Feld der Automatisierung zu enthüllen. Ihre Teilnahme verspricht nicht nur Erkenntnisse, sondern auch Inspiration. Seien Sie dabei!
Editorial
Mein persönliches DIY-Waterloo
Ich verrate Ihnen, wie ich mit einem DIY-Projekt mal so richtig gescheitert bin.
Das Projekt war keines meiner DIY-Heimwerkerprojekte, da ich meine limitierten handwerklichen Fähigkeiten durchaus realistisch einschätzen kann. Aber es gibt ja glücklicherweise für alles Tutorials bei YouTube.
Nein, es war ein DIY-Marktforschungsprojekt, was so richtig an die Wand gefahren ist.
Aber von Anfang an.
Ich bin seit einigen Jahren Lehrbeauftragter im Master-Studiengang „Markt- und Medienforschung“ an der TH Köln. Immer im dritten Semester findet das „Projekt der angewandten Marktforschung“ statt. Es geht darum, dass Studierende ein konkretes Projekt innerhalb eines Semesters für einen Auftraggeber durchführen. Sie werden dabei vom Dozenten betreut, der in einer Doppelfunktion oft auch der Auftraggeber ist und das Briefing vorgibt. Für die Studierenden ist das eine sehr praktische Übung, in der sie das anwenden und vertiefen können, was sie in den ersten beiden Semestern über Markt- und Medienforschung gelernt haben. Sie können dann zumeist schon Fragebögen und Leitfäden entwerfen, wissen über Stichproben Bescheid, haben sich durch Statistik gequält und das Programmieren von Online-Fragebögen und vieles mehr gelernt. Gute Voraussetzungen, um ein Projekt durchzuführen. Dazu später mehr.
Was ist DIY-Research?
Kommen wir zunächst zum Thema DIY-Research. „Mach Dein eigenes Ding“ oder „Do-it-yourself“ – diese Phrase bezeichnet Tätigkeiten, die von Amateuren ohne professionelle Hilfe ausgeführt werden. Im Kontext der Marktforschung geht es darum, dass eine Marktforschungsstudie mittels entsprechender Software durch den „Auftraggeber“ selbst durchgeführt wird.
Der internationale Marktforschungsverband Esomar schätzt aufgrund der Ergebnisse der Insights Users & Buyers Study aus 2023, dass mittlerweile ungefähr 50 Prozent aller Studien als DIY-Studien mittels Marktforschungssoftware durchgeführt werden. Der Grund: “Increased availability of research and software tools has allowed commercial firms (those with an activity unrelated to extracting insights) to incorporate a bigger part of the insights function in-house. This phenomenon, coupled with overall lower research prices, is understood as the democratisation of insights.”
Selbst machen oder beauftragen?
Am Anfang eines jeden Projekts steht die Entscheidung, ob man es selbst durchführt oder jemand beauftragt, dies für einen zu tun. Das ist bei der Reparatur eines Rohrbruchs genauso wie bei einem Marktforschungsprojekt. Zwischen Selbermachen oder Beauftragung gibt es natürlich diverse Abstufungen. So kann man das kaputte Rohr selbst freilegen oder übernimmt die Datenauswertung, wenn die Umfrage abgeschlossen ist. Und man kann die Reparatur oder die Studie natürlich auch abbrechen, wenn man erkennt, dass man es alleine nicht hinbekommt.
Hilfe suchen und bekommen
Dann gibt es noch die DIT-Variante, sprich „Do it together“: Man holt sich Unterstützung durch einen Coach hinzu, der anleitet und vielleicht sogar mithilft. Das ist gerade in vielen Lebensbereichen sehr populär. Und so gibt es neben Fitness- oder Business-Coachs eben mittlerweile auch Umfrage-Coachs. Auch ein Nachbar oder Verwandter, der kostenlos mithilft bei der Rohrreparatur, kann in gewisser Weise als Coach bezeichnet werden. Das Geschäftsmodell Coaching dürfte im Bereich „Sanitärinstallation“ – so vermute ich, – aber noch recht unbekannt sein. Die meisten Rohrbrüche werden wohl als „Full-Service-Dienstleistung“ repariert.
Erfolgreiche Projekte der angewandten Marktforschung
Kommen wir zurück zum Anfang, meinem Lehrauftrag und dem „Projekt der angewandten Marktforschung“. Im Laufe der Jahre sind auf diese Art einige spannende und hilfreiche Studien entstanden. So hat eine Projektgruppe im Wintersemester 22/23 eine Studie zur “Zukunft der Marktforschungsmesse aus Sicht betrieblicher Marktforschender am Beispiel der succeet“ durchgeführt, die viele Erkenntnisse zutage befördert hat.
Das Gleiche gilt für eine Studie im Wintersemester 20/21 zur Vorbereitung des Relaunchs von marktforschung.de, die ebenso viele Insights generiert hat. Das sind zwei Beispiele, bei denen das benötigte Studiendesign und die Fähigkeiten der Studierenden harmoniert haben. Auch wenn die Erfahrung fehlte, genügte die Kompetenz der Studierenden und das Coaching durch den Dozenten, die jeweilige Studie erfolgreich durchzuführen. Und natürlich half der Ehrgeiz der Masterstudierenden, durch das Projekt zu lernen.
Eine Conjoint-Analyse mittels DIY
Ganz anders im Wintersemester 21/22. Das Thema war „Paid Content auf marktforschung.de“. Wir wollten herausfinden, wie wir schrittweise eine Paywall auf unserem Portal hochziehen könnten. Das ist keine triviale Fragestellung, aber auch keine Fragestellung, bei der wir 10.000 € aufwärts für die externe Beauftragung eines Instituts ausgeben wollten. Deshalb entschieden wir uns dafür, das Thema im Rahmen der „Projekte der angewandten Marktforschung“ zu platzieren.
Die Methode der Wahl war die Conjoint-Analyse, weil unterschiedliche Bundles in Kombination mit Preisen abgefragt werden sollten, um ein Gespür dafür zu bekommen, wie man den Einstieg in Paid Content schaffen kann.
Wow, das ist anspruchsvoll für Studierende (oder Harakiri) werden jetzt einige zurecht sagen. Ja, stimmt, aber 2021 gab es bereits DIY-Softwarepakete, die die Durchführung einer Conjoint-Analyse im Leistungsumfang hatten. Die Software versprach Unterstützung beim Design, entsprechende Templates für den Fragebogen und – wichtig – eine automatisierte Auswertung der Conjoint-Analyse. Warum also nicht? Dazu später mehr.
Was hat sich im DIY-Bereich verändert und wird sich noch verändern?
Die größten Veränderungen seit 2022 sind durch die Entwicklungen im Bereich Künstliche Intelligenz passiert. Haben Sie schon einmal einen Fragebogen durch Chat-GPT entwickeln lassen? Das funktioniert gar nicht so schlecht. Und es dauert nur zehn Sekunden. KI taucht mittlerweile an vielen Stellen in Softwarepaketen auf.
Es gibt Marktforschungsvisionäre, wie Stephen Philipps, CEO von Zappi, die davon ausgehen, dass KI den gesamten Forschungsprozess übernehmen wird.
“In moments, generative AI can spout questions for a consumer survey based on prescriptive goals; it can analyze and model large data sets in moments; it can organize and connect existing data, replacing a survey entirely; and it can draw conclusions from complex data sets. There isn’t a stage of the research process it won’t disrupt, from desk research and proposal writing to concept creation and analysis.
And it’s only the beginning; ChatGPT was developed in just two weeks. By the end of 2023, there will be 10 ChatGPTs available to the public. For researchers, the revolution isn’t coming; it’s already here, so you had better catch up fast.”
Und diese Veränderungen werden, so Philipps weiter, nicht nur auf Seiten der Institute stattfinden, sondern vor allem auch auf Seite der Marktforschenden und Insights Manager in Unternehmen.
DIY und die früheren Auftraggeber
Schon heute hat sich die Arbeitswelt betrieblicher Marktforschender stark verändert. War das Durchführen einer Umfrage früher die Ausnahme, so ist es heute die Regel. Die teure CX-Software, mit der auch Umfragen einfach programmiert werden können, soll ja auch genutzt werden. Und da die Ausschreibeverfahren und SAP-Bestellprozesse in großen Unternehmen heute aufwendig und komplex geworden sind, die Unternehmen aber immer agiler und schneller sein möchten, spricht im Zweifelsfall viel dafür, eine Studie hausintern zu realisieren.
Mein persönliches DIY-Waterloo
Es lag nicht an der studentischen Projektgruppe, dass unser Conjoint-Projekt nicht erfolgreich war. Die Gruppe war hoch motiviert bis zum Ende. Das Projekt wurde vom Briefing bis zur Ergebnispräsentation einwandfrei durchgeführt. Ich steckte deutlich mehr Zeit und Aufwand als gewöhnlich in den Lehrauftrag. Zusätzlich gewann ich eine frühere Kollegin, die uns bezüglich des Themas Conjoint schulte. Die Fallzahl war ausreichend hoch, die Stichprobe repräsentativ für unsere Leserschaft.
Es lag auch nicht an der DIY-Software, die letztlich genau das tat, was sie versprach: Vergleichsweise unerfahrene Studierende konnten damit einen Conjoint-Fragebogen programmieren und auswerten. Nicht ganz so einfach und reibungslos wie in der Werbung versprochen, aber die Software funktionierte einwandfrei.
Dennoch konnten wir am Ende mit den Ergebnissen überhaupt nichts anfangen. Es war erwartbar, dass wir mit einem Paid-Modell keine Begeisterungsstürme bei unseren Lesern hervorrufen würden. Es war vorher klar, dass der niedrigste Preis am besten ankommt. Aber in der Summe brachten uns die Ergebnisse keinen Schritt vorwärts, sondern eher drei zurück. Man hatte den Eindruck, dass sich alle Befragten gemeinsam gegen ein Paid-Modell verschworen hätten und gemeinsam strategisch antworten würden.
Könnte es nicht sein, dass die Ergebnisse richtig sind, so wie sie sind?
Ja, kann schon sein. Aber ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass wir das Projekt von vorneherein falsch angegangen sind. Die Operationalisierung war falsch, der Ansatz nicht gut gewählt. Conjoint-Experten hätten diese Studie so erst gar nicht für uns durchgeführt.
Die eigentliche Herausforderung in diesem Projekt lag vor der Programmierung der Conjoint-Analyse, sogar vor der Konzeption des Fragebogens.
Keine DIY-Software, keine KI-Schnittstelle und kein Youtube-Tutorial hätten dieses Projekt retten können. Aber ein auf Conjoint spezialisiertes Institut mit guten Beratern hätte uns geholfen, in unserer Entscheidung weiterzukommen.
Dann besser gar nicht DIY-Research?
Nein, das ist nicht die Botschaft, die ich aussenden möchte. Ganz im Gegenteil. Die Marktforschungswelt hat sich verändert, es gibt großartige Tools und Softwarelösungen, mit denen ganz wunderbar Umfragen und Studien realisiert werden können. Die Eventtage unseres dossier.PLUS am 26. September, am 9. und 12. Oktober werden das eindrucksvoll belegen.
Aber die beste Software kann immer nur so intelligent sein wie der Nutzer, der sie bedient.
Und KI hilft bislang nur dann, wenn man mit Sinn und Verstand nochmal auf die produzierten Texte, Bilder, Antworten und Analysen schaut.
Bei einfachen Aufgabenstellungen reicht vielleicht auch mal ein Prompt wie
„Kannst Du mir bitte einen Fragebogen machen, mit ich meine Kunden befragen kann? Es soll um die Zufriedenheit mit unserem Service und unseren Erreichbarkeiten gehen“.
Aber bei komplexen Themen sind manchmal zwanzig Jahre Institutserfahrung und eine Gruppe hoch motivierter Studierenden zu wenig, um mit der besten verfügbaren DIY-Software vernünftige Ergebnisse zu erzielen.
Über Holger Geißler

Holger Geißler ist Geschäftsführer und Mitgründer des Smart News Fachverlag, der die beiden Branchenportal marktforschung.de und CONSULTING.de betreibt. Er ist außerdem Mitglied in der Geschäftsführung der succeet GmbH, Veranstalter der Leitmesse der Insight Industry. Von 1997 bis Mitte 2019 hat er selbst als Marktforscher und Führungskraft für die Unternehmen psychonomics, YouGov und Dcore gearbeitet.